Geschrieben am 15. November 2018 von für Crimemag, CrimeMag November 2018

Eine Pelzer-Story von Robert Rescue

Klaus Pelzer ist ein Geisterjäger. Keiner der Sorte wie John Sinclair, der den Teufel und seine höllischen Dämonen in Diskotheken, Spukhäusern oder in verfluchten Klosterruinen jagt. Klaus Pelzer ist vorzugsweise im Internet unterwegs, in den Augen mancher die Hölle von heute. Hin und wieder jagt er auch alte Götter in Kleingartenkolonien oder exorziert ans Internet angeschlossene Mädchenpuppen, die von einem Hacker übernommen wurden. Und manches Mal entpuppt sich ein scheinbar paranormales Phänomen als Kriminalfall …wack5a

 

Klaus Pelzer und das tödliche Medium

Von Robert Rescue

Es war kein schöner Anblick, der sich Klaus Pelzer bot. Auf dem Boden lag ein Igluzelt und darauf ausgestreckt die Leiche einer Frau. Der Kommissar trat neben ihn. „Sie hat das Zelt vor ein paar Tagen gekauft und wollte damit zu einem Festival fahren. Um es auszuprobieren, hat sie es in der Wohnung aufgebaut und wollte darin die Nacht verbringen. Irgendwann ist das Zelt zusammengefallen und sie erstickt.“

„Hat sie Ihnen das erzählt?“, fragte Pelzer.

„Bitte was?“, rief der Kommissar. „Die kann das doch nicht mehr erzählen. Die ist mausetot.“

„Vielleicht ist sie als Geist erschienen?“, überlegte Pelzer. „Dann hätte ich einen Anhaltspunkt, warum ich überhaupt hier hin. Ich bin schließlich kein Gerichtsmediziner, kein Tatortreiniger und auch kein …“

“Kommissar“, unterbrach ihn der Kommissar.

„Richtig“, entgegnete Pelzer. „Auch kein Kommissar.“

Klaus Pelzer war ein Geisterjäger, ein Spezialist für paranormale Kriminalfälle. Das war sein Broterwerb, das war seine Leidenschaft. Warum ihn der Kommissar hierher beordert hatte, konnte er sich nicht erklären. An der Auffindesituation der Leiche schien nichts paranormal zu sein.

„Als Geist ist sie nicht erschienen“, antwortete der Kommissar. „Aber die Begleitumstände des Todesfalls könnten genau das richtige für Sie sein. Sie lassen sich nicht rational erklären, deshalb habe ich Sie angerufen.“

Er ging in Richtung Küche und Pelzer folgte ihm.

„Wie hieß die Frau?“, fragte er.

„Kitty Stickoxid“, erwiderte der Kommissar. „Sie war Lyrikerin.“

„War das ihr Künstlername?“, fragte Pelzer zurück.

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„Leider nein.“

Sie betraten die Küche. Am Tisch saß ein junger Mann und ließ die Schultern hängen. Auf dem Tisch stand ein Laptop. Eine Polizei-Psychologin sprach beruhigend auf den Mann ein.

Der Kommissar deutete in Richtung Tisch.

„Der Junge hier heißt Friedrich Wilhelm de Solitaire und schreibt ebenfalls. Aber längeres Zeug. Er wird Ihnen erklären, was vorgefallen ist und was das mit paranormalen Phänomen zu tun hat.“

Klaus Pelzer setzte sich. Der Bursche sah aus wie Bill Gates, bevor der Windows erfand. Er trug eine Hornbrille und seine Gesichtshaut war unsauber. Vermutlich hatte er Tinder auf sein Smartphone installiert und kein Glück. Er sah ihn aus traurigen Augen an.

„Ich glaube, ich bin für den Tod von Kitty verantwortlich“, sagte er. Pelzer sah hoch zum Kommissar. „Haben Sie das gehört? Er hat gerade ein Geständnis abgelegt oder zumindest so halbwegs.“

Der Kommissar schwieg.

„Mir kommen als Schriftsteller immer so Ideen“, erzählte der Junge weiter. „Und ich muss sie dann aufschreiben. Vor zwei Tagen erzählte mir Kitty, dass sie das Zelt gekauft habe, weil sie nach Wacken fahren will. Sie plante einen Gedichtzyklus über Heavy Metal. Sie wollte das Zelt im Wohnzimmer aufbauen und darin übernachten. Drei Stunden, nachdem sie mir das erzählt hatte, kam ich auf die Idee, dass das Zelt zusammenfällt und sie darin erstickt.“

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„Beziehungsprobleme?“, fragte Pelzer. „Nein, gar nicht“, wehrte der Junge ab. „Wir waren nicht zusammen. Es ist nur, die Muse, die kommt plötzlich und mitunter mit merkwürdig anmutenden Ideen. Sie springt mich an, sie klammert sich an mich und dann flüstert …“

Pelzer unterbrach ihn mit einer Handbewegung und sagte: „Ich kenne das.“

„Sind sie auch Autor?“

„Nein. Die Beschreibung erinnert mich an meine Ex-Frau. Sie war Nymphomanin. Ihr Verlangen überstieg meine kühnsten Träume.“

Der Junge schwieg und Pelzer dachte nach. Besaß der Junge eine übersinnliche Fähigkeit? Er hatte Ideen und die wurden real. Eine Menge Menschen würden ihn darum beneiden.

„Gibt es noch mehr solcher Ideen, die dann Realität wurden?“

wack6Der Junge nickte. „Kitty hatte so eine böse Nachbarin. Frau Krummsporn. Die hat sich über Lärm beschwert und ihren Müll vor Kittys Tür gestellt. Ich hatte dann die Idee, dass sie aus dem Fenster stürzt, mit dem Kopf auf den Rand des offenen Müllcontainers aufschlägt und dann mit Genickbruch in den Container fällt. Als ich ein paar Stunden später Kitty besucht habe, schaute ich in den Container und da lag sie, wie von mir beschrieben.“

Pelzer blickte wieder zu dem Kommissar.

„Die Sache war bisher als Unfall eingestuft“, sagte dieser.

„Aber ich habe doch nichts gemacht“, empörte sich der Junge plötzlich. „Ich habe nur eine Idee, eine Vorstellung gehabt. Ich habe nichts getan. Also nichts mit den Händen oder so. Ich habe keine Anweisung gegeben, irgendwen mit etwas beauftragt.“

„In gewisser Weise bist du ein Hintermann“, sagte Pelzer. „Oder ein Auftraggeber. Ein Planer. Ein Organisator. So was in der Art. Auf jeden Fall hast du mit deinen Idee Menschen getötet, Junge. Respekt, eine reife Leistung für einen Autor. Wenn du mal Bücher rausbringst, dann solltest du das hinten auf den Klappentext schreiben.“

„Aber ob das Leute kaufen wollen?“, sinnierte der Kommissar.

wack7„Hast du mit einem Dämon Kontakt?“, fragte Pelzer. Das war eine Standardfrage von ihm. Wenn sie mit Ja beantwortet wurde, brachte ihn das bei der Auflösung des Falls ein ganzes Stück weiter, wenn sie verneint wurde, stand er wieder am Anfang. Der Junge schaute verwirrt zwischen Pelzer und dem Kommissar hin und her. „Nein, habe ich nicht.“

„Auf jeden Fall was übersinnliches“, sagte Pelzer mehr zu sich. Er sagte sich das stets, wenn die Frage verneint wurde. So leicht wollte er die Flinte nichts ins Korn werfen. Dann kam ihn eine Idee.

„Passieren die Dinge, wenn du die Ideen aufgeschrieben hast oder gibt es auch Ideen, die du noch im Kopf hast, aber noch nicht aufgeschrieben hast?“ Eine holprige Frage, dachte sich Pelzer. Ich muss mir mal ein Sachbuch kaufen. „Fragen richtig stellen“ oder „Fragen griffig formulieren – ein Leitfaden für Business und Vernehmung“

„Schwer zu sagen“, antwortete sein Gegenüber. Für den Geisterjäger klang das so, als hätte der Junge seine Frage ebenso eingeschätzt. Bei seiner weiteren Antwort dämmerte Pelzer, dass er das eigentlich hatte fragen wollen. „Manche Ideen haben nicht mit konkreten Personen zu tun, sondern mit erfundenen. Ich habe ganz frisch eine im Kopf, die mir auf dem Weg hierher eingefallen ist. Ich konnte sie nicht aufschreiben, weil ich ja Kitty gefunden habe. Ein abgeranzter Typ, der in einer Küche sitzt und plötzlich löste sich das Regal über ihm und fällt ihm auf dem Kopf. Er ist tot.“

„Kannst du die Figur näher beschreiben?“, fragte Pelzer.

„Über das Äußere habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Aber ich habe mir einen Namen überlegt. Die Figur heißt Claus Pälzer.“

„Was?“ Pelzer sprang auf. „Klaus Pelzer mit K vorne und e in Pelzer?“

„Nein“, rief der Junge verängstigt. „Mit c vorne und ä.“

Pelzer ließ sich auf den Stuhl fallen. Das Leben, so ging es ihm durch den Kopf, hängt an einem seidenen Faden beziehungsweise an einem Buchstaben oder zwei.

„Ich checke das mal“, sagte der Kommissar, holte das Handy heraus und ging zum Telefonieren raus.

„Studierst du?“, fragte Pelzer.

„Ja. Landschaftsarchitektur. Aber ich überlege, damit aufzuhören.“

„Das ist ein solides Studium mit besten Jobaussichten“, schätzte der Geisterjäger ein.

„Gärten und Plätze konzipieren und, ähm, Bepflanzung ausdenken. Also ich hätte, glaube ich, Spaß an so einer Tätigkeit.“

Der Kommissar kam zurück. „Ein fünfundvierzigjähriger aus Flensburg mit Namen Claus Pälzer. In der Küche vom Schrank erschlagen. Fundzeit vor etwa einer Stunde.“

Der Junge wurde leichenblass. „Um Gottes Willen“, stammelte er.

Klaus Pelzer holte tief Luft, bevor er sprach.

„Deine Ideen? Tippst du die alle in den Laptop oder hast du auch ein Notizbuch?“

„Beides“, antwortete der Junge. Er griff hektisch nach seiner Jacke und zog ein Notizbuch hervor. Pelzer nahm es und blätterte darin.

„Ein Slip namens Chantal“, sagte er zu sich selbst.

„Das ist eine Titelidee für eine Geschichte. Etwas erotisches. Ich finde den Titel super“, ergänzte der Bursche.

„Wird wohl unverdächtig sein“, kommentierte Pelzer, legte das Buch auf den Laptop und reichte beide Sachen weiter an den Kommissar. „Die Polizei schaut sich deine Ideen mal näher an und vergleicht das mit der Datenbank. Wir wollen herausfinden, wie viele Übereinstimmungen es gibt zwischen deinen Ideen und gemeldeten Todesfällen. Es gilt nicht als Straftat, wenn Menschen aufgrund der Ideen von Schrifttellern sterben. Aber ich rate dir, deinem Studium Priorität einzuräumen und mit dem Schreiben aufzuhören. Deine Ideen haben, wie soll ich sagen, eine verheerende Wirkung. Oder fang an zu malen. 31QWAtLgU7LKaufe dir eine DVD von Bob Ross und male künftig Landschaften. Transformiere deine Ideen. Oder besorge dir ein Abo von Netflix. Ich bin sicher, das erstickt jede Kreativität im Keim. Was aber bleiben wird, ist die moralische Schuld. Ich will, dass du das weißt und niemals vergisst. Du bist für den Tod von mindestens drei Menschen verantwortlich. Das ist Fakt. Insbesondere für den Tod von Kitty Stickoxid, deiner künstlerischen Freundin, deiner vermutlich platonischen Liebe deines Lebens. Sie war eine junge Pflanze und du hast sie erbarmungslos abgeknickt. Die Last der Verantwortung wird dich den Rest deines Lebens begleiten.“

Der Junge fing an zu heulen. Pelzer wandte sich an die Polizei-Psychologin, die während der Vernehmung reglos da gesessen hatte, nun aber den Geisterjäger entsetzt anblickte.

„Ich bin fertig hier“, sagte Pelzer zu ihr. „Sie können ihn weiter therapieren.“

Dann verließ er die Küche.

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Robert Rescue bei CrimeMagZu seiner Webseite mit Terminen, Veröffentlichungen etc. geht es hier, einen einschlägigen Beitrag von ihm finden Sie in der Anthologie „Berlin Noir“ und beim Talk Noir im Neuköllner Froschkönig ist er regelmässig unser Stargast.

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