Geschrieben am 12. Dezember 2009 von für Crimemag, Kolumnen und Themen

Dr. Lehmanns Sach- und Warenkunde N° 2

Kleine Kriminalistik für Krimis

Heute: Wo bleibt denn der Rechtsmediziner? „Wann wissen Sie das genauer?“, fragt der Kommissar die Frau, die sich über die Leiche auf der Waldlichtung beugt. „Nach der Obduktion“, antwortet die Rechtsmedizinerin und steht auf. „Sie können die Leiche jetzt abtransportieren.“

Nein! So nicht. Der Rechtsmediziner fährt nicht raus zur Leiche. Es ist ein Not-, Bereitschafts- oder oft schlicht ein Hausarzt, der die Leiche begutachtet und den Tod feststellt. Er macht die äußere Leichenschau. In Deutschland holt man Rechtsmediziner nur dann zum Fundort einer Leiche, wenn die Todesumstände und der Zustand der Leiche absolut rätselhaft erscheinen, meist übrigens nach Verkehrsunfällen, wenn man sich gar nicht erklären kann, was passiert ist.

Normalerweise kriegt der Rechtsmediziner die Leiche gebracht, und zwar in sein Institut. Die Institute der Rechtsmedizin gehören in Deutschland zu einer Universität und nicht zur Polizei oder Justiz. Unsere Kriminalkommissare reden, wenn sie mit Rechtsmedizinern reden, mit einem Herrn Doktor oder Herrn Professor. Und den fragt man nicht drängelig, wann er mit seinen Ergebnissen rüber zu kommen geruht. Den siezt man! Bei uns sind Rechtsmediziner hoch qualifizierte Dienstleister. Sie sind als unabhängige Sachverständige für die Ermittler tätig. Und wie jeder Sachverständige stellt der Rechtsmediziner seine Leistungen anschließend der Justiz in Rechnung.

Den Bericht von der Obduktion bekommt nicht unser Kriminalkommissar, er geht direkt an den Auftraggeber, den Staatsanwalt, und sonst niemanden. Der ordnet, wenn nötig, dann polizeiliche Ermittlungen an.

Und merke: Eine Obduktion wird nach dem Gesetz von zwei Ärzten durchgeführt. Und sie dauert so lange, wie sie dauert – meist vier Stunden –, doch dann ist sie zu Ende, dann wird die Leiche zugemacht und zur Bestattung freigegeben. Keinesfalls holt der Rechtsmediziner den Toten anderntags noch mal aus der Kühlkammer, um eine Idee zu überprüfen, die ihm über Nacht gekommen ist. Was er bei der Obduktion nicht gesehen hat, ist verloren. Da Obduktionen standardisiert verlaufen, sollte dem Obduzenten eigentlich nichts entgehen. Auch nicht, dass einem Opfer die Nase zugehalten wurde, damit es an einem Pfirsich im Mund erstickt …

Immerhin befinden sich Gewebeproben, Proben von Körperflüssigkeiten und ein ausführlicher Bericht immer noch im Institut, auch wenn die Leiche längst begraben ist. Nach seltenen Giften können die Labore auch Wochen später noch suchen, falls es dem Staatsanwalt einfällt, in diese Richtung zu ermitteln. Dazu muss die Leiche nicht exhumiert werden.

Christine Lehmann

Christine Lehmann & Manfred Büttner: Von Arsen bis Zielfahndung. Das aktuelle Handbuch für Krimiautorinnen und Neugierige.
Ariadne im Argument Verlag 2009. 250 Seiten. 16,90 Euro.

| Zu CHRISTINE LEHMANNS Homepage