Geschrieben am 22. Dezember 2010 von für Highlights, Highlights 2010

CrimeMag-Highlights 2010

CrimeMag-Highlights 2010

Lena Blaudez:

Die Romane über Carol O’Connells faszinierende Serienheldin Kathy Mallory, neu aufgelegt bei btb (hier und hier bei CULTurMAG) – eine einmalige Detektivgestalt mit einem Ausbund schräger Typen um sich herum, deren Entwicklung man unbedingt weiter verfolgen muss, zumal die Spannung und der Witz, das Bild von New York und ihr ironischer Blick auf die Welt es auch nicht zulassen, dass man eins der Bücher wieder aus der Hand legt. Ebenso wenig wie den neuen Roman des alten Meisters le Carré Verräter wie wir, bei Ullstein – für mich eins seiner besten Bücher. Unschlagbar ist immer Ross Thomas, auch Der Yellow-Dog-Kontrakt, neu beim Alexander Verlag. Ausgezeichnet: die neuen Folgen von Kommissarin Lund im ZDF. Ein neuer Lee Child bei Blanvalet, Trouble, wie immer klasse. D. B. Blettenbergs Murnaus Vermächtnis, bei DuMont , in dem Blettenberg eigenen faszinierenden Tonfall, komplexe Themen sowie Vergangenheit und Gegenwart kunstvoll ineinander verwoben, Sog erzeugend erzählt, versetzt uns u.a. nach Ghana. Etwas ganz anderes, wenn es auch aus der gleichen Weltecke berichtet: Nii Parkes Die Spur des Bienenfressers (Rezension bei ARTE) – ein leichtfüßiger Roman über schwere Themen, wie Logik, Politik, Bürokratie, Geisterglaube und Wissenschaft, wird u. a. von einem Gerichtsmediziner in einem Dorf in Ghana erzählt, wunderbar geschrieben.

Rezensionen zu Murnaus Vermächtnis und Verräter wie wir von Thomas Wörtche bei kaliber38. Mehr zu Lenau Blaudez hier.

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Joachim Feldmann:

Dickleibige Kriminalromane, wie man sie gerne im Norden Europas zusammenbastelt, sind meine Sache nicht. Dennoch standen in diesem Jahr zwei in jeder Hinsicht große Bücher oben auf meiner Lektüreliste. Einmal Dennis Lehanes Roman über den Streik der Bostoner Polizei im Jahre 1918, Im Aufruhr jener Tage (Originaltitel: „The Given Day“) und zum anderen natürlich Tage der Toten (Originaltitel: „Power of the Dog“)  das zu Recht hochgelobte Epos Don Winslows über die Drogenkriege der USA in Mittelamerika. Beide Werke sind historische Romane im besten Sinne, die sich eben nicht, wie im Genre üblich, in der wohligen fiktionalen Ausgestaltung einer fernen Welt erschöpfen.

Ansonsten freute ich mich über die fleißige Chicago University Press, in der die Parker-Romane Richard Starks in handlichen Taschenbüchern neu aufgelegt werden. Mit „Butcher’s Moon“ erscheint im kommenden Frühjahr der Abschlussband der ersten Serie, dann geht es mit „Comeback“, dem Auftakt zur zweiten Staffel, die bei uns von Zsolnay betreut wird, weiter. Stark a.k.a. Donald E. Westlake verstand es übrigens, sich kurz zu fassen. Und das ist in diesem Metier immer noch die eigentliche Tugend.

Am Erker– Zeitschrift für Literatur

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Foto: www.frankgoehre.deFrank Göhre:

Mein persönliches Highlight: Ein Trip nach London zum Start der Jeff Beck / Eric Clapton Tournee am 13. Februar 2010 in die Städte: New York, Toronto und Montreal. Ein phantastisches Konzert mit einem grandiosen Jeff Beck – für mich einer der genialsten Gitarristen, der sowohl Blues, Rock und Funk (begleitet von der ehemaligen Prince-Bassistin Rhonda Smith) spielt wie auch mit „singender Fender“ so anrührende Balladen wie „Mna Na Heireann“ – in London mit kleinem Orchester und der irischen Geigerin Sharon Corr. Dazu noch ein Auftritt der Soulsängerin und Schauspielerin Joss Stone. Großartig! Einige Titel des Konzerts können auf youtube gesehen und gehört werden.

Meine zwei Krimis des Jahres

Giancarlo De Cataldo: Romanzo Criminale. Folio Verlag 2010. 574 Seiten. 24,90 Euro (eine Rezension der Arte-Jury gibt es hier zu lesen).

Don Winslow: Tage der Toten. Suhrkamp 2010. 689 Seiten. 14,95 Euro (Rezension von Thomas Wörtche bei Kaliber38).

In beiden Romanen spiegelt sich Zeitgeschehen/Zeitgeschichte – europäische (Rom/Italien), amerikanische (Drogenkrieg/Mexiko). Beide Handlungen erstrecken sich über zwei-drei Jahrzehnte, zeigen die Verstrickung von Politik und Verbrechen, sind authentisch. Sie stehen bei mir neben den vergleichbaren Arbeiten von George P. Pelecanos (Die Washington Trilogie), James Ellroy (Underworld USA-Trilogie) und dem Red Riding Hood Quartett von David Peace.

Homepage von Frank Göhre

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Tobias Gohlis:

Lieber Tom, Du bittest um 150 bis 200 Wörter über das Highlight des Jahres. Damit kann ich nicht dienen, bin völlig erschöpft vom highlighten. Blitze hinter den Augen, Migräne, Paranoia. Aber ein Paar Entdeckungen habe ich gemacht:

Den wunderbaren Tschechen Jiří Kratochvil mit seinem antitotalitären surrealistisch-schlauen Krimi Das Versprechen des Architekten.  Zehn von der Sorte wären mir zu viel, aber einer oder zwei – Leckerbissen an Intelligenz, Lässigkeit, Sprachkraft, Einfallsreichtum. Ein Architekt, der in Brünn eine Villa mit Hakenkreuz-Grundriss baut, um seine Schwester aus den Fängen der Nazis zu befreien.

Ebenso das Road-Movie und Serienkillerstück von Carol O’Connell Such mich!. O’Connell  war mir bisher entgangen, eine tolle Autorin, übrigens ebenfalls mit surrealistischer Tradition. Und Nii Parkes: reines Glück, herrliches Vergnügen mit Die Spur des Bienenfressers. Und noch: Derek Nikitas mit Scheiterhaufen und der feine Francisco González Ledesma mit Der Tod wohnt nebenan , den übrigens Lübbe (!) ins Land gebracht hat. Unterschätzt Lübbe nicht – das war auch der erste Verlag von Heinrich Steinfest. Und wenn wir, lieber Tom schon bei Verlagen sind, dann verdient ein kleiner Ein-Mann-Verlag aus Frankfurt, der jetzt hoffentlich gerade in eine schöne alte Apotheke gezogen ist, großes Lob: Jens Seeling.  Das ist einer von denen, die gebraucht werden, Salz in der Suppe. Suppe ist Wort 205. Ciao!

ZEIT-Artikel zum „Versprechen des Architekten“. Zum Blog von Tobias Gohlis.

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Henrike Heiland:

Top 5 für 2010, wenn es Don Winslows Tage der Toten nicht gegeben hätte:
5. Francisco González Ledesma: Der Tod wohnt nebenan
4. Matti Rönkä: Russische Freunde
3. Stuart MacBride: Blinde Zeugen
2. Denise Mina: In der Stille der Nacht
1. Joe R. Lansdale: Kahlschlag

Und wiederentdeckt 2010:

Die ersten Fälle von Columbo und Perry Mason auf DVD. Immer wieder groß.

Bei CULTurMAG finden Sie: Ein Autorenporträt von MacBride, eine Rezension seines Thrillers Blut und Knochen sowie ein Interview mit Denise Mina.
Zur Colombo-Fanseite.
Die Geschichte des Perry Mason bei spiegel.de
Zu Henrikes Homepage

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Jan Karsten:

Beeindruckt hat mich in diesem Jahr eine amerikanische Fernsehserie, „Breaking Bad“, deren Staffel eins und zwei in den vergangenen Wochen auf arte gelaufen sind. Brillant fotografiert: Die Landschaft rund um Albuquerque (New Mexico) kriecht regelrecht in einen hinein; überhaupt kommt die ganze Serie dem Zuschauer verdammt nahe, dank der glänzenden Schauspieler (natürlich vor allem Bryan Cranston und Aaron Paul, aber auch Bob Odenkirk als schmierig-genialer Anwalt Saul Goodman – der seine eigen fiktive Webseite hat), der sorgfältig ausgespielten Szenen, des rasanten Storytellings, der bedrückend authentischen Darstellung von Gewalt und Sucht. Ein mutiges Projekt und ein gutes Beispiel, was passieren kann, wenn unkonventionelle Ideen nicht direkt im Keim von Bedenkenträgern abgeschliffen werden, sondern Autoren die Möglichkeit bekommen, strange Geschichten mit ambivalenten Charakteren ohne Einmischung zu entwickeln. Dann kann auch kreative Fernsehkunst herauskommen: mal intensives Kammerspiel, mal sensible Charakterstudie, mal adrenalingeladener Überlebenskampf, mal saukomisch-tiefschwarzer Slapstick, immer aber dicht und überraschend erzählt. Wer „Breaking Bad“ im TV verpasst hat: Die ersten beiden Staffeln gibt es jetzt für günstige 31,00 Euro bspw. hier. Dank Overnight-Express könnten Sie also bereits morgen erfahren, wie es nach einer der abgefahrensten Eröffnungsszenen aller Zeiten weitergeht …

Breaking Bad. USA (AMC). 46 Folgen seit 2007. Produktion: Vince Gilligan, Mark Johnson. Darsteller: Bryan Cranston, Aaron Paul, Anna Gunn, Dean Norris, Betsy Brandt, RJ Mitte, Bob Odenkirk, Krysten Ritter u. a. Zur Webseite der Serie.

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Elfriede Müller:

Yishai Sarid: Limassol. Kein & Aber 2009. Roman. (Zur Rezension von Christian Koch bei CULTzuMAG).

Elfriede Müller auf europolar.eu

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Thomas Wörtche:

Wenn man anfängt, Highlights aufzuzählen und ein ganzes Jahr zurückschaut, wird’s problematisch, weil man garantiert Sachen aus dem Blick verloren hat.

Ich versuch’s trotzdem mal.

Außergewöhnliche gute Kriminalromane in Hülle und Fülle: Tage der Toten von Don Winslow (Suhrkamp), Murnaus Vermächtnis von D.B. Blettenberg (DuMont), Uta-Maria Heims Der Totenkuss (Gmeiner), Jiři Kratochvils Das Versprechen des Architekten (Braumüller), Stuart MacBrides Blinde Zeugen (Manhattan), Andrew Browns Würde (btb),  Zoë Becks Das alte Kind (Bastei Lübbe), Joe R. Lansdale Kahlschlag (Golkonda)  und, und, und …

Wichtige Hightlights aus Argentinien: Die Wiederentdeckung (die fast einer Neuentdeckung glich) des Werkes von Rodolfo Walsh, die Ausgrabung von Enrique Medina, die Aufmerksamkeit für Ricardo Piglia (hier und hier).

Dazu grandiose Sachbücher, allen voran Thomas Welskopp Amerikas große Ernüchterung. Eine Kulturgeschichte der Prohibition – wir werden bei CrimeMag noch einlässlicher darauf eingehen –, die gigantische Geschichte der Superhelden: 75 Years of DC-Comics und die gnadenlos guten Reportagen von Jane Bussmann:  Von Hollywood nach Uganda. Kriegsverbrechen, Filmstars und andere Abscheulichkeiten.

Bei den Comics: Die schöne Reihe  s & l noir, mit ihren einschlägigen Titeln und Jacques Tardis und Jean-Pierre Verneys zweibändige Chronik des 1. Weltkriegs:  Elender Krieg.

… aber das ist, wie gesagt, alles nur ein kleiner Ausschnitt von Dingen, die mir 2010 richtig gut gefallen haben  …

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Michael Wuliger:

Lieber Tom,  mein Krimi des Jahres: Josh Bazell Schneller als der Tod (Rezension bei CULTurMAG hier). Ein ausgestiegener Mafiakiller, inzwischen Assistenzarzt an einem verkommenen Krankenhaus in New York, wird dort dummerweise von einem seiner alten Kumpane wiedererkannt und muss, um nicht als Verräter abgemurkst zu werden, auf die Fachkenntnisse aus seinem früheren Beruf wieder zurückgreifen. Schräg, komisch, rasant geschrieben, eine gelungene Kreuzung aus „Dr. House“ und „Texas-Kettensägenmassaker“.

Mehr über Michael Wuliger. Wuligers Koscherer Knigge