Geschrieben am 1. März 2020 von für Crimemag, CrimeMag März 2020

Das falsche Buch im richtigen: Mercedes Rosendes „Falsche Ursula“

Von Katja Bohnet

„Big fat butt.“

Worüber andere — wiggle, wiggle — schlichte Popsongs schreiben, verfasst Mercedes Rosende normalerweise einen intelligenten Roman. In „Krokodilstränen“ wartete die Autorin aus Uruguay mit einem witzigen, doppelbödigen, der Gewalt nicht abgeneigten ersten Werk in Deutschland auf. Schauplatz Montevideo. Protagonistin: ungewöhnlich, psychologisch attraktiv. Der Nachfolgeroman erscheint jetzt im Unionsverlag unter dem Titel „Falsche Ursula“. Schon der Titel weist darauf hin, dass man der Antiheldin aus „Krokodilstränen“ wieder begegnen wird. Ursula (lat. kleine Bärin) kämpft mit starkem Übergewicht. Ein großer Teil des Romanes zeigt sie schwitzend, hungrig, Diät haltend, Diäten nicht einhaltend, essend, schlemmend, in Spandex eingequetscht, in Umkleiden, mal sexy ihre prallen Brüste zeigend, gemessen, gewogen, mit Blicken oder gynäkologischen Instrumenten geprüft. Angeblich erzählt der Roman, was vor „Krokodilstränen“ geschah. Eine zwangsläufige Entwicklung aufgrund dieser Vorgeschichte verweigert das Folgewerk jedoch. Die „Falsche Ursula“ wirkt wie eine Vorstudie zu einem komplexeren Stück. Was erklären würde, warum der Unionsverlag „Krokodilstränen“ zuerst veröffentlichte. Immer noch da: der fiese Vater, der seiner Tochter stets einflüstert, wie fett sie ist. Der ihr die gut aussehende, schlanke Schwester vorzieht. Immer noch da: der naive German in gleicher Rolle. Stets ist er in Verbrechen involviert, ein Naivling, der sich von Ursula helfen lassen muss. Auch noch da: der gleiche Doppelgängerinnen-, der Verwechselungs-Twist. Und hier wird es problematisch weil ein Strickmuster zu wenig für zwei Romane ist. Unterhaltsam dennoch die Einschübe einer Nachbarin, die der laut stampfenden Mieterin Pantoffeln empfiehlt oder doch gleich zu „levitieren“. Die Männerfiguren sind so, wie wir sie aus „Krokodilstränen“ schon kennen: jämmerlich, selbstgefällig, inkompetent. Verweichlichte Idioten, die den Frauen trotzdem noch die Welt erklären. Sogar denen, die schon lange nicht mehr zuhören. Der Blick der Gesellschaft allein auf die Hauptfigur Ursula, die sich dem Mainstream verweigert, die nicht schön und schlank sein will und kann, die durchtrieben ist, genügt hier jedoch nicht mehr. Deutlich mehr als in „Krokodilstränen“ bestimmt diese Ich-Erzählerin den Roman. Die Autorin sagt im Interview: „Schreiben heißt für mich entscheiden und verwerfen.“

(Hier geht’s zum Interview.)

Eine Entscheidung, nicht über die Fragen zu schreiben, die eine solch dominante Protagonistin im Kriminalroman aufwirft. Genau dort nicht hinzusehen. Auf die Mechanismen in Wirtschaft und Lebensmittelindustrie. Zu den Machenschaften in Produktion, Gesellschaft und Politik. Als siedele man die Geschichte um einen korrupten Fifa-Präsidenten im Privaten an. Bei einer Figur, die „in Serie“ geht, dürfte man zu Recht fragen, wie sich alle Figuren entwickelt haben. Welche neuen Aufgaben sie erwarten. Oder mit welchen Dämonen sie hier ringen. Welche anderen Konflikte entstehen. Überhaupt: Was ist anders, neu und aufregend? Die „Falsche Ursula“ bleibt bei diesen Fragen Antworten schuldig. Stumm. Entwicklung: Fehlanzeige. Neu ist nur das Alte. Rosende erhielt für beide Romane Auszeichnungen. Was bei „Krokodilstränen“ noch stilistisch ironisch und humorvoll, in der Zeichnung der Figuren über das Mittelmaß hinauswuchs, kommt hier wie der Doppelgänger eines Romans daher.

  • Mercedes Rosende „Falsche Ursula“, Originalausgabe 2017 bei Estuario Editora Montevideo, aus dem Spanischen von Peter Kultzen, Unionsverlag Zürich, 2020, 204 Seiten

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