Geschrieben am 25. Juni 2011 von für Crimemag

Christophe Dupuis im Gespräch mit Caryl Ferey

Zulu

– Im letzten Jahr, anlässlich der Fußballweltmeisterschaft, erschien auch bei uns endlich der Roman „Zulu“ von Caryl Ferey. Aber irgendwie passte er nicht so ins Schema, ungeachtet seiner großen Qualitäten. CrimeMag aber ist nachhaltig: anlässlich der Taschenbuchausgabe – voilà – ein Gespräch mit Caryl Ferey, das Christophe Dupuis geführt und Barbara Bonneau übersetzt hat:

In der Einleitung zu Ihrem Buch steht, dass Sie ein Stendhal-Stipendium vom französischen Außenministerium für einen Aufenthalt in Südafrika erhalten haben. Müssen Sie ein Land selber erleben, um darüber schreiben zu können?

Ja, sicher. Ich suche mir ein Land nicht wegen seiner geopolitischen und sozialen Situation in unserer globalisierten Welt aus, sondern vor allen Dingen wegen der Menschen, die dort wohnen. Ihre Vielfalt und ihre Besonderheiten interessieren mich. Außerdem reise ich gern, und dieses Stipendium gibt mir die Möglichkeit dazu. Eine echte Chance. Nur wenige Länder vergeben solche Stipendien an Schriftsteller. Noch ist nicht alles in Frankreich den Bach heruntergegangen: Es gibt zwar schlimme Dinge bei uns, die man mit dem Wort Bling-Bling zusammenfasst, aber es gibt auch noch Kultur.

Wenn Sie kein Geld zum Reisen haben, schreiben Sie dann einen Heimatkrimi?

(Lacht). So kann man das auch sehen! Spaß beiseite, in einem Chanson von Brel heißt es, dass man es sich zu leicht macht, wenn man zweimal das gleiche bringt. Ich möchte nicht einfach nur clever sein. Manche Autoren versuchen es mit einem Rezept, nach dem sie mit der gleichen Hauptfigur stapelweise Bücher produzieren.

Nach so intensiven Geschichten mit Haka, Utu und Zulu möchte ich nicht sofort wieder ins Ausland. Ich brauche fast drei bis vier Jahre Zeit, um mich auf ein Land einzustimmen und anstrengend ist es auch. So gönne ich mir zwischendurch mit meinen bretonischen Krimis etwas Erholung. Da ich aus der Bretagne stamme, brauch ich keine Erkundungsreisen zu machen. Auch die Figur des Mac Cash ist mir sehr vertraut, denn ihr Vorbild ist einer meiner Freunde, eine Art Pirat. Sollte es ihn eines Tages nicht mehr geben, dann gibt es auch Mac Cash nicht mehr.

Wie kamen Sie auf die Idee eines Krimis, der in Südafrika spielt?

Ein guter Freund und Journalist hatte sich dort mit seiner Frau niedergelassen, als Mandela an die Regierung kam. Ich habe sie ein erstes Mal besucht und sie haben mir das Land gezeigt. Es lagen dort eigentlich alle Zutaten für einen richtigen Krimi bereit: Apartheid, Bürgerkrieg zwischen Mandelas ANC und den Zulus der Inkatha, die enormen Unterschiede im Lebensstandard von Weißen und Farbigen, die Buren und ihre Geschichte, der Fall der Mauer, Liberalisierung, Townships, die wunderbaren Landschaften am Kap, das herrliche Namibia ganz in der Nähe, Gewalttätigkeit, Aids usw.

Wie lange sind Sie in Südafrika geblieben? Hatten Sie schon die Idee zu einem Krimi, bevor Sie dorthin gefahren sind oder kam Ihnen die Idee erst vor Ort? Und wo haben Sie dann den Roman geschrieben?

Bei meinem ersten Besuch bin ich fünf Wochen geblieben, ich habe recherchiert, den Plot und die Figuren aufgebaut. Dann war ich nochmals fünf Wochen dort und habe mir die Schauplätze wie Townships, das Nachtleben, die namibische Wüste usw. genauestens angesehen und habe natürlich mit vielen Menschen gesprochen. Ich schreibe nicht, wenn ich auf Reisen bin. Notizen genügen mir. Das hat auch etwas mit Journalismus zu tun (einer meiner Jobs vor der Schriftstellerei), vor allem aber mit Neugier. Die Inspirationen kommen von den Menschen, die ich treffe. Nach drei Jahren Recherchen kennt man das Land, und dann findet man auch leicht die richtigen Menschen. Zuhören, keine Angst haben – vor allen Dingen nicht vor den Afrikanern – trotz der Warnungen der Tour Operators.

Caryl Ferey

Wie organisiert man denn eine Reise, wenn man solch einen Text schreiben will? Dem Leser ist klar, dass Sie nicht im Ferienclub waren. Wie taucht man in ein Land ein, das mit „über 50 Morden pro Tag Gewalt und Verbrechen ausgeliefert“ ist, und wie gibt man diese besondere Atmosphäre wieder?

Ich hatte das Glück – oder die gute Idee – schon mit 20 um die Welt zu fahren. Ich wusste deshalb genau, was mir mehr liegt: Ferienclub oder Abenteuer. Nicht der Zweifel macht verrückt, sondern die Gewissheiten. Ich möchte heute nicht wissen, was mir morgen passiert. Auf Reisen ist das genauso. Man hat ein paar Spuren, ein paar Eingebungen und man folgt ihnen. Manchmal führen sie ins Nichts, meistens aber sind sie ergiebig. Es kommt auch darauf an, mit wem man reist. Ich war mit einem Freund in Südafrika, der nur noch ein Auge hat. Die Afrikaner hatten Angst vor ihm! Südafrika schlägt zwar alle Rekorde in Sachen Gewalttätigkeiten, aber die Afrikaner, die wir getroffen haben, haben sich gefreut, dass Weiße zu ihnen kamen, ob in den Townships oder in den Nachtlokalen.

Sie sprechen von Gangs, von Sangomas, von Gewalt, von 18000 Morden pro Jahr, 26000 schweren Überfällen, 60 000 erfassten Vergewaltigungen (wahrscheinlich zehnmal mehr), 5 Millionen Feuerwaffen für 45 Millionen Einwohner. Gibt es denn außer Villen mit Elektrozaun auch friedliche Fleckchen in Südafrika?

Jedes Haus ist ein Bunker, aber das Land ist so schön, dass man sich auch daran gewöhnt. Friedliche Fleckchen habe ich keine gesehen. Niemand ist sicher. Wir waren auch bei Partys des Jet-Sets dabei, doch selbst im elegantesten Restaurant kann man ausgeraubt werden. Allerdings haben wir persönlich nirgends Schwierigkeiten gehabt und andere Freunde auch nicht. Wer ruhig und gelassen bleibt, braucht nichts zu fürchten. Wegen der Gewalttätigkeit halten sich die Südafrikaner oft etwas zurück, aber die meisten sind genauso nette Leute, wie man sie überall auf der Welt trifft. Das gilt besonders für die Jüngeren, die nicht die Apartheid gekannt haben.

Blick auf Kapstadt mit dem Waterfront Harbour und Robben Island vom Tafelberg aus.

Zum Beispiel Kapstadt, wo Epkeen genauso viel Ekel wie Emotionen erfahren hat …

Für mich ist er der typische Afrikaner vom Kap. Dort ist es harmloser als in Johannesburg, aber auch voller Kontraste: wunderbares Licht und wunderbare Landschaft und jenseits der Autobahn das große Elend. Epkeen ist zwischen hundert Meinungen hin- und hergerissen. Ein Mensch also.

Ein guter Krimi wirft Fragen auf und Südafrika wirft eine Menge Fragen auf. Sie schreiben an einer Stelle: Wie konnte die erste Demokratie Afrikas das gefährlichste Land der Welt werden?

Das ist die Frage in diesem Land mit seinen noch nicht gefestigten Strukturen. Alle stellen sich diese Frage und die Antworten darauf sind ebenso zahlreich wie rätselhaft. Um die Volksstämme besser zu beherrschen, hat die Apartheid unter ihnen Zwietracht gesät und einen Bürgerkrieg (den niemand so zu nennen wagt) organisiert. Aber niemand hat mit Mandela gerechnet. Neben Gandhi ist er die größte politische Persönlichkeit des Jahrhunderts. Doch es gibt immer noch Elend. Die von den Weißen angelegten Infrastrukturen und ihre Technik sind erhalten, die Farbigen haben jedoch erst seit kurzem Zugang zu Wissen und Know-how. Viele befinden sich noch im Steinzeitalter, sie sind kulturlos geworden. Schlimme Medizinmänner verbreiten das Volk verdummende Lehren. So lässt sich die fürchterliche Rede von M’Beki zu Aids erklären, das man mit Zitronensaft oder Knoblauch bekämpfen könne. Ich könnte Ihnen ganze Vorträge darüber halten. Auch in meinem Roman kommen diese Themen zur Sprache, ich versuche es wenigstens …

Christophe Dupuis

Ihre Geschichte bringt aktuelles Insiderwissen wie zum Beispiel die Cape Flats Gangs. Haben Sie Journalisten und Polizisten getroffen?

In so jungen Ländern wie Südafrika ist alles noch möglich: Ich bin in ein Polizeikommissariat der Township Khayelitsha gegangen, um Fragen zu stellen. Ich wurde von einer Beamtin empfangen, die von meinem Schriftstellerberuf sehr beeindruckt war. Der Besuch war für mich sehr aufschlussreich. Stellen Sie sich mal vor, ein Afrikaner würde ein Pariser Polizeikommissariat besuchen. Bevor er noch ein Wort sagen könnte, würde er wahrscheinlich wieder vor die Tür gesetzt!

Ihre drei Hauptfiguren alles Polizisten wirken sorgfältig konstruiert und werden vom Pech verfolgt. Wie verleihen Sie Ihren Figuren Leben?

Ich mag meine Figuren, drei oder vier Jahre lang sind Sie ein Teil von mir. Ich schlafe mit ihnen ein, ich stehe mit ihnen auf, ich lebe mit ihnen. Sie sind Teile von mir oder von uns, hoffentlich!

Brian glaubte nicht an den Zufall, eher an das Zusammentreffen von Lebensbahnen … Ihr Buch ist ein Zusammenfallen von Bahnen. Sie konstruieren Ihre Geschichten ohne den Faktor Zufall?

Ja. Zufall ist, im richtigen Moment an der richtigen Stelle zu sein. Etwa wie Joseph Kessel. Zufall ist wie das Glück – der Impuls, den wir unserer Bahn verleihen.

Wie schon gesagt, Ihr Buch ist besonders gut konstruiert, die Figuren sind sehr gut herausgearbeitet, der Rhythmus stimmt. Ich möchte wissen, wie man eine so kurze und so gewalttätige Szene wie die Strandszene schreiben kann: Sie hatten es nicht mit kleinen Stranddealern zu tun, sondern mit Polizisten mordenden Tsotsis. Als ich diese Szene las, war es schon zwei Uhr morgens, ich wollte nach diesem Kapitel eigentlich das Buch zuklappen, aber danach raste mein Puls bei 160 und an Schlaf war nicht zu denken!

Es ist wie der Rhythmus in der Musik. Ob Krimi oder Rock, man muss den Spannungsbogen aufbauen und darf ihn nicht wieder loslassen. Natürlich hat mich Ellroy in den 90er-Jahren beeinflusst, aber die wichtigsten Impulse kommen aus der Musikszene: früher The Clash für die Spannung, Noir Desir für die beschwörende Explosion, jetzt Zone libre (die Gruppe des Gitaristen von Noir Desir, Serge Teyssot-Gay) wegen des reinen Klangs der Wörter, demnächst die absolut einzigartige Slam/Rockgruppe Spoke Orchestra für meinen nächsten Mac Cash. Wichtiger noch als die Wahrhaftigkeit der Fakten ist für mich die Frage „Warum schreibe ich das?“ Es geht nicht darum, noch eine Mordszene zu erzählen. Mich interessiert zu erzählen, wie es dazu kommt, wie man den Leser überrascht. Er soll merken, dass in jedem Paragraphen eine Überraschung steckt, ein Satz, eine Kleinigkeit, die seine Lesart der Geschichte umkrempeln kann. Emotionen auslösen, das treibt mich an.

Beim Lesen der letzten Seiten Ihres Romans fragt man sich, ob man sich gleich aufhängen soll oder ob man bis morgen wartet. Sind wir kaputt?

Im Gegenteil! Das Leben überdauert den Tod. Es wird sich durchsetzen. Es macht mir nichts aus, als naiv zu gelten. Die Dummheit der Menschen oder die Gewissheit des Todes werden mich nie dazu bringen, auf eine Zärtlichkeit oder ein liebes Wort für eine Frau oder ein Kind zu verzichten. Auch nicht auf eine gute Musik in vollem Speed oder ein tolles Riff. Die Lebenskraft ist genauso mächtig wie der Weltschmerz, alles nur eine Frage des Gleichgewichts. Nietzsche. Vaneigem. Char. Wenn man bis in die Extreme geht, dann auf beiden Seiten. Nichts ist deprimierender als ein todtrauriger Linksextremist. Er hat unterwegs etwas vergessen, nämlich das Leben.

Lassen Sie uns mit einem freundlichen Thema abschließen. Wenn man so ein großer Rugby-Fan ist wie Sie, dann darf dieser Sport in einem Südafrika-Roman nicht fehlen. Haben Sie dort gute Spiele gesehen?

Sie werden enttäuscht sein, aber der Nationaltrainer Laporte hat es fast geschafft, mir den Spaß an diesem Sport zu verderben. Ich bin kein nostalgischer Mensch, aber früher gab es in jeder Rugby-Mannschaft kleine und kräftige, gewitzte und tapsige Spieler. Jetzt gibt es nur noch 15 Muskelpakete, die kein Bier mehr trinken dürfen und sich gegenseitig ummachen. Die Blacks sind bei ihrem Spiel gegen Frankreich im Viertelfinale durch einen Fehler des Schiedsrichters leider um ihren Sieg betrogen worden. Trotz ihrer Statur spielten sie wenigstens noch richtiges 15er Rugby. Ich hoffe, dass die Trainer den Verfall dieser Sportart aufhalten können, das durch Geld, Fernsehrechte und Doping zu einem Sport wie alle anderen verkommen ist.

Was sind Ihre nächsten Projekte?

Urlaub in der Bretagne mit Mac Cash und Spoke Orchestra, dann fahre ich wieder nach Argentinien wegen meines nächsten großen Projekts, das 2012 erscheinen soll.

Noch etwas hinzuzufügen?

Live free or die! Für solche Sprüche fühle ich mich noch jung genug!

Vielen Dank

Ich danke Ihnen.

Christophe Dupuis

Barbara Bonneau

Christophe Dupuis ist auf Kriminalliteratur spezialisierter Buchhändler in Langon in Aquitanien und seit über 15 Jahren mit allem befasst, was Kriminalliteratur angeht. Seine Interviews und Newsletter zum französischen Betrieb wirken weit über Frankreich hinaus. Nur ein Buch hat er noch nicht geschrieben. Zur Buchhandlung geht es hier.

Die Übersetzung besorgte dankenswerterweise Barbara Bonneau vom Goethe-Institut Bordeaux

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