Undercover in Sofia
– Der beste Undercover-Roman, sagt Joseph Wambaugh einmal, sei John Le Carrés „Der Spion, der aus der Kälte kam“. Der Maulwurf ist eine der wirkmächtigsten Figuren nicht nur des Politthrillers und den dort bearbeiteten Realitäten. Dass ausgerechnet eine bulgarische Serie namens „Undercover“ dem Topos noch ein paar neue Aspekte abgewinnen könnte, erstaunt auch freudig Anna Veronica Wutschel.
Storys, die von einem Maulwurf erzählen, von einem, der sich in feindliches Territorium einschleust und als Vertrauensperson andient, von einem, der quasi für zwei Mannschaften gleichzeitig auf dem Feld spielt, müssen eigentlich per se spannend sein. Schließlich birgt so ein Doppelleben enorme Gefahren wie auch unterschiedlichste Verlockungen und lässt den mit stetem Gewissenskonflikt kämpfenden Helden ziemlich allein. Wie wird er sich schlagen hinter gegnerischen Linien, wie weit muss er gehen, wie kriminell muss er sich verhalten, um nicht selbst enttarnt zu werden, aber genügend Stoff zu sammeln, damit Recht und Ordnung, das Gesetz greifen kann. Wie kompliziert sich diesbezüglich die rechtliche Lage wirklich gestaltet, kann man derzeit z. B. erahnen, wenn man den NSU-Prozess beobachtet. Der Verfassungsschutz und seine V-Leute lassen sich da ungern in die Karten schauen, da ist es allzu blöd, wenn eine Aktion auffliegt, und ein Richter stellvertretend für die die Gesellschaft nach der Wahrheit forscht. Verschwundene Akten, Gedächtnislücken sowie unter dubiosen Umständen verstorbene Kontaktleute lassen für die Öffentlichkeit immer wieder brisante Fragen im Dunklen.
Der Krimi, vor allem Hollywood in diesem Fall, macht es sich da zumeist leichter und konzentriert sich vornehmlich auf das Spiel um den wildernden Gejagten, den guten Helden, der qua seiner Funktion in das Böse abtauchen muss und nur allzu häufig im Strudel von Pflichten und Loyalitäten unterzugehen scheint. „Amercian Hustle“, „Departed – Unter Feinden“, „Point Break – Gefährliche Brandung“, um nur einige geläufige Titel zu nennen, erzählen derartige Geschichten. Al Pacino begab sich 1979 in William Friedkins nicht ganz unumstrittenem „Cruising“ als Officer Burns (!) in eine schrille Leder-SM-Schwulen-Szene, um einen Mörder zur Strecke zu bringen. Und dabei wurde besonders Burns vermeintlich gefestigte Identität, die ihn für den Einsatz prädestinierte, immer wieder neu ausgelotet, auf den Prüfstand gestellt.

Old School
„Undercover“ nun kommt vergleichsweise brav daher. Die bulgarische Serie, ganz nach Old-School-Manier gemacht, wartet mit stylischen Bildern, rasanten Sequenzen und schneller, harter Action auf, die ein spannendes Schauerlebnis durchaus garantieren. Martin, der als Junge von seinem Vater zum Diebstahl gezwungen wurde, landet, nachdem er einen Bruch vermasselt hat, in einem Heim für schwer erziehbare Jugendliche. Dort lernt er nicht nur, allein in einer feindlichen Umwelt zu überleben, sondern gerät auch unter die Fittiche von Polizeikommissar Popov. Martin wird zum Boxer ausgebildet, besucht Elitekurse im Ausland, lernt seine Ängste in den Griff zu bekommen, sich eine neue Identität anzueignen, so dass er mit absolut jeder Flunkerei locker einem Lügendetektortest standhält. Popov investiert zehn Jahre in die Formung seines Zöglings, des kleinen ‚Gauners‘, wie er Martin als dessen neue Vaterfigur gern nennt. Als sich die Gelegenheit bietet, schleust er ihn in die mafiöse Organisation des Gangsters Jaro ein. Seit Jahren beherrscht Jaro das Verbrechen von Sofia, und die Polizei kann ihm kein einziges seiner Vergehen nachweisen. Jaro ist in seinem Katz-und-Mausspiel so clever, dass man nicht einmal ahnt, in welchem Wagen er morgens das Haus verlässt.
Sinn fürs Absurde
Dass Martin noch vor seinem eigentlichen Einsatz durch einen Zufall die schöne Sunny vor einem Schläger rettet und sich umgehend in sie verliebt, und dass Sunny selbstverständlich die Geliebte von Jaro ist, gefährdet nicht nur seine eh schon diffizile Mission gewaltig, sondern ist nur eine der vielen, überflüssigen Überkonstruktionen der Serie. Da diese sehr auf Action ausgerichtet ist, schlittert Martin beständig in lebensbedrohliche Situationen, aus denen ihn in letzter Sekunde dann ein Handzeichen, ein Anruf oder sonstige Unglaubwürdigkeiten vor der Enttarnung, dem sicheren Tod bewahren. Insgesamt sind die Einsichten, die „Undercover“ in die Arbeit der bulgarischen Polizei, der Unterwelt, der Führungsetage des mafiösen Clans, der Gesellschaft bieten, durchweg spannend. Doch startet die Serie, wie bereits gesagt, zu zahm, zu hölzern klischeeüberladen. Der durch „The Wire“ oder „Romanzo Criminale“ verwöhnte Zuschauer darf durchaus anmerken, dass hier auch relativ zurückhaltend mit Komik, mit Sinn für das Absurde des Alltags oder des Verbrechens gespielt wird. Packende Tragik, eindringliche Bildersprache, die die emotionale Gratwanderung Martins veranschaulichen könnten, komplexe Milieu- oder Gesellschaftsstudie erwartet man hier vergebens.
Der Unterhaltungswert ist dennoch erstaunlich hoch, vor allem da die Serienmacher es dann doch verstehen, wichtige Details erst nach und nach zu servieren, so dass sich die Motive der Figuren entwickeln können und dem Erzählten immer wieder neue Gewichtung verleihen. Im Pay-TV sowie bei amazon konnte man bereits die ersten beiden Staffeln sehen. Die erste Staffel liegt seit Dezember letzten Jahres auf DVD vor, die zweite Staffel erscheint nun in diesen Wochen. Während Jaro im Weiteren versuchen wird, seine Geschäfte zu legalisieren, wird sich Martin verstärkt um die kriminellen Machenschaften der Organisation kümmern. Nach einem fulminanten Ende, das Kommissar Popov das Leben kosten könnte und einen weiteren Gegner Jaros ins Spiel wirft, verspricht auch die kommende Staffel eine Menge Spannung. Von inzwischen vier gedrehten läuft die dritte bereits im Pay-TV, und sollten sich die Skriptschreiber im Verlauf des durchaus komplex erzählten, sich immer mehr entfächernden Handlungsstranges etwas mehr freizügige Spielerei innerhalb der Szenen, neben der Action mehr Willen zu einem eigenen Stil, mehr emotionsgeladenen Tiefgang erlauben und den Blick aufs Detail schärfen, könnte „Undercover“ nach einem recht akzeptablen Start tatsächlich in die erste Liga der Serienunterhaltung aufsteigen.
Anna Veronica Wutschel
Undercover: 4 DVDs. Darsteller: Vladimir Penev, Irena Miliankova, Ivaylo Zahariev, Mihail Bilalov u. a. Regie: Dimitar Mitovski. Studio: Studio Hamburg Enterprises. Laufzeit: 720 Minuten. Sprache: Deutsch, Bulgarisch. Erscheinungstermin: 05.12.2014. 26,99 Euro. Szenenbilder: © Studio Hamburg Enterprises.
Den Blog von Anna Veronica Wutschel finden Sie hier.