Carlos ist vielseitig. Deswegen spricht er heute zu uns, auf dass das Geistige nicht zu kurz komme, über: das Gedicht.
Der Bücherherbst wird groß, oh Herr!
Warum immer in den Niederungen des Krimis, des Schrillers waten, warum nicht hinauf in die Sphären der Ätheren, der ewigen Kunst, der Literrrrrrrrrrratur (Marcel R. R.)?
Diese Titel warten noch, gründeln im Urschlamm des reich gedüngten weiten Feldes der Poesie. Wer wird sie mäeutisch dem Schlamm (igitt!) entreißen?
Rainer
„Gedicht“
Kunze
Depp?
UNTERBRECHUNG! Wie kann man es wagen, diesen verdienten Mann so zu bezeichnen! War er doch ein Dissident! Focht er doch später einen zutiefst ehrbaren Kampf gegen die Rechtschreibreform! War er es doch, der in diesem Zusammenhang formulierte, im Angesicht jeder neuen Schreibung ein „orthographisches Minitrauma“ zu erleiden! (Das hat er dann allerdings schon oft erlitten, z. B. bei jeder Goethelektüre, denn der Geheimrat schrieb in der That so…)
Lassen wir ihn selbst zu Wort kommen: Das gedicht/ist der blindenstock des dichters//Mit ihm berührt er die dinge/um sie zu erkennen […]
Je nun – der gemeine Blinde in seiner Sehschwäche benutzt halt einmal den Blindenstock keineswegs in erster Linie, um etwas zu erkennen, sondern um nicht auf die Fresse zu fallen, in einen Abgrund zu stürzen, gegen einen minitraumatisierten Kunze zu laufen. Noch nie aber ist mir ein Blinder begegnet, der beim Bestöckeln eines im Wege stehenden Autos verzückt dem Blechklang lauschte und sprach: „Eine S-Klasse! Die will ich auch mal fahren!“
Es müsste also heißen: Das gedicht/ist der blindenstock des dichters//Mit ihm berührt er die dinge/um kein Minitrauma zu erleiden / zumal er // ausgebürgert // ein Held einstmals und für immer / hiervon zeugend / mit dem Stock ////// der die Sprache ///// Des Blinden / er schreibt // dass // das gedicht /// der Stock des blinden erkennen kann / was?
Nun zu den Titeln, die den Worttitanen, bzw. die verehrte Titanöse erflehen:
Holzbruch und Belehrung
Die Vermählung der Birne
Ein Wortsatz: Nichts
Ovids Kränkung der Sirenen in Wien
Dolph – oder die Liebe zum Tal
Schlämmung der Kreide um fünf
Die Ziege im flämischen Mohn
Spurwechsel Bitterfeld
Der Scherenschnitt der Mutter im Westen am Morgen des Tages danach
Das raunt dann doch schon beträchtlich, oder? Und vielleicht, nur so zum Spaß, noch ein paar Biographien?
Pausenlos Training, sonst nichts – ein Triathlet blickt zurück
Der weite Weg von Potsdam nach Berlin – ein Nahverkehrsphobiker ohne Führerschein, der nicht Rad fahren kann, berichtet
Ich lasse mich nicht behindern! – Aus dem kurzen Leben eines taubblinden Rennfahrers
PS: Nochmal zu Kunze, auf seiner Website schreibt er, auch im Namen seiner Frau: In den Tagebüchern von Albert Camus heißt es: „Schönheit, neben der Freiheit meine größte Sorge.“ Wir teilen diese Doppelsorge.
Um die zwei Kampfgreise muss man sich wohl auch eine Doppelsorge machen, man kann sie ja durch zwei teilen.
Carlo Schäfer
Mehr von Carlos gibt es hier.