Geschrieben am 28. Februar 2015 von für Crimemag, DVD

DVD: Erbschaft (Arvingerne – The Legacy)

Erbschaft-Staffel-_1Familienbande

– Es gibt gute Gründe, Familienbande auch als „kriminelle Bande“ zu verstehen, die besonders böse werden können, wenn es ans Erben geht. Die Dänen haben es mal wieder kapiert und eine Serie daraus gemacht: „Arvingerne – The Legacy“ – auf Deutsch „Die Erbschaft“. Anna Veronica Wutschel hat sie sich angeschaut.

Die 68-jährige, international renommierte Künstlerin Veronika Grønnegaard steht voll im Leben. Gerade bereitet sie eine neue Ausstellung vor, ihr Anwesen will sie einer Stiftung überschreiben und zu einem Ort des authentischen Erlebens ihres Schaffens, zu einem ganz besonderen Museum umwandeln. Veronika (Kristen Olesen) war immer schon exzentrisch, sie raucht, sie kifft, sie säuft und stiftet kurz zu Weihnachten ihre jugendliche Enkelin zu möglichst viel Unsinn an, obwohl sie mit dem Vater des Mädchens, ihrem Sohn Frederik (Carsten Bjørnlund), bereits seit Jahren zerstritten ist. Zu später Stunde kommt es dann auch noch zu einem heftigen Wortwechsel mit ihrer Tochter Gro (Trine Dyrholm), in dessen Verlauf sich Veronika recht unschicklich an den Hals ihres jungen Galeristen, Gros Liebhaber, wirft. Das vorweihnachtliche Treffen der Familie endet im Streit, im Drama, denn noch in derselben Nacht wird Veronika, die erst vor ein paar Tagen die Diagnose Krebs erhalten hat, unerwartet sterben.

Dier Millionen der Matriarchin

Was zunächst ein Schock für die Hinterbliebenen ist, entspinnt sich nur allzu bald zu einem durchaus vorhersehbaren, aber sich grandios entwickelnden Gerangel um das Erbe. Allein das Anwesen der Matriarchin ist Millionen wert, und die ambitionierte Gro wittert umgehend ihre Chance, das Museum Grønnegaard nun unter ihrer Leitung zu realisieren. Leider hat Veronika vor ihrem Ableben die dazu relevanten Papiere nicht unterschrieben, hat stattdessen – und das ist wesentlich schlimmer – in einem spontanen ‚letzten Willen‘ ihr Haus ihrer unehelichen Tochter Signe vermacht. Für die junge Floristin, die bei ihrem Vater aufwuchs und bislang ihre Stiefmutter für ihre leibliche Mutter hielt, bricht eine Welt zusammen. Betrogen und verraten fühlt sie sich von der Familie, in der sie aufwuchs, und wendet sich ebenso wehmütig wie fasziniert ihren Halbgeschwistern zu.

Das millionschwere Erbe interessiert sie zunächst wenig, zu verwirrend ist die neue Situation, zu groß sind die Emotionen. Und so stimmt Signe auch nur allzu schnell zu, das geerbte Anwesen ganz im Sinne ihrer Mutter, so wie Gro es Signe nahelegt, der Stiftung zu überschreiben. Das aber passt Frederik, Veronikas Sohn aus einer weiteren Beziehung gar nicht. Er macht seine Mutter für den Selbstmord seines Vaters verantwortlich und hält das Haus für das rechtmäßige Erbe seines früh verstorbenen Vaters. Frederik will dort ganz gutbürgerlich und ohne Gedenken an die Kunst der Mutter mit seiner Familie leben. Sein kleiner Bruder Emil, der Tunichtgut der Familie, der sich seine allesamt gescheiterten Projekte bislang von dem Geld seiner Mutter großzügig finanzieren ließ, kehrt aus Thailand heim, wo er gerade sein jüngstes Vorhaben in den Sand gesetzt hat.

„Thomas Vinterberg Berlinale 2010“ von Siebbi - Thomas Vinterberg. Lizenziert unter CC BY 3.0 über Wikimedia Commons - http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Thomas_Vinterberg_Berlinale_2010.jpg#mediaviewer/File:Thomas_Vinterberg_Berlinale_2010.jpg

Thomas Vinterberg (Foto: Siebbi/Wikimedia Commons)

Dogma und die Folgen

„Die Familie gewinnt immer“, sagt Autor und Regisseur Thomas Vinterberg über seinen 1997 gedrehten, preisgekrönten Film „Das Fest“. Dieser gilt als erster internationaler im Dogma-Stil gefilmte Erfolg des dänischen Kinos und erzählt, wie auf der 60. Geburtstagsfeier des Familienoberhauptes Helge dessen Sohn ihn des sexuellen Missbrauchs beschuldigt. Ein hinterhältig cleveres Meisterwerk ist das, das genau seziert, wie eine Familie mit Verdrängung, mit Schuld und Liebe umgeht, und wie die Machtmechanismen des Stärkeren regieren. Dabei gelingt es Vinterberg in „Das Fest“ wie auch in seinen späteren Filmen hervorragend, mit Hand-Wackelkamera seine Figuren zu verfolgen, zu jagen, in die Ecke zu drängen, einzufangen, um tief in ihre zerrütteten Seelen blicken zu lassen. Und auch wenn „Die Erbschaft“ als Fernsehserie nach weitaus konventionelleren Regeln gedreht wurde, erinnert sie in vielfacher Hinsicht an diesen Klassiker. Da passt es auch gut ins Bild, dass Trine Dryholm, die nun die ambitionierte Gro mimt, bereits bei „Das Fest“ mitspielte.

Gros Vater, der ständig kiffende, recht verpeilte Avantgarde-Musiker Thomas, wird von dem immer grandiosen Jesper Christensen dargestellt, der vor allem seit „Casino Royale“ einem internationalen Publikum als dubioser Mr. White bekannt sein dürfte. Christensen spielte bereits 2010 in dem dänischen Spielfilm „Eine Familie“ mit seiner im Übrigen nicht mit ihm verwandten Kollegin Lene Maria Christensen, die in „Die Erbschaft“ die Ehefrau von Frederik gibt, Szenen einer Familie. In der Story um Freud und Leid einer Bäckereidynastie geht es neben den Themen, die den Mensch beständig umtreiben, vor allem um das eigene Emanzipationsstreben, das einen ebenso schnell aufblühen wie untergehen lassen kann.

„Trine Dyrholm Berlinale 2014“ von Sebaso - Eigenes Werk. Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 über Wikimedia Commons - http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Trine_Dyrholm_Berlinale_2014.jpg#mediaviewer/File:Trine_Dyrholm_Berlinale_2014.jpg

Trine Dyrholm (Foto: Sebaso/Wikimedia Commons 3.0)

Familie!

Die Familie gewinnt immer – das Thema beschäftigt uns seit Jahrhunderten. Gilt die Familie doch als eine der kleinsten und wichtigsten Zellen jeder Gesellschaft, als Ort des Schutzes, der Sicherheit, zu dem man voller Vertrauen immer wieder heimkehren kann, entpuppt sich indes nur allzu oft als Ort der Vorherrschaft, des Horrors gar, der einen das Fürchten lehrt.

Die Erbschaft“ steht also in einer langen Tradition und – das sei durchaus noch einmal bemerkt – dreht sich in seinem Seelenstriptease-Reigen bereits in der ersten Staffel einige Male zu vorhersehbar im abgesteckten Kreisel. Dass das jedoch weder der Spannung noch dem eigenen hohen Qualitätsanspruch groß schadet, liegt vor allem an dem außerordentlich klugen Skript von Maya Ilsøe. Dabei besticht das Familienpsychodrama vor allem durch feinste Figurenzeichnung. Keine Handlung einer Figur wirkt je übertrieben, unglaubwürdig, nicht nachvollziehbar. Was auch immer eine Figur antreibt, ihr Handeln wirkt authentisch. Im Chaos werden schnell Allianzen geschlossen, deren Überstürztheit man später schnell bereut. Verletzte, seit Jahrzehnten unterdrückte Gefühle führen, einmal hochgespült, zu schweren verbalen Attacken bis hin zu Handgreiflichkeiten, lang gehütete Geheimnisse können, einmal ausgesprochen, ganze Weltbilder zerstören.

Und doch ist eine Familie vor allem auch Sinnbild für die Suche nach Liebe, für die Hoffnung auf Aufgehobensein, und gerade diesen Aspekt spielt „Die Erbschaft“ ebenso warmherzig wie gnadenlos bitterböse aus. Auf dieser so fein ausbalancierten Drehbühne der (verletzten) Gefühle, der egoistischen Interessen verschieben sich die Grenzen von Rechtmäßigkeit und Gerechtigkeit mit leichter Hand so beständig, dass der Zuschauer am Ende kaum weiß, wie er seine Sympathien streuen soll. Oder anders: wie er sich im Zweifel selbst verhalten würde. Das gelingt so hervorragend, da die Fragen, die hier verhandelt werden, einerseits banal scheinen, und doch von so existentieller Natur sind, dass sie an den eigenen Vorstellungen von Moral, an den eigenen Richtlinien einer Ethik heftig rütteln. Dabei kommt es der Serie zugute, dass sie nicht mit Betroffenheit spielt, dass sie sich nicht an Zuweisungen, an Schuldigkeiten aufhält, sich selbst ausbremst, sondern stattdessen mit einer schnellen Inszenierung jeder Figur ein weites Handlungsfeld eröffnet. Dazu kommt ein absolut genial gestaltetes Künstler-Bohemien-Setting, das den Freiraum der Kunst im Gegensatz zu den zuweilen recht engen Grenzen, die uns menschliche Beziehungen und Bedürfnisse aufdrängen, wunderbar zu repräsentieren vermag. Ein Fluchtort, der der Familie jedoch niemals wirklich mehr Spielraum, mehr Freiheit eröffnete, der den Nachkommen vielmehr als Last gilt. Das Anwesen Grønnegaard als Wahrzeichen des ungezügelten Lebens der Mutter, ihres Erfolges, in dessen Schatten die Kinder auch weiterhin (über-)leben müssen.

Die Familie also gewinnt immer. Und ist dabei ein guter Ort, die eigenen Überlebensinstinkte zu schärfen. Hinter der vermeintlich notwendigen ‚Staatsraison‘, die immer am Wohle des Ganzen orientiert sein muss, verbergen sich unzählige Dramen des Einzelnen. „Die Erbschaft“ präsentiert dies als hintergründige Parabel, als äußerst spannende Sozialstudie.

„Arvingerne – The Legacy“ wie die Serie im Original heißt, war bei ihrer Erstausstrahlung im dänischen Fernsehen mit 60 Prozent Marktanteil ein echter Straßenfeger. Da ist es umso erstaunlicher, dass die Produktion im Gegensatz zu „Borgen“ (dazu hier), „Kommissarin Lund“ (bei CM hier) und „Die Brücke“ (hier) nun zuerst ‚nur‘ auf DVD angeboten wird. Im deutschen Fernsehen soll „Die Erbschaft“ frühestens im Herbst 2015 laufen, der Sendeplatz ist noch nicht bekannt. Es ist allerdings wahrscheinlich, dass das ZDF sie zum altbekannten Sonntagabend-Krimi-Zeitpunkt kurz nach 22 Uhr zeigen wird. Und das passt ganz vorzüglich, auch wenn „Die Erbschaft“ ohne Mord auskommt und sich ‚nur‘ den ganz banalen, bösen Vergehen widmet, die sich Menschen, obwohl sie sich lieben, tagtäglich antun.

Anna Veronica Wutschel

Die Erbschaft. Staffel 1. ist seit dem 08.01.2015 erhältlich. 4 DVDs. 560 Minuten. Sprache: nur (!) Deutsch. 24,99 Euro. Den Blog von Anna Veronica Wutschel finden Sie hier.

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