Bloody Chops – heute zerlegt Thomas Wörtche (TW) Christa Faust, Frank Rumpel (rum) metzgert Thomas Raab und Joachim Feldmann (JF) filetiert Monica Kristensen.
Kriminalliteratur, roh
(TW) Die Romane von Christa Faust sind ein bisschen anders: nicht nur weil sie selbst im Sex-Business gearbeitet hat und somit über einen gewissen Erfahrungshorizont verfügt; nicht nur weil die Heldin von „Die Rachegöttin“ ein Ex-Porno-Star namens Angel Dare ist, sondern weil Fausts Romane ganz atavistische Pulp-Fiction sind. Also Kriminalliteratur unzensiert.
Die Story ist einfach, aber effektiv: Angel Dare hatte einen Mädchenhändler-Ring auffliegen lassen (das kennen wir aus „Hardcore Angel“), war im Zeugenschutzprogramm nicht sicher und ist auf der Flucht, von einer gefälschten Existenz in die andere. Als sie als Kellnerin in einem Diner jobbt, trifft sie zufällig einen alten Kollegen und dessen Sohn. Auch hinter diesen beiden sind Leute der unangenehmen Sorte her, und als der Vater umgebracht wird, fliehen Angel und der Junior, der an einem Kampfsport-Turnier in Las Vegas teilnehmen will. Ein klassischer „Auf-der-Flucht“-Roman, denn natürlich führt die Flucht vor der einen Bande in die Arme der anderen, nämlich der Verbrecher, die hinter Angel her sind. Die Angelegenheit wird sehr blutig.
Porno-Business und Kampfsport rücken nicht nur personell zusammen, sondern haben das Primat des Physischen gemeinsam. Funktionalisierte, funktionierende Körper wie die von Angel und des Kampfsportveteranen Hank „The Hammer“ Hammond sind so perfekt getrimmt, dass sie alles können. Mit ihren Körpern kommunizieren die Figuren des Romans, mit Sex, mit Gewalt, mit Folter. Die Moll-Töne, die hier nicht dem üblichen noir geschuldet sind, kommen aus der Unmöglichkeit, mit diesen hochgezüchteten und sehr flexiblen Körpern Dinge zu tun, die mit wirklicher Intimität, Verletzlichkeit, Nähe und Wärme zu tun haben. Angel Dare und The Hammer wären das ideale Paar, wenn da nicht ihre Physis wäre, die mit Emotionalität nicht klarkommt. The Hammer greint hysterisch als seine Impotenz zutage kommt, Angel Dare wird wider Willen zum Gefrierschrank – und diese Schattierung und die Trauer über solche Konsequenzen des (physischen) Machbarkeits-Wahns sind das eigentlich Thema des Romans.
Und das ist allemal spannender und faszinierender zu lesen als viele voll ausgebaute Romane mit Krimi-Touch, weil Christa Fausts Pulp-Fiction nicht räsoniert oder erklärt, sondern alles, was an Sinn und Bedeutung vorhanden ist, in Action und Bewegung auflöst. Let´s get physical hatte Olivia Newton-John einst gesungen – Christa Faust liefert die blutige Konsequenz.
Christa Faust: Die Rachegöttin (Choke Hold, 2011). Roman. Deutsch von Gerold Hens. Berlin: Rotbuch Verlag 2012. 221 Seiten. 14,95 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Zur Facebook-Seite der Autorin.
Zu verschnörkelt
(rum) Die Abnutzungserscheinungen einer Serie zeigen sich im aktuellen Roman von Thomas Raabs Metzger-Reihe, in der ein gewichtiger Restaurator Ungereimtheiten in seiner Umgebung nachgeht, den Blick fürs Kleine hat und Dingen gerne auf den Grund geht. Insofern keine schlechte Wahl der Hauptfigur, die da als Hobbydetektiv kein Stück weniger überzeugend ist als das große Heer kriminalliterarisch nebenher ermittelnder Protagonisten. Zumal Raab seinen Willibald Adrian Metzger freilich nicht als alten Haudegen durch die österreichischen Niederungen schickt, sondern als einen, der fast durch bloße Anwesenheit Dinge in Bewegung bringt.
Im aktuellen, fünften Fall wird Metzger Zeuge eines vermeintlichen Unfalls. Eine Frau stürzt vom Dach eines Krankenhauses. Kurz darauf stirbt ein Obdachloser, mit dem sich Metzger tags zuvor noch unterhalten hatte. Die Spur führt in die Berge, wo es bald einen weiteren Toten gibt. Denn dort oben wird mit härtesten Bandagen um ein Skigebiet gekämpft, das dem Ort Geld bringen soll, für das aber längst nicht alle Landwirte bereit sind, ihre Grundstücke zu verpachten.
Die Geschichte ist nicht neu und man ahnt schon zeitig, um was es da geht. Das wäre zunächst nicht weiter schlimm, weil der 1970 geborene Thomas Raab, der sich schon als Musiker einen Namen machte, seine Geschichten in bissig formulierte, häufig gesellschaftskritische Schleifen packt. Doch das Ganze kommt diesmal allzu behäbig und langatmig daher. Zudem wirkt sein Personal festgefahren. Das ist schon immer wieder witzig, wenn Raab da nach allen Seiten austeilt, aber es ist eben häufig auch nicht mehr als das. Erst ab der Hälfte etwa, wenn das Ganze mehr Zug und mehr Thema bekommt, wird Raabs Stil griffiger. Dennoch: Die Erzählung ist zu weitschweifig, der Ton zu selbstverliebt in seine eigenen Schnörkel. Etwas kompakter, etwas mehr auf den Punkt gebracht hätte diese Geschichte gewonnen. Boshaft genug ist Raabs Witz allemal.
Thomas Raab: Der Metzger bricht das Eis. Roman. München: Piper-Verlag. 351 Seiten. 19,99 Euro. Zur Homepage von Thomas Raab.Verlagsinformationen zum Buch.
Wissenswertes über Spitzbergen!
(JF) Es scheint eine Mission des Kriminalgenres zu sein, auch noch das abgelegenste Fleckchen Erde in einen Tatort zu verwandeln. Nun ist Spitzbergen, der nördlichste Außenposten Norwegens dran. Um die 3.000 Menschen leben hier, Fischer, Bergleute, Naturforscher. Im kurzen Sommer geht gelegentlich ein Kreuzfahrtschiff vor Anker. Im Winter wird es für dreieinhalb Monate dunkel. Kein Wunder, dass da manch einer schwermütig wird.
Monica Kristensen ist Polarforscherin und stand lange Jahre der Kohlebergwerksgesellschaft auf Spitzbergen vor. Jetzt schreibt sie Kriminalromane. Drei sind bereits in Norwegen erschienen, nun liegt der erste, „Suche“, in deutscher Übersetzung vor.
Als die kleine Ella Olsen aus dem Kindergarten verschwindet, glauben alle, dass ihr Vater sie entführt habe. Denn der ist ebenfalls nicht aufzufinden. Dass es in Steinar Olsens Ehe beträchtlich kriselte, gibt dem Verdacht weitere Nahrung. Während heftig nach dem Mädchen gesucht wird, schmiedet eine betrogene Ehefrau Rachepläne. Und ein paar Wilderer versuchen, sich vor der Polizei in Sicherheit zu bringen.
„Suche“ ist kein linear erzählter Roman. Die Autorin präsentiert uns die Handlung als Puzzle, hat allerdings die einzelnen Teile durch Zeitangaben gekennzeichnet. Nicht immer erscheint diese Zersplitterung sinnvoll, zumal gegen Ende des Buches einige mysteriös erscheinende Sachverhalte auf ziemlich nonchalante Weise aufgeklärt werden. Wie man es sich bereits gedacht hat, erweist sich das zentrale Verbrechen als Ergebnis einer Verkettung unglücklicher Umstände. Und ist ebenso erleichtert wie dankbar, dass ein skandinavischer Kriminalroman ohne bizarre Morde oder teuflische Verschwörungen auskommt, dafür aber allerhand Wissenswertes über den Kohleabbau auf Spitzbergen zu berichten weiß.
Monica Kristensen: Suche. (Kullunge. 2008). Roman. Deutsch von Christel Hildebrandt. München: BTB 2012. 332 Seiten. 9,99 Euro.. Verlagsinformationen zum Buch und zur Autorin.