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Magazin für Verrisse aller Art    Archiv

Herausgegeben von Hans Dieter Eberhard

   



AUSGABE 7


GRASS: GÖTZENDÄMMERUNG I


HÜRDE DES DICHTERS



Im Fall Grass ergreift uns, wie wir leider bekennen müssen, nicht unbeträchtliche Schadenfreude. Offenbar ist doch wahr, was uns schon Lulu v. Strauss und Torney lehrte: Die Leichen, die einer im Keller hat, wird er nicht los, die Vergangenheit holt jeden ein, wie auch immer, nicht nur die Sonne bringt es an den Tag. Und immer wieder ist es wunderbar, wenn man erleben darf, wie einer, der jahrzehntelang jerichoartig die Verdammungsposaune dröhnen ließ, immer fortissimo versteht sich, immer gnadenlos ohne Möglichkeit einer Versöhnung, einer, der sich offiziell zum moralischen Totschläger der Nation hochgetrommelt hat, wie also ein solcher nun genau dessen bezichtigt werden darf, mit dem er andere zu Boden gehen ließ. Die Pitbullterrier seiner Schuldsprüche, die er auf andere hetzte, gehen nun dem eigenen Herren ans Fleisch.

Und das Vergnügen der Schadenfreude wächst noch um einiges, weil der Mann das heuchlerische Verschweigen immerhin 60 Jahre durchgehalten hat. Schon das ist eine Art Lebensleistung, der wir Bewunderung zu zollen haben. Was damals nichts Bedeutendes mehr war (Waffen-SS) außer tumber und kaum selbstverschuldeter Büberei, nehmen wir mal an (man war eben schon damals gerne groß), ward nun zur abscheulichen Großtat aufgepumpt, und vielleicht war das gerade die Absicht: nicht nur in der Kunst größer zu erscheinen als es dem Tatsächlichen entspricht, sondern auch in der Verfehlung, und noch in deren Bekenntnis. Irgendwie kann auch so Identität entstehen. Leider ist das Ausmaß dieser abartigen Form von Eitelkeit denn doch zu deftig, auch wenn es der neobarocken Schreibpose dieses Autors durchaus entspricht; aber eigentlich ist es denn doch nur peinlich.

Dieser alte Mann, der ein Weiser sein könnte, sollte, müßte, spielt, um sich noch einmal in Szene zu setzen, Scharfrichter und Flagellant in einer Person, geißelt sich unverlangt und lechzt nach Erbarmen, heischt Verzeihung im gleichen Atem, und insgeheim Bewunderung dazu als Sahnehäubchen.

Still schämt man sich des alten Mannes, der von nichts genug bekommen kann, und seiner schmierigen Hoffart, wendet sich ab. Zeit schlägt Wunden.

Hallux Valgus





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