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Magazin für Verrisse aller Art    Archiv

Herausgegeben von Hans Dieter Eberhard

   



AUSGABE 8


BRIGITTE KRONAUER: A SCHÖNE LEICH


AUTOPSIEN IM DARKROOM


An Rezensionen zum Werk Brigitte Kronauers fällt zuerst eins auf: das krasse Unisono der Lobeshymnen in den Intelligenz- und Bildungsblättern landauf landab. Auch prasselte seit Jahren ein ungebremster Preishagel auf die Autorin nieder. Nur hier und da zirpte ein kläglich Stimmchen der Kritik, doch gnadenlos ward es weggeröhrt vom Chorus der restlos Enthusiasmierten.
Woher diese selten hohe Einmütigkeit des Urteils?

Liest man Brigitte Kronauers Bücher (wenige Seiten genügen), wird das Faktum rasch verständlich. Die Kronauer will Kunst und nur Kunst, und die Kunst, die hier gedrechselt wird, muß vor allem eins sein: künstlich. Unzugänglich soll sie sein, prätentiös und mühsam. Unter keinen Umständen darf sie Genuß bereiten, Spannung erzeugen oder gar Unterhaltungswert besitzen. Wahre Kunst ist jenes Höhere, das unbefleckt zu sein hat vom Wirklichen. Dieses Höhere zu erkennen und zu besitzen, bleibt nur einem kleinen Kreis von Auserwählten vorbehalten.
Alles Andere ist das Niedere: Operette.
Diesem fundamentalen Dogma deutschen Kunstrichterwesens unterwirft die Kronauer sich aufs dienstfertigste.

Welcher Art ist nun das Kronauersche Romanwerk?
Inhaltsangaben, Handlungsbeschreibungen, Zitate, das alles ist hier überflüssig, ja sinnlos. Die Künstlichkeit des Werks ist in sich durch und durch konstant und homogen. Einzelelemente sind beliebig austauschbar. Inhalte oder Handlung im eigentlichen Sinn kommen nicht vor. Ähnlichkeit mit Lebendem aus der empirischen Welt sind zufällig und unbeabsichtigt. Die Künstlichkeit dieser Romanwelt genügt sich narzißtisch voll und ganz.

Substanz der Texte ist Beschreibung. Beschrieben werden Innenwelten und Außenwelten. Die Perspektiven wechseln. Die Beschreibungen verfolgen weder sinnstiftende Ziele, noch haben sie plausible Ursprünge. Sie beginnen und schreiten fort. Ihr Hauptmerkmal ist Redundanz von beachtlicher Enthemmung. Ein binnenlogisches Regulativ, das die Beschreibungsüberfülle kontrollieren oder begrenzen könnte, fehlt. Dies ist bedingt durch den Mangel an Handlung.

Allerdings gibt es ein Behaupten von Handlung. Es gibt Zurichtungen oder Arrangements von Ort und Zeit, es gibt ein Posieren von Personen, doch gleicht jenes Personal nicht Menschen sondern dummies. Im Kunstrichterdeutsch wäre hier unter anderem von handlungsäquivalenten Versuchsanordnungen die Rede, experimentellen Daseins- oder Bewußtseinsvariablen, von Möglichkeitskonstellationen des Seins in der Fragwürdigkeit des Jetzt, aufsprühenden Vergänglichkeitssignalen bei latent-erotischen Wahrnehmungsstigmata und was nicht noch.

Neben Redundanz besitzen die Texte eine gouvernantige Rüschenhaftigkeit der Sätze, etwas feinsinnig Granulierendes, damenhaft Perseverantes, ein stukkaturähnlich Onduliertes, Dauerwellenartiges, etwas salamimäßig Enthäutetes: malignes Wuchern eines unsäglich Ornamentalen. Manche Satzkonvolute gleichen versteppten oder pilzbesiedelten Äckern im rätselschweren Schein des Neumonds. Im Abgang schmecken wir schlundnah ein erdig-branstiges Aroma nach E.T.H. Hoffmann und Agonie.

Literatur wird hier dank unbegrenzter Strapazierbarkeit des sprachlichen Materials als staubtrockener Akt einer akademischen Verrichtung vollstreckt. Hinter schweren Samtportieren brütet sie ihre Semiosen aus, monströse Schwellungen des Details: Exerzitien des Nichts. Ein Beinhaus leerer Innerlichkeit wird illuminiert: Inszenierungen eines maroden Ennui. Hybrider Autismus kreiert eine amorphe Textwelt, die sich unendlich selbst repliziert als Artefakt. Das als Modernes sich Gebärdende mutiert zu Parodie und Kitsch.

Literatur solcher Beschaffenheit wendet sich nicht an Leser. Die nagelnde Langeweile, die sie verbreitet, verhindert Lektüre im Sinne einer selbstbestimmten Tätigkeit von primärer Relevanz. Das Lesen dieser Texte gleicht Autopsien im Darkroom. Roman als Gegenentwurf zur verachteten Realwelt, als künstliches Paradies, als bergende Insel ist hier kein rettender Gedanke.

Die Kronauersche Literatur ist Ausdruck einer degenerativen Erschöpfung kunstsprachlichen Wollens im finalen Stadium. Den Leser will sie nicht mehr, Akklamation genügt.

Elsbeth v. Johlen und Schwallbach


PS Auf der letzten Umschlagseite von Die Frau in den Kissen zitiert der Verlag delirant Verquastes aus der Feder Reinhard Baumgarts, eines Berufsrezensenten, der in den höchsten Gremien der deutschen Literaturgerichtsbarkeit eine der ersten Posaunen bläst: Sätze, licht bis in den letzten Winkel, bilden Sprachnetze, die uns immer wieder unter die Oberfläche, ins Innere der Erscheinungen ziehen, von denen sie doch so überaus hell und wach zu sprechen scheinen. Rationalität und Magie gehen hier Hand in Hand.

Zum Wohl, Herr Baumgart!





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