Es ist gewählt. Das Volk hat gesprochen. Jetzt spricht Carlos.
Westerbester, Dösirösi, Dödelniebel, Brüderlein,
was wird euch nach diesem Übel
fürderhin beschieden sein?
Ich, der Übelzauberspiegel,
schau ins Kommende hinein!
Was da wird, sei prophezeit –
auf dass ihr gewappnet seid:
Sanft strich der Lebensgefährte dem Exaußenminister über die zuckende Schulter. „Weine ruhig“, sagte er. „Es muss ja hinaus!“ Von ferne wimmerte Retrohund Himmler, ein finsteres Wolkenmassiv türmte sich über der Bonner Penthousedoppelhaushälfte, leise erklangen Klavieretüden, Nachbar Jupp, der alleinstehende Gynäkologe, übte wohl.
„Ich“, schluchzte der ehemalige Vizekanzler, „ich wäre wenigstens noch gerne Bundestagsabgeordneter, wenigstens das!“ Die tränenblinden Augen suchten den zärtlichen Blick des Gefährten. „Wenn ich vielleicht ein Attest bringe, wenn mir Jupp ein Attest schreibt … Ob es dann geht?“
Der Lebensgefährte schaute sinnend an die Stuckdecke. Sollte er dem ehemaligen Parteivorsitzenden die Wahrheit zumuten? Himmler huschte klagend in die Standuhr. Die schlug zur Mitternacht.
Der abgeschaffte Entwicklungsminister saß auf seinem Schicksalsteppich und dachte nach. Hatten sie jetzt gewonnen oder verloren? Als ehemaliger Soldat und Berufsberater kannte er die Wechselfälle des Lebens wie sicher kein anderer: Es war wohl ersteres geschehen. War es das nun? Sollte er die Waffe holen, galt es nun, sich selbst zu richten?
Er warf sein Barett in die Ecke, stand auf, stampfte zornig auf den Schicksalsteppich.
Er blickte aus dem Fenster, sah in der Ferne das nächtlich illuminierte Heidelberger Schloss.
Dorthin wollte er gehen, weit hinten in den Park, wo die Japaner (Koreaner? Chinesen? Tataren?) kaum noch anzutreffen sind. Unter der mächtigen sibirischen Tanne würde er den kalten Stahl umfassen und sich in das linke Knie schießen. Das sollte ja vielleicht auch schon genügen!
Und dann würde er ein Buch schreiben: „Entwicklungshilfe für Dummies!“ Da kannte er sich ja aus. Ein wenig Hoffnung züngelte, dadurch auch weiterhin gelegentlich Herrin Elisabeth besuchen zu können, den Teppich nicht verkaufen zu müssen…
Da rief man ihn zum Abendbrot. Es fiel karg aus.
Der Spitzenkandidat torkelte in den Keller, er zählte die Flaschen nicht mehr, grob riss er sie aus dem Sandsteinregal, mühsam erklomm er die Treppe, schier verfehlte er die urige Eckbank in seiner Trinkstube. Mit einem Säbel, einem Geschenk seines kirgisischen Trink- und Amtsbruders, köpfte er die Flaschenhälse, trank und trank.
„Mach dich nackend!“, lallte er in Richtung Irinas. Die aber schüttelte den Kopf. „Erst das Geld, Brüderchen, du kennst die Regeln!“ Heftig sog die üppige Russin an der Stutenmilchtüte.
„Noch bin ich ein Spitzenkandidat“, schrie der Spitzenkandidat, winselte dann: „Nur die Möpse, bitte, nur die beiden Wummen, die Melkmaschine. Ich bin ein alter Mann…“ Hart schlug sein Kopf auf den braun gekachelten Tisch. Dumpf barmte der Spitzenkandidat, sich mühsam wieder aufrichtend: „Ich hab‘ doch nichts! Meine Alte gibt mir nichts mehr! Aber morgen ist sie im Barfußpark Bad Dürkheim, da kann ich an die Haushaltskasse!“ Er weinte: „Mach dich nackend, bitte, nur einen Mops, ganz kurz!“
„Njet.“
Der andere ehemalige Parteivorsitzende fühlte sich, wenn auch unendlich traurig, so doch von einer schweren Last befreit. Denn seit Monaten war ihm entfallen, für was er eigentlich Minister war. ‚Gewesen war‘, ergänzte er bitter in Gedanken. Wen hätte er denn fragen sollen? Den dummen Niebel etwa? Nun war es egal.
Er ging in die Küche, setzte Wasser auf, griff sich im Aquarium einen Frosch und warf ihn ins Kochwasser. Während das Tier elend quakend in eine bessere Welt ging, überlegte der Exminister, was er nun tun sollte. Sollte er Koch werden? Aber er konnte ja nur Frösche kochen. Sollte er wieder Arzt werden? Und auch hier: Für was denn nur? Als Augenarzt hätte er keine Chance, da war er sich sicher, denn er trug eine Brille. Zu so einem würden die Leute kein Vertrauen fassen.
Ohrenarzt? Auch da war nicht zu holen. Die meisten Leute hatten schließlich Ohren. Gynäkologe wie sein Studienfreund Jupp? Aber das war ja schon der! Vielleicht Tierarzt! Er schüttete das Kochwasser aus dem Fenster, drunten schrie ein Mensch, er hörte es nicht, schreckte aufgeregt den dampfenden Frosch mit kaltem Wasser ab und begann ihn zu reanimieren. Doch der Frosch war tot.
Trotzig wischte sich der ehemalige Außenminister die Tränen aus den Augen und trocknete die Hand im samtenen Fell seines herbeigeeilten Retrohundes Himmler. „Ich werde weitermachen! Ich werde genau das machen, was ich die letzten Jahre gemacht habe!“
Zweifelnd legte sein Gefährte die Stirn in Falten: „Du willst gar nichts tun?“
Carlo Schäfer
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