Pick of the Week N° 7
– Seit Jahren bibliografiert, archiviert und kommentiert der Ehrenglauser-Preisträger Thomas Przybilka in seinem BoKAS (= Bonner Krimi-Archiv Sekundärliteratur) wissenschaftliche und publizistische Arbeiten aus aller Welt, die sich mit den unendlichen Facetten von Kriminalliteratur befassen. In unregelmäßig regelmäßigen Abständen erscheinen dann seine unschätzbar wertvollen Zusammenfassungen der aktuellen Sekundärliteratur, die jeder zur Kenntnis nehmen muss, der sich auch nur ein bisschen über seine Lieblingsliteratur kundig machen möchte. Ein solcher „Newsletter“ hat leicht einmal 160 bis 200 Seiten; deswegen empfiehlt CrimeMag jede Woche ein paar Titel aus dieser Fülle, die uns besonders bemerkenswert erscheinen.
M – MI5’s First Spymaster
„M“ schickte in den James Bond-Thrillern den 007-Agenten stets ins Zentrum des Bösen, um die Welt zu retten. „M“ hat allerdings auch ein ganz reales Vorbild, nämlich William Melville, Gründungsvater von MI5, Englands Spionageabwehr. Melville war einer der erfolgreichsten MI5-Generaldirektorn. Bevor er den Secret Service gründete, war Melville ein erfolgreicher Beamter der Scotland Yark Special Branch. Als gegen Anfang des letzten Jahrzehnts bestimmte Daten und Unterlagen von der britischen Regierung freigegeben wurden, konnten wichtige Details zur Geschichte des Secret Service erstmals publiziert werden. Zu diesen Details gehörte auch die Berufsgeschichte von William Melville, „MI5’ Fist Spaymaster“.
Andrew Cook: M – MI5’s First Spymaster. 2006. 336 Seiten. The History Press. 0-7524-3949-9 / 978-0-7524-3949-5. £ 9,99
Tod in Paris. Die Leichen der Seine 1795–1801
Für den Historiker Richard Cobb, der lange Jahre in französischen Archiven forschte und recherchierte, war der Fund des Aktenbehälters D4 U1 7 mit der Beschriftung „Basse-Geôle de la Seine, procès-verbaux de mort violente“ (Leichenschauhaus der Seine, Untersuchungsberichte nicht natürlicher Todesfälle) aus den Archives de la Seine ein Glücksfall. In diesem Behälter befanden sich Protokolle zu Todesfällen – meist Selbstmord, einige wenige Morde – aus den Revolutionsjahren 1795–1801 (20.4.1795–13.9.1801). Genauer gesagt handelt es sich bei diesen 405 Untersuchungsberichten um Dokumente zu Leichen, die aus der Seine im 4. Arrondissement geborgen wurden. Die geborgenen Wasserleichen waren größtenteils Selbstmörder, die sich ertränkt hatten (einige wenige machten auf andere Art und Weise ihrem Leben ein Ende, bevor sie in den Fluss stürzten). Allen gemeinsam war, dass sie aus den unteren Gesellschaftsschichten der französischen Hauptstadt stammten. Richard Cobb studierte diese Todesprotokolle. Durch die Auswertung der Untersuchungsberichte konnte er so detailliert Angaben zu Alter, Beruf, Familienstand, Wohnviertel und Herkunft der geborgenen Leichen herleiten. Ein ungewöhnliches Buch – das Original erschien 1978 im Verlag Oxford University Press –, das sich dennoch fast wie ein Krimi liest.
Richard Cobb, geboren 1917, gestorben 1996, lehrte Modern History an der University of Oxford, nachdem er 15 Jahre ohne universitäre Anbindung in französischen Archiven verbracht hatte. Er war Spezialist für die französische Geschichte der Revolutionszeit und Mitglied der französischen Ehrenlegion.
Richard Cobb: Tod in Paris. Die Leichen der Seine 1795–1801. 2011. 199 Seiten. 2 Übersichtskarten Paris. Vorwort von Patrick Bahners. (Death in Paris, Ü.v. Gabriele Gockel & Thomas Wollermann). Klett-Cotta. 3-608-94694-2 / 978-3-608-94694-9. 19,95 Euro
Die Wahrheit über Sherlock Holmes
„Alle Verbrechen, die Sherlock Holmes, dieser Langweiler, je untersucht hat, sind MEIN Werk“, so Professor James Moriarty. Der „Napoleon des Verbrechens“, wie Moriarty auch genannt wurde, war Holmes’ Erzfeind und – zusammen mit Colonel Sebastian Moran – seinem Faktotum, verantwortlich für den Sturz des Meisterdetektvis bei den Reichenbachfällen in der Schweiz. In dem kleinformatigen Bändchen „Die Wahrheit über Sherlock Holmes“, getarnt als Tagebuch, sind alle Verbrechensplanungen, mit detaillierten Skizzen versehen, aufgezeichnet. Die Verbrechen, von Moriarty euphemistisch „Missionen“ genannt, werden jetzt jedem Holmesianer beweisen, dass Holmes’ Genie eine Lüge und dass der Meisterdetektiv nur eine Marionette in den Händen dieses genialen Verbrechers war. Colonel Sebastian Moran stellte dieses Konvolut aus Moriartys Tagebüchern, Fotos, Zeichnungen und Notizen leider ohne zeitliche oder inhaltliche Struktur zusammen – was aber den Spaß an der Durchsicht all dieser Hinweise und Planungen verbrecherischer Absichten von Holmes’ Gegenspieler nicht schmälert. Einfach köstlich, diese „Wahrheit über Sherlock Holmes“.
James Moriarty: Die Wahrheit über Sherlock Holmes. Aus den Unterlagen seines Erzrivalen, zusammengestellt von Colonel S. Moran. 2011. 160 Seiten. 2 Faltpläne London von 1880. Zahlr. s/w und farb. Abbildungen. Lesebändchen (The Moriarty Papers, Ü.v. Edith Beleites). Eichborn Verlag. 3-8218-3688-1 / 978-3-8218-3688-1. 12,95 Euro.
Thomas Przybilka
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