Geschrieben am 15. März 2016 von für Crimemag, DVD, Film/Fernsehen

DVD: House of Cards (BBC)

ein-kartenhaus-poster-02Warum nicht das Original?

Die britische TV-Serie “House of Cards” von 1990 ist ein perfekt geschliffenes Unterhaltungsstück, hat Anna Veronica Wutschel sich überzeugt.

Heutzutage macht man es sich einfach auf dem Sofa gemütlich und ruft mit ein, zwei Knopfdrücken das Programm ab, das man gern sehen möchte. Diese vermeintliche Unabhängigkeit beim TV-Schauen wird immer populärer, dabei wähnten wir uns in grauer Vorzeit bereits mit dem allwöchentlichen Besuch in einer irgendwie immer leicht schmuddlig wirkenden Videothek als autonome Geister, die sich ihr Schauprogramm lieber selbst zusammenstellten. Dann wurde es komfortabler, die DVDs kamen nach vorab erstellter Watch-List per Post ins Haus und nun läuft also dank der Streamingdienste das Gewünschte per Abruf direkt über den heimischen Bildschirm.

Netflix ist der momentan weltweit größte Online-Einzelhändler und startete 2013 mit “House of Cards” die erste Serien-Eigenproduktion. Oscar-Preisträger Kevin Spacey wurde für die Hauptrolle gewonnen. Bereits die erste Staffel wurde mit Preisen überhäuft, die inzwischen vierte Staffel läuft ab März 2016 dort passend zum US-Wahlkampf. Damit in diesem der (fiktive) machiavellistische Präsident Frank Underwood nicht untergeht, hat Netflix ihm eine eigene Kampagnenseite eingerichtet, auf der Underwood fulminant verspricht: “Anything for America” ( https://www.fu2016.com/). Da man sich von diesem Slogan wohl viel verspricht, wurde bereits die Produktion der 5. Staffel bekanntgegeben. Wer also die Anfänge verpasst hat, kann immer noch auf den Zug aufspringen und sich an dem korrupt mörderischen Intrigenspiel um Macht-Kämpfe ergötzen. Doch so viel Spaß das ewig Neue auch immer wieder bringt, das gute Altbewährte hat auch seine Vorzüge. Basiert “House of Cards” doch auf einer englischen Vorlage gleichen Titels, die, obwohl bereits in den 90ern gedreht, nicht einen Funken Originalität oder Aktualität verloren hat. Ganz im Gegenteil ist das Original, das nun als Miniserie in einer Box vorliegt, durch seine stringentere Erzählweise, mit seinen Bezügen zur britischen Aristokratie sowie der Monarchie noch ein wenig munter boshafter als der amerikanische Nachkömmling.

Von Westminster nach Washington

“House of Cards” – ab nun beziehen wir uns auf die britische Trilogie – basiert auf drei Romanen des politischen Insiders Miachael Dobbs. Dieser machte sich neben seiner Tätigkeit als Werbefachmann vor allem als Berater und Redenschreiber der konservativen Partei unter Margaret Thatcher und John Major mit konservativen Ansichten und knallhartem Gedankengut einen Namen. “The Guardian” beschrieb Dobbs einst als “Westminster’s baby-faced hitman”. Mit seinen Romanen um den Tory-Politiker Francis Urquhart schrieb Dobbs legendäre Zeitgeschichte, die nicht nur in der US-amerikanischen Neuauflage immer noch ebenso unterhaltsam wie hochbrisant ist.

1989 erschien “House of Cards” als Roman und wurde bereits ein Jahr später von der BBC als Miniserie ausgestrahlt. Das Drehbuch schrieb Andrew Davies, der ebenfalls für die amerikanische Version als Executive Producer zeichnet, in einem Interview allerdings erklärt, dass sich sein Beitrag zur US-Version auf schweigendes Zustimmen beschränkt. Da hat der Mann Glück, denn das wird immerhin gut bezahlt: “I get shown the scripts, which I think are very good. I keep thinking of writing a fan letter to the writer Beau Willimon, but I haven’t got round to it.” Auch kommentiert er die ihm zugesendeten Skripts nicht: ‘I get the strong impression that they’d prefer me not to. Really, they are giving me quite a lot of money for doing nothing.” (vgl. hier)

Verschwörung mit dem Publikum

Die erste, aus vier Episoden bestehende Staffel der BBC-Serie erzählt, wie der bislang als harmlos und äußerst loyal angesehene Fraktionschef Francis Urquhart nach der Wahl bei der Vergabe der Erstbänklerplätze übergangen wird und in einem bitterbösen Ränkespiel Rache nimmt. Urquhart, den Ian Richardson unvergleichlich grandios charmant als machtgeilen Intellektuellen-Aristokraten-Schurken gibt, handelt stets nach bestem Wissen und Gewissen und ist davon überzeugt, dass er mit einem Mord nicht nur dem Schwächling, der dem Leben eben nicht gewachsen war, sondern der gesamten Menschheit Gutes tut. Als “Akt des Mitleids” beschreibt er einen seiner Morde und damit gibt sich der so feingeistige, sich um alles kümmernde Laufbursche seiner Partei als veritabler Psychopath zu erkennen.

Nebenbei wendet sich Urquhart mit süffisanten Kommentaren ganz à la Shakespeare-Dramen direkt an den Zuschauer und macht so eben diesen zu seinem Komplizen. Welcher Kandidat soll die Machtleiter erklimmen? Urquhart stellt sie uns allesamt als unfähig vor, räumt allerdings Henry Collingridge die besten Chancen ein. “Der kommt beim Wähler an. Ein gutmütiger Tollpatsch, der kein Stehvermögen hat und einen Namen ohne Klang”, lässt uns der Einpeitscher der Hinterbänkler wissen und spinnt sodann einen perfiden Racheplan, als sich der gewählte Tollpatsch nicht an sein einst gegebenes Versprechen erinnern will. Die ehrgeizige Journalistin Mattie Storin (Susannah Harker) erweist sich als ebenso hilfreich, um Collingridge zu Fall zu bringen, wie die abgehalfterte, allzu leicht erpressbare Koksnase, der einst brillante Pressesprecher O’Neill (Miles Anderson). Collingridge hat allerdings auch, wie es in so vielen guten Familie vorkommt, einfach Pech: Sein Bruder ist ein Säufer, der zuweilen die sexuelle Orientierung verliert und ständig Pleite ist. Des Prime Ministers Achillesferse, denn so eine Verwandtschaft kommt bei den Wählern nicht gut an, man darf den Trunkenbold weder unterstützen, noch darf man ihn verdammen.

Urquhart ist sich dessen bewusst und verwickelt so den armen versoffenen Charles Collingridge (James Villiers), der gar nicht weiß, wie ihm geschieht, in gleich mehrere Skandale. Angetrieben von seiner Frau Elizabeth (Diane Fletcher) leistet sich Francis Urquhart en passant eine kleine, aber bedeutsame Affaire mit der Jungjournalistin Storin. Susannah Harker spielt Mattie Storin mit einer grandiosen Mischung aus abgeklärter Naivität, zu der sich ein eklatanter Vaterkomplex gesellt. “Ich will dich Daddy nennen”, bittet sie den respektablen, gebildeten, so sensiblen Urquhart, bevor man sich den fleischlichen Gelüsten hingibt. Und Urquhart lässt sich allzu gern auf dieses Spielchen ein. Zwar macht Storin diese Liaison durchaus nicht blind vor Liebe, doch das Erwachen in Daddys Armen wird sie am Ende nicht nur ihre Karriere kosten.

House of Cards_stillWutsch [301250]Bezüge zu Macbeth und den Königsdramen

Das Polit-Parkett ist aufregend und wird im britischen Westminister von rhetorisch oft brillanten, heiß geführten Debatten im Unter- wie im Oberhaus untermalt. Um spitzfindige Kommentare, die ironische Lacher auf seine Seite ziehen, ist jeder Parlamentarier ebenso bemüht wie um publikumswirksame Auftritte. Dass die Politik indes in von Zigarren verrauchten Hinterzimmern gemacht wird, in denen der Scotch die Geister vernebelt und zu leichtsinnig eingegangene Sex-Eskapaden den ein oder anderen älteren Herrn zu Fall bringen, erzählt der zweite Teil der Serie “To Play The King”. Urquhart, – “zuerst Glamis und Cawdor und danach dann König” (Macbeth) -, hat die Macht erobert, die Opposition ist so gut wie ausgeschaltet und der Prime Minister langweilt sich, er sucht nach einer Herausforderung. Da trifft es sich gut, dass der neue König mit seiner eigens zu diesen Zwecken engagierten Expertin für Minderheiten an formidablen Sozialreformen arbeitet und den starken Mann im Staate spielen möchte. Welch anmaßende Sottise!

Den kleinen Rebellionen in den eigenen Reihen sowie der irgendwie aufmüpfigen Presse gebietet Urquhart Einhalt, indem er ihnen seine rechte Hand, den abgebrühten Stamper (genial: Colin Jeavons), vorbeischickt. Dabei übersieht Urquhart fast, dass dessen Loyalität langsam bröckelt. Der Prime Minister kümmert sich lieber um das kindsköpfige royale Oberhaupt. Er engagiert Sarah Harding (Kitty Aldrigde) als Persönliche Assistentin, die nicht nur trotz ihrer glücklichen Ehe allzu gern mit ihrem neuen Boss ins Bett steigt, sondern ihm auch ganz nach Belieben jede Rede, jede Meinungsumfrage so gestaltet, dass das Volk endlich erkennen kann, mit welch weisem Blick und Großmut Urquhart eine prosperierende Zukunft für eben seine Wähler gestaltet.

Schwäche zeigen – ziemlich schwierig

Die letzte Staffel “The Final Cut” ist womöglich die schwächste der Miniserie. Oder sagen wir lieber, inzwischen hat der Zuschauer so hohe Erwartungen, dass das Skript diesen einfach nicht ganz gerecht werden kann, wenn es clever die Story nur konsequent zu Ende erzählt. Mit Tom Makepeace (absolut famos: Paul Freeman) stellt sich der Außenminister gegen seinen Prime und sorgt für eine Menge Ärgernis, das gänzlich ungelegen kommt. Urquhart will vor allem eins: Er will länger an der Macht ausharren als Margaret Thatcher – die Iron Lady war über 11 Jahre im Amt. Und nebenbei wäre es doch clever, vor dem Abgang noch europäische Geschichte zu schreiben. Ein Friedensvertrag für Zypern könnte Urquharts internationales Ansehen erhöhen, zudem scheint es möglich, sich darüber hinaus das Altenteil finanziell noch etwas aufzubessern. Doch während Makepeace für ordentlich Gegenwind sorgt, strauchelt Urquhart im letzten Akt vielmehr über seine eigenen Dämonen.

Dieser Abgang, der mehr auf eigener Schwäche als auf Druck von außen basiert, fiel selbst dem Darsteller Richardson schwer. In einem Interview mit der “New York Times” verriet er: “Having gone through the six hours of being on top, I had to start showing the man on the decline, I was reluctant to let go of him. For five years, my interpretation had been one of his enormous personal inner strength and highly charged mental ability; I found it very difficult to show weakness.” Und tatsächlich geht es dem Zuschauer ebenso, womöglich gönnt man dem Schurken Urquhart einfach ein wilderes Stierkampf-Duell zum Ende, wer weiß. Schließlich agiert zum ersten Mal auch Urquharts Frau Elizabeth recht aktiv im Intrigenspiel und das nicht unbedingt ausschließlich zu seinem Vorteil. Sie wird damit, wie übrigens bislang all seine Geliebten, zu einer ernsten Bedrohung, vor allem, da er sie bis zuletzt als seine engste Vertraute sieht.

Ein perfekt geschliffenes Unterhaltungsstück

Das BBC-Original von “House of Cards” überzeugt auf mehr als zehn Stunden Spielzeit mit perfekt geschliffenen, scharfsinnigen Dialogen und mit durchweg menschlich glaubhaften, kantigen Charakteren. Sicher, bei Francis Urquhart laufen alle Fäden des von ihm gebauten Kartenhauses, der von ihm in Szene gesetzten Marionetten zusammen. Fast möchte man glauben, das sei eine One-Man-Performance des Ian Richardson, der mit kleinster Mimik, einem Zucken der Mundwinkel, einem angedeuteten Lächeln, einer Bewegung der Augenbraue, dem feinen Runzeln der Stirn ganz unverhohlen all den Spott, das Mitleid und das feine Amusement der Aristokratie zum Ausdruck bringen kann, die sich zu ihrem Leidwesen mit den Unterprivilegierten im Leben herumschlagen muss. Doch wie man es von britischen Produktionen gewöhnt ist, spielt die gesamte Schauspielerriege einfach superb und mit größter Verve. Wer einigermaßen dem Englischen folgen kann – deutsche Untertitel können eingeblendet werden – wird seine Freude daran haben, die Serie im Original zu schauen. Die hochkonzentrierte, stringent geführte Story lässt aus dieser mit Preisen ausgezeichneten Polit-Drama-Satire ein Unterhaltungsstück werden, das spannender und weitaus aufschlussreicher über Macht und Menschen erzählt als die meisten Krimis.

Und wie würde Francis Urquhart auf diese Einschätzung reagieren? “Nun. Sie mögen das so sehen. Ich aber darf das nicht kommentieren.”

Anna Veronica Wutschel

House of Cards (Ein Kartenhaus). Die komplette Miniserien-Trilogie der BBC von 1990. 6 DVDs. Studio: Ascot Elite Home Entertainment. Darsteller: Ian Richardson; Paul Freeman; Susannah Harker; Diane Fletcher; Colin Jeavons u. a. 644 Minuten. Deutsch (Dolby Digital 2.0), Englisch (Dolby Digital 2.0). Untertitel: Deutsch; Englisch.

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