Theorie, Pauschales und die Praxis
Matthias Bischoff und seine Kritikerkritik, dass zu wenig Krimi-Bestseller besprochen würden
„Ein ernster Roman, der wenig Freude macht.“ Mit diesem nicht sehr einladenden Resümee endete kürzlich einer der von mir ob ihrer Kürze und Prägnanz sehr geschätzten Buchhinweise in der Fernsehzeitschrift „Hörzu“. Und glaubt man dem Publizisten Matthias Bischoff, werden hier exakt die Qualitätskriterien zusammengefasst, anhand derer „die Kritiker“ Kriminalliteratur beurteilten. Denn diese seien „identisch mit denen für sogenannte ernste Literatur“: „Hier dürfen Leserbedürfnisse nicht befriedigt werden, hier müssen Genreregeln gebrochen, infrage gestellt, ignoriert werden, hier darf es kein Happy End geben, keine Identifikation mit der Ermittlerfigur. Möglichst harter Realismus und eine möglichst kritische Schilderung der gesellschaftlichen Wirklichkeit werden dotiert.“ Wer sich aber von einem derart abgehobenen Literaturgeschmack leiten lasse, dürfe sich nicht wundern, wenn seine Empfehlungen nur äußerst selten den Sprung in die Bestsellerlisten schafften. Und das gelte insbesondere für die von Kritikerjurys verliehenen Auszeichnungen, die, anders als der „deutsche Buchpreis, der immerhin viele Literaturinteressierte neugierig“ mache, kaum zu nennenswerten Mehrverkäufen führten. Kurz: Von „den Kritikerempfehlungen beim Krimi“ gehe „kein Impuls aus“. Vielmehr ahne „der Leser“, „dass die vielen prämierten Bücher nur ein eingeschränktes Lesevergnügen bieten“.

„Vom Leben in getrennten Welten“ lautet der Titel des immerhin im Magazin des Goethe-Instituts veröffentlichten Artikels, in dem Bischoff der professionellen Krimikritik ein miserables Zeugnis ausstellt. Ganz abwegig erscheint seine These auf den ersten Blick nicht, denn tatsächlich bedurften die Spitzentitel der Bestsellerliste noch nie der Unterstützung des Feuilletons, um sich massenhaft zu verkaufen. Warum sollte das bei Spannungsliteratur, die hierzulande(anders als beispielsweise in Großbritannien) ziemlich lange gebraucht hat, um sich als Gegenstand ernsthafter Kritik zu etablieren, anders sein?
Doch bei näherer Betrachtung erweist sich Bischoffs Beweisführung als ziemlich fragwürdig. Von den zehn Titeln der Krimibestenliste für den November 2018 stehe kein einziger auf der Bestsellerliste, bemängelt er, während die dort platzierten Spannungsromane (von Sebastian Fitzek, Volker Kutscher, Charlotte Link, Rita Falk, Andreas Eschbach und Martin Suter) bis auf eine Ausnahme keine „Gnade vor den Augen der Kritiker“ fänden. Und dies liege daran, dass sich die „unselige Spaltung der Bücher in anspruchsvolle und anspruchslose Literatur“, „auch im Bereich Krimi“ fortsetze. Anstatt die „handwerkliche Machart“ eines Fitzek-Reißers zu analysieren, würde die „deutsche Literaturkritik bei nahezu allem, was auf den Bestsellerstapeln liegt, naserümpfend den Daumen“ senken.

Abgesehen davon, dass die akribische Analyse Fitzek’scher Erzählverfahren dessen Fans einen feuchten Kehricht interessieren würde, erklärt Bischoffs Theorie nicht, warum beispielsweise einer der renommiertesten deutschen Krimikritiker seine Leserbedürfnisse lieber durch die Jack Reacher-Romane von Lee Child befriedigen lässt als durch heimische Thrillerkost. Und wären fehlende Identifikationsangebote ein Merkmal von Qualität, hätte es kein einziger Roman der französischen Autorin Dominique Manotti auf die Krimibestenliste geschafft. Auch Sara Paretskys „Kritische Masse“, die im Dezember letzten Jahres auf Platz 1 stand, zeichnet sich nicht dadurch aus, dass Genreregeln gebrochen würden, sondern ist ein solide erzählter, beinahe klassisch zu nennender Detektivroman. Dass Paretskys Bücher, die früher in den großen Publikumsverlagen erschienen, nun vom engagierten Ariadne Verlag herausgebracht werden, zeigt allerdings schon, wie sich der Markt verändert hat. Kleine unabhängige Häuser wie Pulpmaster, Pendragon, Nautilus und eben auch Ariadne pflegen ihre Programme auf eine Weise, die sich für die marktbeherrschenden Player nicht immer rechnet. Dass „die Kritiker“ allerdings, wie Bischoff schreibt, diesen Umstand „immer wieder beklagen“ würden, ist Unfug. Niemand ist so naiv, „Buchhandel und Verlagen“ vorzuwerfen, dass für sie „nur der Verkauf“ zähle, während „Qualitätskriterien außer Acht gelassen würden“. Bei Droemer z. B. erschienen neben den Thrillern Sebastian Fitzeks die Romane der Amerikanerin Sara Gran, in denen tatsächlich zum Vergnügen mancher Kritiker/innen Genreregeln gebrochen werden (ihr neuer Roman bald bei Heyne Hardcore). Auch Simone Buchholz, deren Roman „Mexikoring“ just mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet wurde, veröffentlichte vor ihrem Wechsel zu Suhrkamp bei Droemer (Besprechung von Sonja Hartl in dieser CrimeMag-Ausgabe).

„In kaum einer anderen Buchsparte klaffen die Ansprüche von Kritikern und der Geschmack der Leser so weit auseinander wie bei der Kriminalliteratur“, heißt es im Vorspann zu Bischoffs Artikel. Das mag so sein. Mein Buchhändler, der Titel der Krimibestenliste besonders gut verkauft, während der erfolgsträchtige neue Roman von Robert Gailbraith (a.k.a. J. K Rowling) noch kein einziges Mal über die Ladentheke gegangen ist – trotz weitgehend guter Kritiken übrigens -, erzählt eine andere Geschichte. Aber nehmen wir trotzdem an, es stimmt: Was wäre daran skandalös?
Joachim Feldmann