AUSGABE 8
GESCHICHTSENTSORGUNG: DAS LEBEN DER ANDEREN
Henckel von Donnersmarck und die DDR
Wir sind wieder wer. Mit der Stasischnulze Das Leben der Anderen hat Florian Henckel v. Donnersmarck den deutschen Film und mit ihm das deutsche Volk zu lang entbehrtem Ruhm geführt. Sogar ein Oscar ward den Film zuteil, ein Hollywood-Remake ist geplant, warum nicht auch ein Musical? Große Werke wie zum Beispiel Filme von Clint Eastwood sind politisch nicht mehr erwünscht. Nestbeschmutzende Lichtspiele wie The Flags of Our Fathers und schlimmer noch Letters From Iwo Jima, in denen der Feind ein menschliches Gesicht bekommt, grenzen an Wehrkraftzersetzung, ja Hochverrat.
Bei Das Leben der Anderen dagegen herrscht Friede, Freude, Eierkuchen. Der tränenreiche Geist der Versöhnung umnachtet beim happy end noch das verstockteste Gemüt. Allein der Umstand, daß hier ein Filmemacher erstmals nicht zur Gattung Klamotte (Good bye Lenin, NVA und andere) gegriffen hat, um das Thema DDR abzuwickeln, macht einen solchen Film schon preiswürdig. Ja, wir sind wieder wer, aber in Sachen Qualität sind wir enorm bescheiden geworden, was bisher nicht die auffälligste deutsche Eigenart war.
Rekapitulieren wir noch einmal den Inhalt. November 1984: Der linientreue Schriftsteller Georg Dreyman (seine Werke sind derart unverdächtig und harmlos, daß sie sowohl in der DDR wie auch im Westen publiziert werden dürfen) ist mit der tablettensüchtigen Schauspielerin Christa Maria Sieland liiert, die zugleich ein Verhältnis mit DDR-Minister Hempf unterhält. Hempf, ein typische Zyniker der Macht, spielt leider nur die Rolle des Diabolus ex macchina und bleibt darum blasses Klischee ebenso wie sein beschränkter Günstling Oberstleutnant Grubitz. Gleich zu Anfang spricht er jedoch einen Satz, den man gegenwärtig halten sollte: Die Menschen ändern sich nicht. Diese Bemerkung widerspricht eklatant zentralen Dogmen des sozialistischen Systems. Kaum zu glauben, daß ein bauernschlauer DDR-Minister wie Hempf öffentlich eine derart ketzerische Bemerkung von sich gegeben haben sollte. Für den Film ist der Satz unverzichtbar. Einerseits soll er uns zeigen, wie korrupt das System war (eine Binsenweisheit), andererseits soll uns am Ende bewiesen werden, daß Menschen sich eben doch ändern können.
Minister Hempf haßt und verachtet den bisher unbescholtenen Poeten Dreyman, weil der mit seiner Geliebten Christa Maria zusammenlebt. Hempf will Christa Maria unbedingt für sich alleine haben. Um den lästigen Rivalen Dreyman ausschalten, veranlaßt er eine Wohnungsüberwachung (Operationsvorgang bzw. OV) durch den Staatssicherheitsdienst, ausgeführt von dem hochgradig und nahezu zwanghaft systemergebenen Stasi-Hauptmann Gerd Wiesler (HWG XX/7), einem perfekten Fachmann der Observation, der noch immer mit anscheinend naiver Seele an den Sozialismus glaubt. Wiesler setzt den Auftrag mit gewohnter Präzision ins Werk. Allerdings trübt leichte Frustration den depressiven Dackelblick (Ulrich Mühe), denn die privaten Motive des Ministers sind dem Stasi-Hauptmann nicht unverborgen geblieben.
Soweit ist an der Sache noch nicht viel zu mäkeln, doch von nun an beginnt es schräg zu werden. Hauptmann Wiesler wühlt sich während des OV, bald mehr volens als nolens, immer intimer in die private Sphäre des Dichters Dreyman ein, selbstverständlich bis ins Lotterbett. Mehr und mehr scheint er Gefallen am sogenannten Künstlerleben (Champagner, freie Liebe, fesche Altbauwohnung) zu finden. Defizite im eigenen Dasein (Plattenbausiedlung, Auftragsnutten, billiger Wodka) werden schmerzhafter. Wiesler läßt sich bald sogar dazu herab, frühe Liebesgedichte von Brecht zu lesen (zu den Stalin-Hymnen dringt er nicht vor). Dies alles scheint ihm eine Welt zu eröffnen, die er, der Erfahrene, Abgebrühte, Routinierte, vorher angeblich nicht gekannt hat. Vollends umgedreht wird er, dem Film zufolge, beim Anhören einer ominösen Sonate vom guten Menschen, von der Dreyman, durch den Freitod seines mit Berufsverbot belegten Regisseur-Freundes Jerska schwer getroffen, ein paar Takte zum besten gibt. Mehrmals wird dem Zuschauer scheinbar zufällig ein Notenheft mit dem Titelblatt des Musikverlages Edition Peters vor die Nase gehalten, auf dem der Titel Sonate vom guten Menschen fett zu lesen ist, ein Komponistenname steht nicht dabei. Mit dem allbekannten Titelblatt soll offenbar Authentizität und Seriosität des Werks untermauert werden. Diese Musik, so Dreyman, müsse, wenn man sie nur richtig hört, jeden zum guten Menschen machen. In diesem Zusammenhang wird Lenin zitiert, der sinngemäß gesagt habe, er, Lenin, dürfe die Appassionata nicht zu oft hören, weil die Beethovensche Musik ihn derart besänftige, daß die Revolution in Gefahr gerate.
Inzwischen haben wir die Botschaft voll verstanden: es ist die Kunst, die das Menschengeschlecht zum Guten erzieht, das Wahre, Schöne, Gute, Kunst als moralische Anstalt. Genosse Schiller läßt grüßen. Erstes Opfer dieses ergreifenden Umerziehungsvorgangs ist Hauptmann Wiesler. Er, der immer der Korrekteste war, vernachlässigt nun, verführt von der Sonate vom guten Menschen, seine Aufgabe, rettet am Ende gar den Dichter Dreyman, der einen Artikel für den Spiegel verfaßt hat, aus den Klauen der Stasi, seine Karriere auf dem Altar der Nächstenliebe selbstlos opfernd. Jahre später nach dem Mauerfall fristet er kärglich aber klaglos sein Dasein als Austräger von Werbeschriften in aufdringlich zerknirschter Büßerhaltung wie ein stummer Apologet eines verfehlten dritten Weges, während Dreyman aus der Geschichte einen selbstverständlich höchst erfolgreichen Roman macht mit dem Titel Die Sonate vom guten Menschen, gewidmet dem unbekannten Stasimann HWG XX/7.
Spätestens an dieser Stelle werden Taschentücher gezückt, Putzfrauen wischen die Tränenpfützen weg. Ja, wir haben begriffen: Menschen können sich ändern, selbst in beinharten Stasi-Schergen steckt ein menschlich Herz, ein guter Kern, man muß ihn nur zum Keimen bringen. Ebenso wie Hauptmann Wiesler hätte man das System als Ganzes zum Wahren, Schönen, Guten konvertieren können, hätte man nur die richtige Musik gehört und frühe Gedichte von Brecht gelesen. Ars vincit omnia. (Schade nur, daß bei kunstbeflissenen KZ-Kommandanten, die in den Schlachtpausen gerne Beethoven spielten, diese Methode überhaupt nicht angeschlagen hat.)
Ratlos fragen wir uns, wie das unglaubliche Ausmaß von Verkitschung einer völlig anders gearteten Realität in dem einhelligen Jubelschwall untergehen konnte, der sich über diese schmalztriefende Verklärung eines totalitären Unrechtsregimes ergoß. Gibt es vielleicht so etwas wie den heimlichen Wunsch, alles möge wirklich so gewesen sein, wie hier dargestellt, um das Unrecht wieder gut zu machen? Will man uns glauben machen, es sei in Wahrheit doch alles nicht so schlimm gewesen, oder will man gar durch die Hintertür den Sozialismus als solchen rehabilitieren, der von der Idee her doch so gut gewesen sei, dann aber leider nur deshalb scheiterte, weil zu viele korrupte Zyniker wie Minister Hempf an der Spitze standen, die an das Gute im Menschen einfach nicht glauben wollten, und hemmungslos nur ihre eigenen niederen Instinkten befriedigt haben?
Wir wissen es nicht, und wir wollen es eigentlich auch nicht wissen, denn wir spüren allzu deutlich, daß sich die Macher des Films, ihrer Ideologie vom guten Menschen zuliebe, über diese Fragen ziemlich ungerührt hinwegsetzen. Mit diesem Saulus-Paulus-Melodram soll deutsch-deutsche Vergangenheit symbolisch rein gespült werden.
Solche Art von Geschichtsentsorgung ist zwar ein satter Schlag ins Gesicht der Opfer, aber um die sorgt man sich hier herzlich wenig. Die einzige Person, die als Bauernopfer über die Klinge springen muß, ist die Verräterin Christa Maria. Sie verkörpert den Typus der Verlorenen, einer Sünderin reiner Seele, die nur im Tod Erlösung findet. Schon ihr Name erhöht sie zur quasireligiösen Gestalt, auch dies ein Kitschmotiv. Im Film steht sie meistens unter der Dusche und versucht, den Schmutz des Wirklichen abzuwaschen. Zwar ist sie der Kunst, aber leider auch den Drogen allzu sehr ergeben. Für den rauhen Alltag ist sie zu schwach, sie ist der Welt abhanden gekommen. Einer solchen ist mit der Sonate vom guten Menschen nicht zu helfen, wer auch immer sie komponiert haben mag.
Kees van de Verschredderen
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