Ein Mann sieht rot
– Frankreich hat eine lange und schöne Tradition der schmutzigen, gemeinen Noirs, die bei uns allerdings nicht gerade breitenkompatibel ist. Das ist nicht gut, findet Lutz Göllner und empfiehlt die Serie „Braquo“, wenn auch mit der gebotenen Skepsis:
1977 war das ZDF mal in Experimentierlaune. Neben dem tranigen „Kommissar“-Nachfolger „Derrick“ wollte man auch eine Krimiserie etablieren, die etwas andere Wege ging. Dazu lud man den international erfahrenden französisch-schweizerischen Regisseur José Giovanni („Endstation Schafott“, „Der Rammbock“) ein, einige Folgen der neuen Serie „Der Alte“ zu inszenieren. Was danach folgte, nennt man heute einen Shitstorm: Weil der knurrige Kommissar Köster auch mal zu unkonventionellen Methoden griff (er überführte einen Täter aufgrund eines gefälschten Geständnisses), empörten sich damals die Gewerkschaft der Polizei, der Richterbund und die „Bild“-Zeitung. In der Folge wurde Giovanni nicht nur gefeuert, er bekam Arbeitsverbot beim ZDF und seine Folgen vom „Alten“ blieben bis zum Jahr 2003 für Wiederholungen gesperrt.
Was wohl diese üblichen Verdächtigen heute zu Serien wie „The Shield“ oder „Braquo“ sagen würden?
Immerhin: Als Dominik Graf vor vier Jahren seine Serie „Im Angesicht des Verbrechens“ machte, zogen viele Kritiker den Vergleich mit der Fox-Serie „The Shield“ durchaus als Lob. Was natürlich lächerlich war, Grafs kreuzbraver Russenmafia-Stoff hat mit Vic Mackeys Strike-Team ungefähr so viel zu tun, wie der triefäugige „Derrick“ mit den „Straßen von San Francisco“.
Endlich: Braquo
Auftritt Olivier Marchal, Expolizist, Drehbuchautor, Regisseur, erklärter Nachfolger von Jean-Pierre Melville, melancholischer Teddybär und eine der umstrittensten Gestalten des zeitgenössischen französischen Kinos. Seine Serie „Braquo“ ist nun genau so brutal wie „The Shield“, genau so dreckig, hart und hat ähnlich zerrissene Charaktere.
Allen voran Jean-Hugues Anglade, den man in Deutschland vermutlich zuletzt 1986 als sensiblen Möchtegernschriftsteller in „Betty Blue“ wahrgenommen hat. Nun gibt er den markigen, bärtigen, lederbejackten Eddy Caplan, den Anführer einer – na, sagens wir mal freundlich – unkonventionellen Polizeitruppe. Die nimmt es weder mit der Körperpflege noch mit den Gesetzen sonderlich genau, zumal am Beginn der Handlung ihr Kollege Max ihrer Meinung nach fälschlich beschuldigt wird und Selbstmord begeht. Die Truppe will seinen Namen unter allen Umständen reinwaschen, das bringt sie ins Visier des internen Ermittlers Vogel. Ihr einziger Verbündeter ist der pensionierte Polizeifunktionär Bordier, der jedoch durchaus eigene Ziele verfolgt. Aber auch die Gangster, gegen die Eddy und seine Kumpane ermitteln, geben keine Ruhe. Die Spielsucht von Walter, einem Mitglied von Eddys Einheit, gibt ihnen den nötigen Hebel in die Hand. Eine Abwärtsspirale wird in Gang gesetzt.
Die in der zweiten Staffel dazu führt, dass die gesamte Einheit außerhalb des Gesetzes operiert. Es geht um eine Söldnertruppe, die zwischen eigenen Interessen und dem Geheimdienst agiert. Caplan wird dort eingeschleust und übernimmt den Auftrag, um die eigenen Leute vor den internen Ermittlern zu retten. Für diese acht Folgen bekam „Braquo“ dann auch einen internationalen Emmy als beste Dramaserie 2012. Laut Anglade sollte die dritte Staffel – die Frankreich in diesem Sommer lief und in der es gegen die russische Mafia geht – die letzte sein, da am Ende jedoch mindestens zwei Handlungsstränge offen bleiben, könnte es auch danach noch weiter gehen.
Marchal
Von Olivier Marchal stammt die in Teilen beeindruckende Kinotrilogie „Gangsters“, „36 Quai des Orfèvres“ und „MR 73“ sowie die Gangsterballade „Les Lyonnais“ (die brunzdummen deutschen Titel liefere ich nur nach, wenn der Redakteur mich dazu zwingt, nein, macht er nicht, der Redaktör). Und zumindest der letzte Teil von Marchals Polizeitrilogie legte bereits die Frage nahe, ob es sich beim Regisseur nun um einen katholischen Faschisten handelte oder ob er einfach die Pfanne heiß hat. In einer furiosen Parallelmontage inszenierte er hier Hybris und Geburt, den Tod und das neue Leben. Handwerklich war das durchaus gut gemacht, aber die vor Pathos triefende Symbolik war schon ziemlich unerträglich. Marchal hätte seine Zuschauer auch gleich ohrfeigen können: „Verstehst Du’s jetzt? Weißt Du was ich meine? Oder soll ich Dir meine Sicht der Welt noch deutlicher zeigen?“ Och, nö, muss nicht sein.
Immerhin kann man Marchal zugestehen, dass er vom Fach ist: Von 1978 bis 1982 arbeitete er bei der Kriminalpolizei in Versailles, danach wechselte er in die Antiterroreinheit und war dabei auch an Ermittlungen gegen die linksradikale Terrororganisation Action directe beteiligt. Ab 1985 schob er sieben Jahre lang Nachtdienst im 13. Arrondissement. So etwas prägt. Bei „Braquo“ tritt er nun als Autor und Regisseur der ersten sechs Folgen auf, danach ist er „nur noch“ als Produzent im Team.
Cf. The Shield
Trotzdem ist der Unterschied zu „The Shield“ signifikant. Zwar ist Vic Mackey, Hauptperson der US-Serie, „Heinrich Himmler mit Sheriff-Stern“, wie es ein Kritiker mal schrieb, aber er ist kein Held – jedenfalls nicht für geistig gesunde Menschen. Als Zuschauer verstehen wir seine bösen Taten, billigen sie zwar, aber sie werden nicht gerechtfertigt. Je länger „The Shield“ dauerte, umso mehr verfingen sich Mackey und seine Leute im Netz, alles, was sie taten, machte die Sache immer schlimmer und schlimmer. Es gibt keine Aktion ohne Reaktion, und was von Anfang an falsch ist, kann man nicht mehr richtig machen. Perfide wurde es, als in der fünften Staffel der interne Ermittler Kavanaugh (gespielt von Triefauge Forest Whitaker) auftauchte, der zwar alles richtig machte, sich an Recht und Gesetz hielt, aber der Zuschauer ihn trotzdem von Anfang an hasste. Am Ende landen alle Figuren von „The Shield“ in jener Hölle, die sie sich selbst gebaut hatten.
Eddy Caplan und sein Team stehen anders da. Sicher, auch sie sind Außenseiter, aber die Welt, die gegen sie steht, ist selber von Grund auf böse. Gangster, Söldner, Geheimdienste, Innenpolitiker, sie alle sind Teil einer bedrohlichen, verlogenen Koalition, also sind Caplans Leute doch Helden. Sie stehen gegen ein undurchsichtiges System, das die Macht unter sich aufteilt. Das Verbrecher und Polizei sich ähneln ist ja auch genremäßig ein alter Hut, in Hollywoods Schwarzer Serie wurde es angedeutet, spätestens mit Clint Eastwoods „Dirty Harry“ hatten wir Zuschauer es gefressen. Nur ZDF-Redakteure haben das wohl lange nicht verstanden.
Olivier Marchals „Braquo“-Team nun feiert die faschistoide Grundhaltung des „Wir gegen Die“ als wahres Heldentum und steht damit politischen Haltungen wie denen der Tea Party viel näher als Vic Mackey. Auch in Frankreich feiert diese erzreaktionäre Haltung gerade politische Erfolge: Fast ein Viertel unserer Nachbarn machte bei den Europawahlen in diesem Jahr ihr Kreuz bei der rechtsextremen Front National. Ob dieses Ergebnis etwas mit dem Erfolg von „Braquo“ zu tun hat? Ich hoffe nicht. Ob Marchals Schöpfung trotzdem eine sauspannende, gut gemachte und extrem unterhaltsame Serie ist? Ja, doch, leider, möchte man fast sagen.
Lutz Göllner
Braquo – Die komplette erste Staffel.
2 Blu-rays. Studio Hamburg Enterprises. Laufzeit: 400 Minuten. Produktionsjahr: 2009. Darsteller: Jean-Hugues Anglade, Nicolas Duvauchelle, Joseph Malerba, Karole Rocher u.a. Regisseure: Olivier Marchal, Frédéric Schoendoerffer. Erscheinungstermin: 21. Februar 2014. Sprache: Deutsch, Französich (Dolby Digital 2.0). Keine Extras.Braquo – Die komplette zweite Staffel.
2 Blu-rays. Studio Hamburg Enterprises. Laufzeit: 400 Minuten. Produktionsjahr: 2011. Darsteller: Jean-Hugues Anglade, Nicolas Duvauchelle, Joseph Malerba, Karole Rocher u.a. Regisseure: Philippe Haïm, Eric Valette,. Erscheinungstermin: 28. März 2014. Sprache: Deutsch, Französisch (Dolby Digital 2.0). Keine Extras.