Geschrieben am 15. September 2016 von für Crimemag, Interview

Bloody Questions – The Crime Questionnaire (18)

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The Crime Questionnaire (Vol. 18): Mark Billingham

Der Brite Mark Billingham gehört zu den Krimiautoren, die gern mal unterschätzt und übersehen werden. Vielleicht weil er ein Serienschreiber ist und seine Stand-Alones zum wenig geschätzten Subgenre Psychothriller gehören – gerade erschienen ist „Die Schande der Lebenden“ (Atrium Verlag), erneut eine raffiniert gebaute Geschichte um eine Therapiegruppe und ihre dunklen Geheimnisse. Vielleicht hat das Misstrauen gegenüber Billingham aber auch damit zu tun, dass die ersten Bücher seiner Reihe um den Polizisten Tom Thorne tatsächlich etwas unbeholfen waren. Als Einstieg in das Billinghams Werk sei hingegen unbedingt der 2014 bei Heyne erschienene Band „Der Manipulator“ empfohlen, der Thorne auf eine einsame Insel führt, wo sich ein ziemlich fieser Psychokrieg entspinnt. Sehr lesenswert ist auch das Nachwort, samt einer Playlist, mit der sich Billingham als Kenner der Alternative-Countryszene entpuppt. Vor zwei Jahren hatte ich das Vergnügen, mit Mark Billingham zu Abend zu essen – und tatsächlich haben wir fast mehr über Musik als über Krimis gesprochen. Hier ein paar Auszüge aus dem Text, den ich damals für Krimi-Welt schrieb:

Billingham signiert, Müntefering sinniert (c) Atrium Verlag

Billingham signiert, Müntefering sinniert, (c) Atrium Verlag

Sich mit Billingham zu unterhalten, macht richtig viel Spaß. Weil er kein Blatt vor den Mund nimmt und Gott und die Welt in der Krimiszene kennt. Zum Beispiel George Pelecanos, die Familien Billingham und Pelecanos fahren ab und an zusammen in den Urlaub. Schnell sind wir uns einig, dass das Frühwerk, die Romane um Nick Stefanos zum Besten gehören, was Pelecanos geschrieben hat, sein Meisterwerk aber „Big Blowdown“ sei. Außerdem wusste Billingham zu berichten, dass Pelecanos ziemlich schlecht auf Nic Pizzolatto zu sprechen sei, weil der für „True Detective“ ein Zitat aus „Night Gardener“ gestohlen habe. Außerdem sei Pelecanos, der ja regelmäßig für „The Wire“ geschrieben hat, in Verhandlungen für eine eigene Serie.

Wenn Billingham übers Fernsehen spricht, wirkt er ein bisschen angepisst, in Großbritannien scheint es da nicht sehr viel besser zuzugehen als hierzulande (Stichwort: unfähige, aufgeblasene Redakteure, die bei allem mitreden, aber von nichts eine Ahnung haben) – trotzdem produzieren die Engländer natürlich deutlich bessere Serien („Broadchurch“ zu Beispiel, woran Billingham allerdings auszusetzen hatte, dass es so manches Logikloch gebe, was stimmt). Ob die zwei Dreiteiler, die aus Billinghams frühen Romanen entstanden sind, zu den guten englischen Serien gehören, weiß ich nicht, er selbst meinte, der erste („Der Kuss des Sandmanns“) sei ziemlich gelungen. Zumindest haben sie eine interessante Besetzung: David Morrissey (der Governor aus „The Walking Dead“), Eddie Marsan (der Taxifahrer aus „Happy-go-Lucky“) – und Natascha McElhone. Zu der Schönheit aus der Serie „Californication“ sagte Billingham: „Sie ist wirklich unglaublich hübsch, aber null sexy. Es wurden zwar Sexszenen mit ihr und David gedreht, aber hinterher wieder herausgeschnitten.“

Über Carlo Lucarelli, der wie Billingham im Rahmen des Harbour Front-Festivals in Hamburg gelesen hat, und seinen Roman „Almost Blue“ (der im Deutschen merkwürdigerweise „Der grüne Leguan“ heißt) kommen wir auf Elvis Costello und Countrymusik. Billingham ist ein großer Fan von „echtem“ Country (also nicht Garth Brooks und der ganze andere Nashville-Mainstream, geht demnächst sogar mit dem großartigen britischen Country-Duo My Darling Clementine auf Tour. Mit Plaudereien über seine Vorbilder (Elmore Leonard – „ein Mann mit einem sehr speziellen Humor“, William McIlvanney – „ohne ihn gäbe es Tartan Noir nicht, er sieht aus wie Clark Gable“) und Kollegen („Jo Nesbö scheint der Erfolg ein bisschen zu Kopf gestiegen zu sein, wie man so hört“) geht der Abend dann zu Ende.

Bloody Questions – The Crime Questionnaire

German Edition

1 Haben Sie je darüber nachgedacht ein Verbrechen zu begehen oder gar schon mal eines begangen?

Natürlich habe ich viele schreckliche Dinge erwogen…aber das Schlimmste, das ich tatsächlich jemals getan habe, war, als Kind ein paar Bücher zu stehlen. Dieser kurzen kleinkriminellen Phase habe ich möglicherweise meine Liebe zu Büchern und meine spätere Karriere zu verdanken. Ich wurde allerdings einmal Opfer eines Verbrechens – und zwar eines ziemlich brutalen. Maskierte Männer schlugen mich und nahmen mich in einem Hotelzimmer als Geisel. Eine Erfahrung, die sich sicherlich in meinen Romanen niederschlägt.

2 Wer ist der schlimmste Schurke (oder der beste Bösewicht) der Literaturgeschichte?

In dieser Kategorie ist Hannibal Lecter wohl unschlagbar. Allerdings war er am interessantesten und zwingendsten, solange er nicht erklärt wurde. Solange er einfach nur… da war. Sobald Thomas Harris beschlossen hatte, jeden wissen zu lassen, dass Lecter so wurde, wie er ist, weil er gezwungen worden war, seine Schwester zu essen, war er entzaubert! Also, jeder, dem so etwas passiert, wird wohl ein bisschen seltsam, oder?

3 Erinnern Sie sich an Ihren ersten literarischen Mord?

 In vielerlei Hinsicht war mein erstes Opfer auch meine erste Hauptfigur. Alison Willetts liegt während meines gesamten ersten Romans „Der Kuss des Sandmanns“ im Koma, Locked-in-Syndrom. Auch wenn der Polizist Tom Thorne am meisten Bühnenzeit hat, war Alison die Figur, die mich wirklich interessiert hat. Ich war entschlossen Romane zu schreiben, in denen sich alles um die Opfer dreht. Bücher, in denen ein Opfer keine andere Funktion hat, als die Handlung voranzubringen, interessieren mich nicht. Für mich ist es wichtig, dass der Leser auch die Opfer kennenlernt und mit ihnen empfindet. Was wiederum mit dem eben angesprochenen Verbrechen zu tun hat, dessen Opfer ich wurde.

4 Die Beatles-oder-Stones-Frage: Hammett oder Chandler?

Keine Frage, Hammett. Auch nach 90 Jahren prickelnd und ohne ein Gramm Fett zuviel.

5 Haben Sie schon einmal einen Toten gesehen? Und wenn ja: Wie hat das Ihr Leben verändert?

Als ich noch ein Kind war, hat man mich mitgenommen, um meinen gerade gestorbenen Großvater noch einmal zu sehen. Ich habe es gehasst. Warum tun Menschen Kindern so etwas an? Ich habe auch kein Interesse daran, aus Recherchezwecken an einer Autopsie teilzunehmen

6 Wurden Sie jemals Zeuge oder Opfer eines Verbrechens?

Ich habe Donald Trump im Fernsehen gesehen. Zählt das?

7 Gibt es irgendjemanden auf der Welt, dem Sie den Tod wünschen?

Da verweise ich auf meine vorherige Antwort.

8 Welche Jobs hatten Sie, bevor Sie vom Schreiben leben konnten?

Ich war Schauspieler und später Stand-up-Comedian, insgesamt 20 Jahre lang. Ich habe mich immer als Performer verstanden, das gilt auch heute noch. Ein Roman ist auch eine Performance, und ich versuche, die beste Show zu bieten, um meine Leser zu unterhalten.

9 Wären Sie nicht Schriftsteller – was würden Sie stattdessen tun (wollen)?

Ich weiß nicht, ob ich für etwas anderes geeignet bin, als zu unterhalten. Ich habe damit begonnen, ernsthaft Songs zu schreiben, vielleicht wäre das eine Alternative. Auf jeden Fall würde ein Traum für mich wahr werden, wenn ein Musiker, den ich wirklich bewundere, einen meiner Songs aufnehmen würde.

10 Hören Sie beim Schreiben Musik? Und falls ja: welche?

Musik zu machen und zu hören ist aus meinem Leben nicht wegzudenken. Es gibt Künstler und Alben, die ich immer wieder höre, während ich an meinen Büchern arbeite. Allerdings nicht, während ich tatsächlich schreibe, vor allem der Gesang und die Texte würden mich zu sehr ablenken. Die meisten Musiker, die mich begleiten, machen Country – George Jones, Hank Williams, Johnny Cash –, aber es vergeht kaum eine Woche, in der ich nicht Elvis Costello oder The Smiths höre.

11 Schreiben Sie lieber tagsüber oder nachts? Zu Hause am Schreibtisch oder wo immer Sie gerade sind?

Normalerweise schreibe ich an meinem Schreibtisch, meistens nachts. Es ist praktischer, weil es dann ruhig ist zu Hause und weder E-Mails noch lästige Anrufe kommen. Außerdem ist es besser, wenn ich auch dem Fenster schaue und nichts sehe. Die Dunkelheit passt gut zu der Art Romanen, die ich schreibe, und ich werde nicht von Eichhörnchen und Vögeln abgelenkt.

12 Was machen Sie, wenn Sie nichts Vernünftiges zu Papier bringen?

Das passiert tatsächlich öfter, aber du arbeitest immer an deinem Buch, und wenn es nur in deinem Kopf ist. Auch wenn ich nicht tippe, denke ich über Dinge nach, spreche mit mir selbst und benehme mich wie ein Verrückter. Während ich an einem Roman arbeite, gerate ich immer wieder in Sackgassen. Das Einzige, was du dann tun kannst, ist, die Arbeit eine Zeitlang ruhen zu lassen. Irgendwann klappt’s dann wieder.

13 Was passiert nach dem Tod? Und was sollte nach dem Tod passieren?

Nichts. Natürlich sollten nach meinem Tod Statuen aufgestellt werden und Feiertage ausgerufen werden. Ich habe aber den Verdacht, dass sich bestenfalls ein paar Leute betrinken werden.

14 Verbrechen und Bestrafung: Was halten Sie vom Prinzip Auge-um-Auge/von der Todesstrafe?

Ich bin total dagegen. Die Todesstrafe ist barbarisch und gehört nicht zu zivilisierten Gesellschaften.

15 Ihr Kommentar zu dem Bert-Brecht-Zitat „Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank“…

Mr Brecht hat absolut recht. Ich bin zwar auch kein großer Fan von Bankräubern, aber was sie tun ist belanglos gegen das, was die getan haben, von denen sie stehlen.

16 Was soll auf Ihrem Grabstein stehen?

Mark Billingham. Großer Philanthrop. Toller Liebhaber. Dreister Lügner.

 

Marcus Müntefering

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