Geschrieben am 7. Mai 2011 von für Carlos, Crimemag, Kolumnen und Themen

Carlos

Politische Freunde kann man sich aussuchen. Oder sollte es zumindest. Es ist aber nicht immer so einfach. Ein Report mit Weinschorle, hier bei Carlos:

Ja, ich habe gebrüllt!

So laut, wie seit der Niederringung der blau-weißgestreiften Andensöhne und ihres Trainertrolls im letzten Jahr nicht mehr. Zwar ging mir sofort mein Mappuschnuffi haptisch und schmusetechnisch ab, aber der grün/rote Wahlsieg vor einigen Wochen, der hat unsereinen im Südwesten schon nachhaltig erfreut – doch, doch!

Allerdings: Ein bissel mulmig war und blieb es mir – und bevor die Neuen in Stuttgart loslegen, sei davon berichtet:

Am Vorabend der Wahl besuchte mich mein langjähriger Freund Alwin Buck aus Oberschwaben. Alwin ist ein körperlich von mir sehr gut zu unterscheidender agiler Pädagoge, der sein – zuzugebendermaßen – kaum vorhandenes Längenwachstum durch Mut, Raffinesse, ja eine mitunter tollkühne Frechheit mehr als ausgleicht.

(So hat der Lebenszeitbeamte auch schon mal Schulmöbel vom Arbeitsplatz entwendet und schamlos auf dem örtlichen Flohmarkt verscherbelt – auch eine tollkühne Verfolgungsjagd zwecks der Vermeidung einer Alkoholkontrolle hat er auf dem Buckel. Und vor allem: Er hat sie gewonnen.)

Es nimmt also nicht wunder, dass er bevorzugt Etablissements zur Erfrischung des Leibes aufsucht, die mir schreckhafter Natur so nicht in den Sinn kämen. Aber wenn er schon mal da ist …

Wir saßen in einer Art Aquarium oder Gewächshaus, das Yunus, der türkische Dorfwirt, als Raucherkabine konzipiert und erbaut hat. Es ist gut, dass Yunus nicht Innenarchitekt geworden ist. Der Glaskasten war mit einer elektronischen Slotmaschine, einem dröhnenden Fernseher (Länderspielabend!) und vier recht mitgenommenen Personen eingerichtet. Wie sich herausstellen sollte: mit Gaby, ca. 40, ihrem für uns namenlosen Bespringer, mindestens zehn Jahre jünger, einem alterslos verwitterter Herrn, der irgendwie präsidial am Tischende saß und sich per Sticker als SPD-Wahlkämpfer outete. Und dann war da noch ein sturzbetrunkener, aber ansonsten gut situiert tuender älterer Herr, der sich sogleich lallend an uns wandte, um zu sagen, dass er Rainer sei.
Wie angedeutet, ich hätte vermutlich eher einen Schlaganfall simuliert oder gar haben mögen, denn mich länger als zwei Minuten diesem Volk auf engstem Raum auszuliefern, aber Alwin schien mit der Ortswahl hochzufrieden und orderte bei Yunus ein großes Weizenbier.
Alle vier waren sie erkennbar schwere Trinker, Gaby war darüber hinaus zweifellos spielsüchtig, hämmerte die Münzen geradezu ins bimmelnde Groschengrab, was zur strapaziösen Geräuschkulisse nicht eben wenig beitrug, aber immerhin: Bis zur Halbzeit konnten wir uns das Gelump einigermaßen vom Hals halten, ich hoffte schon, Alwin Buck sei mit den Jahren etwas kontaktscheuer geworden, aber als in der Pause kurz der große Westerwelle durchs Bild schritt, war es damit vorbei: „Dich Drecksschwuchtel!“, schrie der Wahlkämpfer, „dich haben wir dann auch bald los!“
Hätte man nur einfach stillgehalten, es hätte ja noch gut gehen können, aber ich sah das wölfische Blitzen in Alwins Augen und schon hatte er’s gefragt: „Wie wird’s wohl morgen ausgehen? Was meinen Sie?“

Der Sozialdemokrat legte die Stirn in Falten, was erstaunlicherweise noch ging, denn ohnehin hing ihm seine Gesichtshaut lappenhaft am Schädel: „Wir oder die Grünen machen’s. Wird grün/rot oder rot/grün. Ist ja auch scheißegal. Hauptsache die Arschlöcher sind weg!“

Kichernd ergänzte Gaby: „Ich hab ein Mappus-Plakat gesehen, da hat einer ‚Sau‘ draufgeschrieben! Voll geil!“ Meckernd lachte nun auch ihr Bespringer, stemmte seine sehr große Rotweinschorle in den Tabakdunst und rief: „Auf den Wechsel.“

Ich war also, und das gab mir zu denken, nicht nur mit einer bemerkenswert randständigen Clique zusammen – ich war unter politischen Freunden.

Einzig Rainer hatte sich noch nicht so richtig zur ökologisch sozialen Wende bekannt und das blieb Alwin nicht verborgen: „Und Sie? Noch unentschieden?“

Gaby warf das restliche Hartz IV ein, aber durch das Geklimper glaubte ich ein gegurgeltes „diellinke, links“ zu hören. Und ich täuschte mich wohl nicht, denn der Wahlkämpfer ging Rainer sofort frontal an: „Du warst fünfmal bei mir am Infostand! Drei Äpfel hast du bekommen und zwei Rosen. Du weißt, was du wählen musst, du Depp!“

„Weiß es nicht“, jammerte Rainer und bestellte bei Yunus durch die Scheibe pantomimisch ein weiteres, wohl lebensbedrohendes Weizenbier. Erregt griff der enttäuschte Sozialdemokrat währenddessen nach seinen Zigaretten.

Das bescherte Rainer dann aber ein überraschendes Oberwasser: „Ihr Raucher!“, schrie es los. „Ihr Scheißraucher!“ Wütend wedelte er auch in meine Richtung. „Diese Raucher!“

Konnte man vergessen, dass dieser deprimierende Glaskasten den eben einen Sinn hatte, nämlich vollgeraucht zu werden? Rainer schon.

„Das Spiel geht weiter!“, sogar Alwin schien ein wenig angegriffen von der desolaten Kommunikation.

„Ich weiß es nicht – die Linke!“, artikulierte Rainer etwas klarer und dennoch am Thema vorbei, verstand dann aber doch, winkte müde und bitter ab und brummte, er weigere sich „diese Asylantentruppe“ anzuschauen.

„Zwei Äpfel und drei Rosen“, vertat sich der Sozialdemokrat kaum, wie altersmild kopfschüttelnd. „Yunus!“, brüllte er los. „Noch eine!“, und stemmte seine Schorleglas siegesgewiss.

Das war mir gar nicht aufgefallen: Neben dem Bespringer, trank auch er Rotweinschorle aus dem Halbliterglas, ja, sogar die jetzt bankrotte Gaby hatte dieses Getränk vor sich stehen – wohl zum fünften Mal an diesem schönen Abend. Nun sei es nach Preußen und Hollstein vermeldet – der Süddeutsche trinkt in der Tat ganz gerne mal Wein mit Sodawasser – meist aber aus etwas kleineren Gläsern, und gegenüber der Weißweinschorle ist die rote eher selten bis absonderlich. Ganz unten auf der Trinkskala ist die große Rotweinschorle, die statt mit Mineralwasser mit Zitronenlimonade gepanscht wird, zu verorten. Und eben so eine mischte Yunus am Tresen, ich sah die gelbe Flasche deutlich. Ein Getränk der hoffnungslosesten Sorte war also das bevorzugte Genussmittel meiner neuen Freunde.

„Scheiß Mappus!“, sagte der Bespringer und kicherte.

„Kuckt euch das an!“, schrie der Wahlkämpfer. „Wie viel Wein der da reingießt! Kein Wunder, dass ich so einen Zapfen habe!“

Yunus nutzte dann die Auslieferung der Wahlkämpfererfrischung nicht nur zur Entgegennahme dreier weiterer, fast atemlos vorgebrachter Bestellungen: zwei große Rotweinschorle süß, ein „Scheißweizenbier! Scheißraucherei!“, sondern auch zu einer bemerkenswerten Demonstration.

„Da, kucken!“, sagte er. Und warf zwei Münzen in den Spielautomaten, riss fast gleichzeitig den Stecker aus der Wand, verharrte kurz, tat ihn wieder hinein und sagte leise: „Jetzt kucken!“ Wie bei einem PC-Start baute sich die Grafik der Höllenmaschine etappenweise auf, anders als bei einem PC-Start sonderte das Gerät während der Ladephase diarrhoehaft sein finanzielles Innenleben ab. „Geil!“, sagte Gaby und hörte auch dann nicht auf zu lächeln, als Yunus das Geld (ihr Geld) gleichmütig einsteckte und mit den völlig rätselhaften Worten: „Vierzig Cent, nicht zwanzig Cent!“, die Rauchhölle verließ.

„Ich war zwei Mal in Norwegen!“, wechselte Rainer taktvoll das Thema.

„Und wie war das?“, fragte Alwin freundlich.

„Wie das war?“, wahrhaftig, Rainer hielt sich lauschend die Linke (sic!) hinters Ohr.

„War’s schön?“

„Es war, es war“, er schien nachzudenken, jetzt fiel es ihm ein: „Geil!“

„Der Norden ist schön?“, listig trieb ihn Alwin vor sich her.

„Ich war auch drei Mal in Menorka!“, Rainer hob drohend den Zeigefinger.

„Der Norden und der Süden sind schön“, half ihm Alwin entzückt, aber das war zu viel für den linksradikalen Müllsack. „Ich bin einundsechzig“, weinte er. „Und hier geboren. Ich weiß nicht, was ich wählen soll. Die Linke?“

„Wie stehen Sie zur Linken?“, längst in Hochform band Alwin nun, während Yunus freundlich die nächste Runde servierte, den Politprofi ins Gespräch.

Der zuckte mit den Schultern: „Im Prinzip gibt’s mit denen kein Problem. Mit denen können wir auch. Sieht man ja. In Dings…“

Und nun hatte ich eine suizidale Anwandlung und ergänzte „Norwegen“.

„Nein, Berlin!“ Er nahm es mir wohl nicht weiter übel. „Aber so lang der Scheißlafotaine lebt, geht da nix.“

„Hallo!“, drängte sich Rainer wieder ins Geschehen und zupfte Alwin am Ärmel. „Hier!“ Der Elende versuchte mithilfe eines Bierdeckels seine Norwegenrundreise nachzustellen, scheiterte aber an dessen rechteckiger Form beträchtlich und warf ihn enttäuscht weg, traf den Bespringer am Handgelenk.

„Was soll das?“, fragte der in einer beinahe akademischen Strenge. „Was soll das?“ An Gaby und den Wahlkämpfer gewandt: „Ich müsste den jetzt eigentlich zurückwerfen!“

„Ach komm“, sagte der Wahlkämpfer. „Lass den doch.“

„Rainer!“, rief der Bespringer. „Hier! Ich gebe dir den Bierdeckel, den du nach mir geworfen hast. Eigentlich“, er lächelte nachsichtig, „müsste ich dir den zurückwerfen! Denn“, es war ihm sehr ernst, „du hast ihn ja zu mir geworfen.“

„Danke! Und Entschuldigung“, sagte Rainer demütig und fragte dann in unser Richtung: „Was hat er gesagt? Was ist? Ich könnte auch“, er lächelte wie ein erwachendes Kind, „die Republikaner wählen! Weil in Rainer die Buchstaben sind!“

„Das R!“, sekundierte Alwin begeistert, während ich Yunus mit dem Geldbeutel winkte.

„Genau!“, erleichtert nickte Rainer.

„Das E!“

„Ja, das auch!“

„Das P!“ jauchzte Alwin.

Darüber musste Rainer nachdenken und damit war er immer noch nicht fertig, als wir (endlich) gezahlt hatten und gingen.

Später beplauderten wir zwei noch bei einem Becher Schaumwein, ob wir denn wohl glücklich seien. Als Definition für Glück schlug ich vor, dass es der Zustand ist, in dem man sich befindet, wenn man nicht Rainer ist.

Wir waren sehr glücklich.

Und dann haben wir ja alle zusammen den Wahlkrimi gewonnen!

Auf den Wechsel!

Carlo Schäfer

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