
Was Leser*innen wollen
Ich hab hunderte 1-Sterne-Bewertungen von Büchern auf Amazon durchforstet und zusammengetragen, was Leser*innen eigentlich von Autor*innen wollen:
Sie wollen, dass das Buch in zwei bis drei Tagen geliefert wird. Sie wollen dass das Buch noch am selben Tag geliefert wird. Sie wollen, dass das Buch geliefert wird. Sie wollen dass das Buch nicht komisch riecht. Sie wollen, dass der Einband nicht beschädigt ist. Sie wollen dass der Kartonschuber nicht verbeult ist. Sie wollen, dass das Papier nicht biebeldünn ist. Sie wollen, dass das Buch nicht eingerissen ist und keine Eselsohren hat. Sie wollen keine zehn Euro für dieses Taschenbuch ausgeben. Sie wollen keine zwanzig Euro für dieses Hardcover ausgeben. Sie wollen, dass das Buch keine Notizen darin hat. Sie wollen, dass das Buch keine Flecken hat. Sie wollen ein unbeflecktes Buch. Sie wollen, dass das Buch leicht verständlich ist. Sie wollen dass das Buch nicht zu banal ist. Sie wollen, dass das Buch nicht aus simplen Alltagsphilosophie-Weisheiten besteht. Sie wollen etwas aus diesem Buch lernen. Sie wollen, dass das Buch sie nicht belehrt. Sie wollen dass die Hauptfiguren eine große Wandlung durchleben. Sie wollen dass sie eine neue Wirklichkeit erschaffen. Sie wollen, dass nicht zu viele Stellen auf Latein vorkommen. Sie wollen, dass sie die Wörter nicht extra im Internet nachschlagen müssen, um sie zu verstehen. Sie wollen, dass sie nicht etwas erfahren, das sie gar nicht wissen wollen. Sie wollen keine Namen, Sätze und Taten auswendig lernen. Sie wollen, dass die Lektüre nicht ermüdend ist. Sie wollen keine Gewalt. Sie wollen keine Sexszenen. Sie wollen keine 600, 700, 800 Seiten lesen, die man eigentlich auf zwei Seiten zusammenfassen könnte. Sie haben Klassiker eigentlich immer sehr gerne gelesen. Sie wollen, dass die Charaktere gut ausgearbeitet sind. Sie wollen, dass die Haar- und Augenfarbe der Charaktere erwähnt werden. Sie wollen, dass auch manche Sachen der Fantasie überlassen werden. Sie wollen, dass die Einrichtung der Räume beschrieben wird. Sie wollen, dass nicht jede banale Alltagshandlung beschrieben wird. Sie wollen nicht bei der Lektüre einschlafen. Sie wollen sich freuen, wenn sie wieder ein Kapitel geschafft haben. Sie wollen keine elendslangen Beschreibungen von einer Frau die Kartoffel schält. Sie wollen von dem Buch nicht enttäuscht werden. Sie wollen jetzt erstmal ein bisschen Abstand zu Klassikern halten. Sie wollen kein Buch für ihre Kinder kaufen, dass eigentlich gar nicht für Kinder geeignet ist. Sie wollen, dass das Buch bei ihren Kindern nicht zu einer Verwirrung des Geistes führt. Sie wollen, dass das Buch kein Zeitverlust ist. Sie wollen, dass die Jubiläumsausgabe geliefert wird, wenn sie die Jubiläumsausgabe bestellt haben. Sie wollen, dass die Bücher die so hoch gelobt werden nicht so hoch gelobt werden. Sie wollen, dass Der kleine Prinz keinen Selbstmord enthält, weil das zu brutal für Kinder ist. Sie wollen, dass Der kleine Prinz nur aus der Zeile „Man sieht nur mit dem Herzen gut“ besteht. Sie wollen, dass Kinderbücher nicht platt, ohne Inhalt und langweilig sind. Sie wollen, dass Kinderbücher ihre Kinder nicht schockieren. Sie wollen dieses Buch keinem Kind vorlesen. Sie wollen nicht, dass ihre Kinder schockiert sind. Sie wollen nicht, dass im Talmud so viele Rabbiner zitiert werden. Sie wollen, dass der rote Faden erkennbar bleibt. Sie wollen, dass der Koran nicht so eine bekehrende Religion ist. Sie wollen da eigentlich gar nicht mehr dazu sagen. Sie wollen, dass sich der Roman nicht wie Kaugummi zieht. Sie wollen, dass sich die Dialoge nicht wie Kaugummi ziehen. Sie wollen, dass die Handlung nicht in einem Satz zusammengefasst werden kann. Sie wollen, dass das Buch keine Daseins-Berechtigung hat. Sie wollen das Buch eigentlich am liebsten verbrennen. Sie wollen das Buch gegen die Wand werfen. Sie wollen das Buch aus dem Fenster werfen. Sie wollen das Buch am liebsten verbrennen. Sie wollen das Buch am liebsten zerreißen. Sie wollen dass Buch am liebsten in den Müll werfen. Sie wollen, dass die Odyssee nicht in Reimen geschrieben ist. Sie wollen, dass die Odyssee in Romanform erzählt worden wäre. Sie wollen, dass die Ilias nicht zu 90 Prozent aus der Aufzählung von altgriechischen Namen besteht. Sie wollen, dass der Autor nicht 60 Jahre lang an der Fertigstellung eines einzigen Theaterstückes schreibt. Sie wollen, dass nicht jede freie Ecke mit Schnörkeln versehen ist. Sie wollen, dass sie nicht zur Zwangslektüre von Goethe und Schiller verurteilt werden. Sie wollen, dass Goethe nicht mehr in der Schule unterrichtet werden soll. Sie wollen, dass man die Kinder nicht mehr mit Schiller quälen soll. Sie wollen, dass man die Bücher von Goethe verbrennen soll. Sie wollen, dass man die Bücher von Schiller aus dem Fenster werfen soll. Sie wollen, dass sich niemand Romeo und Julia kauft. Sie wollen, dass, wenn sie die Hörbuch-CD auf ihrem PC starten nicht ein Inhaltsverzeichnis in unbekannter Sprache erscheint, woraufhin sie die 1. Szene und den 1. Auftritt starten und, nachdem sie sich mit Hilfe des Reclam Heftes Durchblick verschafft haben, feststellen mussten, dass der berühmte Monolog aus Hamlet eigentlich im 3. Aufzug in der 1. Szene (Sein oder Nichtsein) auf der CD gar nicht enthalten ist, sondern im 2. Aufzug in der 2. Szene (Titel Nr. 7.) und wenn sie das vorher gewusst hätten, hätten sie diese CD nie gekauft. Sie wollen, dass sich die Rezensionen über ein Buch nicht überschlagen, wenn das Buch in Wirklichkeit gar nicht gut ist. Sie wollen, dass das Buch sie berührt. Sie wollen, dass das Buch nicht „Anna Karenina“ heißt, sondern lieber „Kitty und Lewin“ oder „Lewin bei der Heuernte“. Sie wollen, dass sie mit dem Buch was anfangen können. Sie wollen, dass sie nicht als Kulturbanausen bezeichnet werden. Sie wollen dieses Buch ja fertiglesen. Sie wollen von ihrem Lesekreis nicht ausgeschlossen werden. Sie wollen nicht auf Seite 44 das Interesse verlieren. Sie wollen, dass die Schrift nicht so klein ist. Sie wollen, dass die Schrift größer ist. Sie wollen, dass die Seite größer ist. Sie wollen, dass das Papier dicker ist. Sie wollen nicht zehn Euro für ein Taschenbuch zahlen. Sie wollen, dass Das Kapital nicht auf einer völlig falschen Grundprämisse aufbaut. Sie wollen, dass Marx seinen Fehler eingesehen hätte. Sie wollen, dass Ayn Rand nicht so viel über ihre abstruse Sexualität schreibt. Sie wollen ja gar nicht politisch werden. Sie wollen, dass „Mein Kampf“ von Adolf Hitler nicht so verteufelt wird. Sie wollen, dass nicht so ein Hype um dieses Buch gemacht wird. Sie wollen, dass dieses Buch nicht um 70 Euro mit einer Auflage von gerade mal 4000 Stück verkauft wird, seit das Urheberrecht abgelaufen ist. Sie wollen all diese kritischen Kommentare in der Neuausgabe von „Mein Kampf“ nicht. Sie wollen, dass man den Leuten selbst das Denken überlässt. Sie wollen, dass das Buch auf den Index kommt. Sie wollen, dass ihnen das Buch nicht von Kommentaren von linkslinken Akademikern kaputt gemacht wird. Sie wollen, dass sie das Buch nicht extra aus Italien oder England bestellen müssen, um es ohne kritische Kommentare lesen zu können. Sie wollen, dass Historiker nicht immer ihren Senf dazugeben. Sie wollen vom Dalai Lama nicht enttäuscht werden. Sie wollen, dass Kinder die Religion des Dalai Lama nicht als Allheilmittel auffassen. Sie wollen, dass die Sprache des Buches für ein Kind verständlich ist. Sie wollen, dass Harry Potter nicht so primitiv illustriert ist. Sie wollen, dass das Buch die Erwartung erfüllt, die seine Verfilmungen versprechen. Sie wollen, dass das Buch nicht so unsympathisches Glanzpapier hat. Sie wollen, dass erwachsene Menschen nicht Harry Potter lesen, weil das nur noch traurig ist. Sie wollen, dass nicht so ein Gedöns um eine Fantasiefigur gemacht wird. Sie wollen nicht sieben Bücher, sondern nur eines. Sie wolle nicht drei Bücher, sondern nur eines. Sie wollen Der Herr der Ringe in der Übersetzung von Margaret Carroux, nicht von Wolfgang Krege. Sie wollen, dass Sam nicht die ganze Zeit „Frodo Chef“ sagt. Sie wollen, dass der Einband stabil ist. Sie wollen nach den Filmen nun auch die Bücher lesen. Sie wollen, dass der Pappschuber stabil ist und die Kanten nicht so stumpf geschnitten. Sie wollen, dass Amazon Service anbietet und keine bloße Abfertigung von Kunden. Sie wollen, dass, wenn sie schon eine limitierte Sammleredition kaufen, zumindest auch irgendwo im Buch eine Seriennummer finden, wo dokumentiert ist, dass das eine limitierte Sammleredition ist. Sie wollen, dass, wenn sie den Mythos des Sisyphos als Kindleausgabe kaufen und in den folgenden sechs Jahren dreimal das Kindle wechseln, das Buch nicht ein drittes Mal herunterladen müssen, was eine Unverschämtheit ist, zumal der Kindle-Preis dem eines gedruckten Buches entspricht. Sie wollen sich ja gar nicht aufregen. Sie wollen, dass der Autor sich nicht in Schwarzseherei ergeht, in Gejammer von der angeblichen Sinnleere des Seins, der Substanzlosigkeit und der Absurdität des Lebens. Sie wollen dass die Leute Bücher meiden, die eine zerrüttende Wirkung auf sie haben. Sie wollen, dass Elfriede Jelinek in ihnen nicht nur ein Gefühl des Ekels auslöst. Sie wollen nicht dafür geshamed werden, noch nichts von Elfriede Jelinek gelesen zu haben. Sie wollen Die Klavierspielerin ja wirklich lesen. Sie wollen von ihrem Freundeskreis ja nicht als minderbemittelt angesehen werden. Sie wollen der Protagonistin gegenüber Gefühle hegen. Sie wollen das Buch ja lesen. Sie wollen, dass die einzigen Gefühle, die sie bei der Lektüre entwickeln nicht entstellend und verstörend sind. Sie wollen, dass solche Geschichten niemandem einfallen würden. Sie wollen, dass die Figuren sympathisch sind. Sie wollen sich mit den Figuren identifizieren. Sie wollen, dass die Autorin nicht vorbelastet ist. Sie wollen, dass der Autor keine geistige Krankheit hat. Sie wollen, dass das Buch sie nicht provoziert. Sie wollen das Buch jetzt zurückgeben. Sie wollen jetzt mit einem Vorgesetzten sprechen. Sie wollen nicht nach einem Sinn suchen müssen. Sie wollen eine gemeinsame Basis mit Ingeborg Bachmann finden. Sie wollen, dass den Österreichern Recht gegeben wird. Sie wollen, dass Thomas Bernhard postum verurteilt wird. Sie wollen, dass Thomas Bernhard postum gesteinigt wird. Sie wollen etwas von Handke lesen, aber bisher haben sie nur etwas über ihn gelesen. Sie wollen gar nichts von Kafka lesen, sie mussten ihn aber in der Schule lesen. Sie wollten es gar nicht kaufen, aber sie mussten es kaufen. Sie wollen nicht, dass Kafka immer so negativ ist. Sie wollen, dass Der Process ein Ende hat. Sie wollen, dass der Roman eine zufriedenstellende Interpretation hat. Sie wollen, dass sich nicht jedes Kapitel auf zwei bis drei Sätzen zusammenfassen lässt. Sie wollen von Büchern wie Der Process verschont bleiben. Sie wollen nicht, dass das Buch dreckig, alt und stinkend ist. Sie wollen, dass das Cover dem entspricht was in der Beschreibung abgebildet wurde. Sie wollen, dass da nicht mit so vielen Worten so wenig gesagt wird. Sie wollen aufgeben. Sie wollen das Buch in den Kamin werfen. Sie wollen es nicht fertig lesen. Sie wollen Der Verschollene lesen, oder Amerika. Sie wollen, dass der Titel nicht so verwirrend ist. Sie wollen, dass der Roman sie nicht kalt lässt. Sie wollen sich jetzt nicht auch noch die letzten zwanzig Seiten reinwürgen. Sie wollen, dass das Buch endlich bei ihnen ankommt. Sie wollen, dass, wenn sie etwas bestellen, es auch bei ihnen eintrifft. Sie wollen nicht noch länger auf das Buch warten. Sie wollen, dass das Buch eine Haltung hat, eine Botschaft, eine Meinung, eine Klarstellung, eine Intention, eine Aussage, etwas, das ihnen sagen kann, was sie davon halten sollen. Sie wollen einfach nur wissen, worum es geht.
Elias Hirschl ist ein österreichischerAutor, Poetry-Slammer und Musiker. Zu seinen Büchern gehören: „Meine Freunde haben Adolf Hitler getötet und alles, was sie mir mitgebracht haben, ist dieses lausige T-Shirt“, 2016; „Hundert schwarze Nähmaschinen“, 2017; „Glückliche Schweine im freien Fall“, 2018. Seine Internetseite hier.