• Vom Lesen lesen

    Kein deutscher Erzaehler des 20. Jahrhunderts hat so genau beobachtet wie Thomas Mann. Am besten konnte er drei Dinge beschreiben: Menschen, die essen, Menschen, die reden und Menschen, die lesen. Am schoensten sind seine Beobachtungen zu den denen, die lesen. Ein zweifaches Vergnuegen ist die Lektuere, weil man sich als Leser dabei selbst begegnet. weiterlesen »

  • Lesen auf der Ueberholspur

    Im Sommer wird die Lesekost der Jahreszeit angepasst: Leicht bekoemmlicher Printjournalismus dient dazu, den schwer im Magen liegenden Uniwaelzer besser verdauen zu koennen. Und wo koennte dies besser gelingen als auf der A 9 zwischen Berlin und Leipzig. Ich habe eine Mitfahrgelegenheit nach Leipzig gesucht und Schnabel gefunden. Schnabel hat Schlaefen auf denen man Schlittschuhlaufen koennte und faehrt einen von diesen Harlekin-Polos, so bunt, dass es in den Augen weh tut. Schnabel laesst mich vorn sitzen. Ob dies Grosszuegigkeit oder Berechnung ist, laesst sich noch nicht absehen. Auf meinem Schoss hat es sich Corinna Harfouch gemuetlich gemacht: Doppelseitiges Interview im Magazin der Berliner Zeitung. weiterlesen »

  • Erweckung zur Produktivität

    Bis zu einem gewissen Grade laesst sich das erstaunliches Mass an Religiositaet in den USA auch auf die Angst zurueckfuehren, unter den gegebenen Umstaenden der Beschleunigung, den Anschluss zu verlieren. Allerdings darf man es sich hier mit vorschnellen Erklaerungsansaetzen nicht zu leicht machen. Die spezifische Form der Froemmigkeit in den USA, die calvinistisch gepraegte Erweckungsfroemmigkeit, kann teilweise auf vormoderne Traditionslinien zurueckgreifen und ist dadurch eng mit der Frage nach dem Proprium amerikanischer nationaler Identitaet verknuepft. weiterlesen »

  • Der Tisch als Text

    Der Tisch in der Kueche meiner Eltern ist aus Holz. Es ist ein weiches, helles Kiefernholz, auf dem jeder leicht seine Spuren hinterlassen kann. Mit dem Ellbogen, der Kaffeetasse oder dem Brotmesser. Diese Spuren hinterlaesst man ungewollt und meist nicht ohne sich Aerger mit meinem Vater einzuhandeln. Der Tisch ist nicht wertvoll, es ist ein einfacher Ikea-Tisch in O-Form – der erste West-Einkauf meiner Eltern, gleich nach dem Opel Kadett. weiterlesen »

  • Das ungelesene Potenzial

    Immer wenn ich Beitraege ueber Leute wie Karl Marx lese, habe ich ein gespaltenes Gefuehl. Super, dass informiert und gut geschrieben an einen erinnert wird, dessen Werk bekannt ist wie in Berlin die nach ihm benannte Allee, aber dessen Werk eben leider selten so haeufig aufgesucht wird, wie die Berliner Karl Marx Allee und sei es nur von Touristen. Mist, denke ich gleichzeitig, weil ich mich frage: Fuehrt so eine gut gemeinte Vermittlung in einer Welt, die letzten Endes nur noch aus Vermittlungen zu bestehen scheint, nicht dazu, dass man sich damit begnuegt, die Vermittlung, sprich: das zusammenfassende Haeppchen zu lesen, statt das Original? weiterlesen »

  • Globalisierungskritik, wie weiter? Antwort #18

    Vom 6. bis zum 8. Juni 2007 trafen sich die Staats- und Regierungschefs der fuehrenden acht Industrienationen im Seebad Heiligendamm. Das internationale Netzwerk der Gruppe der Acht (G8) vereint weniger als 15 Prozent der Weltbevoelkerung, verfuegt jedoch ueber circa zwei Drittel des Weltbruttosozialeinkommens (BNE). Unter dem Slogan Wachstum und Verantwortung redete man unter deutscher Praesidentschaft dieses Jahr ueber Energieverbrauch, Klimawandel, Raketenabwehrsysteme und Hilfe fuer Afrika. Medial war der diesjaehrige Gipfel vor allem von der Omnipraesenz des Zauns gepraegt. Dieser stellte Dreh- und Angelpunkt der Berichterstattung dar. weiterlesen »

  • Knopp und Knopp

    Hans-Georg Knopp ist Generalsekretaer des Goethe-Instituts und ein freundlicher Mensch. Trotzdem attackieren die Medien ihn gern. Kein Wunder, schliesslich wird Hans-Georg Knopp manchmal mit Guido Knopp verwechselt. Der ist auch ein freundlicher Mensch und auch er wird gerne von den Medien attackiert. weiterlesen »

  • Tunesische T-Shirts

    Wie sich langsam, ganz langsam mein anderer Koerper aus dem jeden Tag mir gut Vertrauten herausschaelt. Das Meer vor Mahdia, Al-Mahdiya, Al-Jumhuriyyah at-Tunisiyyah, المهد الجمهورية التونسية, Republique de la Tunisie. Richtig kam mir die Mittelmeer- union vor, die der frische President de la Republique Francaise vorgeschlagen hatte. Mehr verbindet den gesamten Maghreb mit dem aegaeischen und ionischen Meer, dem Marmarameer, dem levantinischen Meer und Pelagien, dem tyrrhenischen und dem ligurischen Meer, Mare Nostrum – als etwa mit dem unwirtlichen Nordosten der europaeischen oder dem Suedosten der afrikanischen Union. weiterlesen »

  • Jetzt ist die Bahn voll

    Noch zwei Menschen steigen ein, draengeln ein wenig in den dicht gedraengten Waggon nach hinten durch und koennen noch mitfahren. Vier weitere Menschen eilen zum Zug, drehen und schieben sich mit dem Ruecken zu den Insassen hinein. Nach einer Weile erscheinen weitere sechs Menschen, die sich mit Aktentasche, Anzug und Kostuem in die enge Menschenmasse hineindraengen und in ihr verschwinden wie in Treibsand. Erstaunlicherweise passen anschliessend noch drei weitere Menschen hinein, dann endlich schliesst die Tuer mit Hilfe eines Bahnmitarbeiters, der die Menschen hineinschiebt, um dann bei Abfahrt zu salutieren. weiterlesen »

  • Coming out – of what?

    “Ich bin schwul und das ist auch gut so!” so outete sich Klaus Wowereit vor mehr als sechs Jahren waehrend seines Runs auf das Berliner Buergermeisteramt. Die Worte sind inzwischen gefluegelt, geben sogar seiner Autobiographie den Titel. Sein Coming-out machte Wowi ueber Nacht deutschlandweit bekannt. Wowereits Karriereplanung ist PR-strategisch vermutlich die kluegste im Land, der Weg ins Bundeskanzleramt bahnt sich an. Sein Outing als den ersten grossen Coup dieser Strategie zu bezeichnen, waere vermutlich boeswillig, aber vielleicht auch allzu wahr. weiterlesen »

  • Pirouetten auf dem Grabbeltisch

    Ich weiss nicht, ob es in meinem Alltag Bescheunigungszwaenge gibt. Es gibt allerdings Zeitdruck und das in gleich doppelter Form. So muss ich zum einen am Programm des Verlages arbeiten, und fuer die Buecher, die neu erscheinen, werden weit im Voraus Erscheinungstermine festgesetzt, an diese sollte man – glaubt man als Verleger zumindest – sich auch halten. Die Messen sind ebenfalls Stichdaten. Nun kann man aber nicht an jedem Tag gleich gut lektorieren, nicht an jedem Tag in gleicher Weise geistig arbeiten. Da baut sich in Monaten wie diesem – drei Wochen vor der Buchmesse Frankfurt – schon ein ziemlicher Druck auf. Zugleich muss ich, um mir meine Verlagsarbeit leisten zu koennen, als Journalist arbeiten – denn der Verbrecher Verlag wirft noch keine nennenswerten Ertraege ab, obschon er sich gut entwickelt hat. Da kann es schon mal dazu kommen, dass man zehn bis zwoelf Stunden am Tag arbeitet, oder an jedem Tag des Wochenendes. Dann aber gibt es auch wieder Tage, da arbeitet man nur zwei bis drei Stunden. weiterlesen »

  • Le Parkour

    Samstagabend. Ich sass mit ein paar Leuten vorm Fernseher und schaltete durch die bunte Fernsehlandschaft. Nach endlosen Programmdurchlaeufen, blieben wir bei einer Reportage haengen. Wir sahen voellig gespannt, wie mehrere Typen die Gegebenheiten der Stadt akrobatisch ueberwanden. Sie sprangen Treppen runter, rollten sich ab, kletterten Waende hoch, huepften auf Mauervorspruenge usw. Es erinnerte mich ein wenig an die Auftaktverfolgungsjagd des letzten Bonds. weiterlesen »