Geschrieben am 9. Februar 2013 von für Carlos, Crimemag

Carlos

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Carlo setzt eherne Normen – heute: Wie funktioniert ein Oberthriller?

Da sehen Sie mal:

Jetzt habe ich es mal wieder getan, ich habe einen Schriller gelesen. Der Schriller ist hiermit sozusagen der Oberthriller, der, bei dem man merkt, dass ein Agent oder Lektor, am Ende der Autor selbst, den Text nach allen Regeln der Nichtkunst bearbeitet hat, auf dass er spannend sei.

Ganz, ganz spannend!

Superspannend!

Nein, ich nenne den Titel nicht, Kollegenschelte muss nicht sein. Ich darf stattdessen einige Passagen erfinden, die verdeutlichen mögen, was ich meine, was mich leiden ließ:

Nora keuchte. Wieder und wieder sah sie das Bild des Grauens, das sich vor dreißig Jahren in ihr Gehirn gebrannt hatte. (Wichtig! Um was es sich dabei handelt, sagen wir erst gegen Ende des Buchs – es darf dann ruhig etwas banaler sein, es hat ja seinen Zweck erfüllt). Nimm dich zusammen, Nora, herrschte sie sich in Gedanken an. Dabei war sie jetzt, ohne es zu wissen, im Begriff, in eine Katastrophe zu geraten, die alles Erlebte in den Schatten stellen sollte. (Wichtig! Den Leser nun immer wieder, praktisch ständig daran erinnern, dass etwas furchtbar Schlimmes passieren wird – in ca. 200 Seiten.) Kaum hatte sie das vertraute, doch so lange gemiedene Gebäude betreten, bemerkte sie den widerlichen Geruch des Todes. (Cliffhanger, am besten nach jedem Absatz!)

(Neues Kapitel:)

Währenddessen fragte sich Bruno, am Schreibtisch beim Blick über den Hafen, ob er Nora in sein finsteres Geheimnis einweihen sollte, schließlich wollten sie bald heiraten. Er spürte, dass er das nicht konnte – zu viel stand auf dem Spiel, zu lange hatte er die Maske getragen, sie war ein Teil seiner selbst geworden. Es klopfte. Ehe er etwas sagen konnte, wurde die Tür geöffnet. Was er dann sah, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren.

(Neues Kapitel:)

Nora versuchte, sich zu beruhigen. Die Therapie bei Gesine Starenhorst hatte ihr da einige Methoden mit auf den Weg gegeben.

„Ich bin eine starke Frau“, keuchte sie. „Bin in der Welt geborgen. Ich sehe einen Teich …“, sie brach ab. Es war albern. Vor ihr lag ein toter Hund, kein schöner Anblick, aber auch nichts, wovor sie, die erfolgreiche Gynäkologin und alleinerziehende Mutter von Justus, in Panik geraten musste.

Eigentlich ging ihr Spruch weiter: „Ich sehe einen Teich voller Seerosen. Ich sehe mein Spiegelbild im Wasser. Alles ist gut!“ Sie sollte diesen Satz früher wieder brauchen, als ihr lieb sein konnte.

Angewidert stieg sie über den toten Hund und öffnete die Tür zu dem Zimmer, wo sie damals mit Jim Frust Justus gezeugt hatte, zwei Jahre vor Jims rätselhaftem Verschwinden. Alles sah ganz normal aus, sogar die Uhr tickte. Aber wer hatte die aufgezogen? Nora hatte das Gefühl den Boden unter den Füßen zu verlieren.

„Na sowas!“, ertönte ein Stimme. Nora stieß einen Schrei aus.

(Neues Kapitel:)

Bruno atmete auf. „Mein Gott, Jonny! Ich habe dich im ersten Moment mit Jim verwechselt, dem verschwundenen Ex-Mann meiner Verlobten.“

Jonny lächelte: „Für euch sehen eben alle Iren gleich aus“, er deutete auf sein flammend rotes Haar. „Dabei bin ich doch nur der Gebäudereiniger!“ Sein Blick fiel auf die Pillenschachtel, bevor Bruno sie unter dem Schrumpfkopf aus Tasmanien verstecken konnte, dem letzten Geschenk seines Vaters vor dem Mord, der nie aufgeklärt werden sollte. „Sie nehmen das aber nicht ständig, Herr Dr. Hummel?

Bruno holte tief Luft. Jonny meinte es gut, aber er konnte ja nicht wissen, was Bruno beinahe jeden Tag befürchten musste. Das, was noch schlimmer war, als sein Geheimnis.

(Neues Kapitel)

„Mein Gott, Laura“, Nora atmete auf, als sie treue Seele wiedererkannte, die sich anscheinend immer noch um das Haus kümmerte. „Wie schön, Sie wiederzusehen! Und könnten Sie die den toten Hund vielleicht entsorgen?“

Laura sah sie erstaunt an. „Aber Fräulein Nora! Da ist kein toter Hund!“

(Neues Kapitel:)

Gesine Starenhorst blickte zur Uhr. Kein Patient würde mehr kommen, sie war mit diesem Scheusal ganz alleine. Und sie konnte ihn nicht sehen, ihre Augen waren mit Tesamoll verklebt, fast fürsorglich. (So einen kleinen Logikfehler können wir stehen lassen.) Sie wusste, dass sie Schmerzen haben würde, wie unerträglich die werden würden, wusste sie noch nicht.

(Und jetzt führen wir noch den Mörder ein. Er ist die eine Person, die in der Handlung eigentlich vollkommen überflüssig ist, aber dennoch immer wieder – und zwar sehr sympathisch – auftaucht.)

Nora saß wieder in dem kleinen Café und versuchte, sich zu beruhigen. Am Tresen stand, wie auch gestern, der gutaussehende Barmann.

„Sie sehen aber gut aus, dafür dass Sie eigentlich gar nicht gut aussehen!“, sagte er freundlich in ihre Richtung.

Das erste Mal an diesem Tag musste Nora lachen. „Ja, ich bin ein bisschen durch den Wind, ein Espresso wäre gut!“

„Kommt sofort, ich heiße übrigens Heinz.“

Sie lächelte. „Ein schöner Name.“

„Haben Sie heute Nacht schon etwas vor?“, fragte Heinz, als er ihr den ausgezeichneten Espresso auf ihren Bistrotisch stellte. Ihr fiel auf, dass er gut roch, also Heinz. „Ich würde gerne mit Ihnen nachts in den Wald gehen!“, sagte Heinz.

Nora wurde es zum ersten Mal an diesem trüben Tag warm. „Warum nicht?“, hörte sie sich sagen. „Es wird uns schon keiner fressen!“ Sie konnte nicht ahnen, dass genau das ihr in diesem Moment drohte, wie nie zuvor in ihrem Leben.

Ein Zweizeiler zum Schluss:

Schriller, Schriller, schrillt daher!

Pulle auf, ich kann nicht mehr!

Carlo Schäfer

Mehr von und über Carlo gibt’s hier.