Zwischen Miss Marple und Columbo
Die Briten lieben „Vera“, die Serie kommt dort bisher auf 20 Episoden in fünf Staffeln. Auch bei uns hat sie ihre Fans. „Vera“-Kennerin Anna Veronica Wutschel hat sich für CrimeMag die dritte Staffel auf DVD angesehen. Hier ihr Fazit.
Gibt’s was Neues? Der gemütliche Kuschelkrimi, auch gern Cozy genannt, hält sich da lieber an Altbewährtes. Das Erzählte wird den Zuschauer nicht beunruhigen und sollte er nicht vor Thekenschluss längst weggenickt sein, zuversichtlich stimmen: Das Chaos, das zuweilen ausbricht, kann – so scheint es – in aller Behaglichkeit wieder in eine Ordnung zurückgeführt werden. “Vera. Ein ganz spezieller Fall” bedient sich dieses erprobten Konzepts nur allzu gern, so dass sich jedwede wohl kalkulierte Anstrengung um Vielschichtigkeit – immer wieder wird angedeutet, dass es neben dem eigentlichen Täter viele Schuldige gibt – letztlich in wohligen Lapidaritäten zerstreut.
Die Grafschaft Northumberland, an der Grenze zu Schottland gelegen, bietet mit ihren breiten Stränden, den wilden Klippen und einer wie unberührten Natur weiterhin ein grandioses Setting, das wie eine Liebeserklärung an die Abgeschiedenheit verstanden werden kann. Und viele der Figuren, die an die Romanvorlagen von Ann Cleeves anknüpfen, scheinen diese raue, nicht immer leicht zugängliche Wildwüchsigkeit in ihren Charakteren widerzuspiegeln. Die Ermittlerin Detective Chief Inspector Vera Stanhope (Bafta- und Golden Globe-Gewinnerin Brenda Blethyn) kann diesbezüglich als Härtefall angesehen werden, das ist dem Zuschauer aus den vorangegangenen zwei Staffeln hinlänglich bekannt. Übergewichtig, an Angina pectoris leidend, dem Alkohol aufrichtig zugetan, gibt Vera auch in der dritten Staffel immer noch das quengelige Raubein, das vor allem als Chef sozial unbedarft inkompetent agiert.
Die Briten lieben “Vera“, bei der Erstausstrahlung der Episoden greifen bis zu sechs Millionen Zuschauer zur Fernbedienung, und inzwischen freut man sich auf die sechste Staffel, an der seit Mitte 2015 gearbeitet wird. Warum das so ist, ist schwer nachvollziehbar, und können die Fans der Serie, in der ziemlich humorlos einseitige Standardkost serviert wird, wohl nur selbst erläutern. Dem gewogenen deutschsprachigen Zuschauer kommt ein Erschwernis hinzu: Das nervöse, wie von Schwindsucht gezeichnete Quäktimbre, das die Synchronsprecherin (Heide Domanowski) anstimmt und konsequent durchhält, hat nur wenig mit der Tonlage zu tun, in der Brenda Blethyn im Original ihre ruppige Zerbrechlichkeit variiert. Dass das Home-Entertainment-Unternehmen Edel keine Untertitel liefert, ist in diesem Fall also nicht nur für Gehörlose ein großes Manko.
Dem die Staffeln überspannenden großen Erzählbogen, in dem unmotiviert unspektakulär und mehr als schleppend Geheimnisse aus Veras Kindheit gelüftet werden, wird in Staffel 3 ein Detail angefügt: Vera hat eine Schwester, die sie nicht kennt. Sie könnte ihr über ein soziales Netzwerk eine Freundschaftsanfrage senden, doch zögert sie.
Die neuen Fälle
Sei’s erst einmal drum, Vera hat vier Fälle zu lösen. In “Die verlorene Schwester” werden zwei Schwestern entführt, der Vater im Wohnzimmer erschossen. Schnell stellt sich heraus, dass ein Mädchen, Mira, adoptiert wurde. Ihre Familie wurde im Irak wegen des tragischen Fehlers eines US-Piloten von einer Bombe ausgelöscht, die kleine Amira, wie sie damals hieß, wurde aus den Trümmern gerettet. Ihr Foto ging um die Welt und löste ein Umdenken aus, das viele Menschen, die den Krieg zuvor befürwortet hatten, zu Anti-Kriegskampagnen mobilisierte. Hat die Entführung der Mädchen eventuell einen politischen Hintergrund?In “Luftschlösser” wird die junge, allseits beliebte Physiotherapeutin Lizzie Faulkner während eines Wochenendtrips in einer chicen Ferienanlage mit einer Schrotflinte erschossen. Doch der rüpelige Dorfraudi, der des Nachts gern ein paar Dachse erledigt, war es nicht. Nach diesem kniffligen Fall bekommt Vera es mit den Sünden privilegierter Privatschüler zu tun. Warum musste der Sportfanatiker Gideon Frane in einem riesigen Feuerball sterben? Handelt es sich um einen Unfall? Mord? Eine spontane Selbstentzündung?
In der abschließenden Episode “Der verlorene Sohn” ermittelt Vera dann, warum der ehemalige korrupte Polizist John Warnock, der sich zu Lebzeiten einen Ruf als schlimmer Schürzenjäger hart erarbeitet hatte, vor einer Bar niedergestochen wurde.
… also alles beim Alten
In allen vier Fällen agiert Detective Sergeant Joe Ashworth (David Leon) als hübsches Bürschchen und Veras Liebling an ihrer Seite. Er ist immer noch glücklich verheiratet und schwärmt gern von dem Eintopf seiner Frau, die sich daheim vorbildlich um die drei Kinder kümmert. Veras Team bleibt ebenfalls ganz bewährt im Großraumbüro im Hintergrund und ermittelt aus dem Bürosessel heraus. Das scheint auch gar keine unkluge Entscheidung, denn kaum wird einmal ein Kollege zu einem Einsatz vor Ort mitgenommen, wird er umgehend erschossen. Er war aber der Neue im Team, niemand hatte ihn ins Herz geschlossen, so dass die Mannschaft wie auch der Zuschauer den herben Verlust rasch verschmerzen können.
Bei Vera, deren Figur irgendwo zwischen einer knurrig liebenswerten Miss Marple und einem exzentrischen Columbo angelegt scheint, ist also alles beim Alten. Sie trägt auch weiterhin ihren Trenchcoat mit Allwetterhut in dunklem Grün. Und das mal in der Übergangsherbst-, mal in der wärmenderen Wintervariante. Lediglich ihr Schal lockert den Trübsinn mit einigen Gelbtönen auf. Und lässt auf bessere Zeiten hoffen.
Anna Veronica Wutschel
Vera. Staffel 3. ITV, Produktionsjahr: 2013. (4 DVDs.) Darsteller: Brenda Blethyn, David Leon, Jon Morrison u. a.; Vertrieb: Edel Motion. Laufzeit: 360 Minuten. Sprache: Deutsch, Englisch. Dolby Digital 2.0 Stereo. Erscheinungstermin: 4. September 2015.