Geschrieben am 1. Dezember 2019 von für Crimemag, CrimeMag Dezember 2019

Joachim Feldmann über Sarah Schulmans „Trüb“

Ungewöhnlich

Am 5. Juli 2017 erwacht die New Yorker Ex-Polizistin Maggie Terry in ihrem neuen Einzimmerapartment. Sie hat 18 Monate Entzug hinter sich. Drogen und Alkohol haben sie nicht nur ihren Job, sondern auch Frau und Kind gekostet. Therapie zwecklos. Warum sollte es einer lesbischen Krimiheldin anders ergehen als all den kaputten Männern, welche die einschlägigen Romane des Genres bevölkern und ihre Dämonen nicht in den Griff bekommen?

Maggie hat sogar Glück. Ihr ehemaliger akademischer Lehrer Mike Fitzgerald bietet ihr einen Job als Ermittlerin in seiner Anwaltskanzlei an. Und ganz in der Nähe ihrer Wohnung liegt Nick’s Deli, wo sie schon in ihrem früheren Leben Stammgast war. „In absehbarer Zukunft würde Nick jeden Tag die erste Person sein, mit der sie morgens sprach.“

An diesem 5. Juli also, um 9 Uhr, beginnt Maggies erster Arbeitstag und schon wenige Stunden später hat sie einen Auftrag. Die Schauspielerin Lucy Horne behauptet, sie wisse, wer eine junge Kollegin umgebracht habe. Sie selbst will allerdings auf keinen Fall mit der Sache in Verbindung gebracht werden, um ihren Vertrag als für ein Disney-Musical nicht zu gefährden. Also soll sich Maggie gemeinsam mit einem Kollegen der Sache annehmen. 

Die Ermittlungen sind erfolgreich. Am  9. Juli um 17 Uhr, es ist Sonntag, wird der Fall aufgeklärt. Und natürlich verhält sich alles ganz anders als gedacht. In dieser Hinsicht folgt „Trüb“, der neue Kriminalroman der amerikanischen Wissenschaftlerin, Autorin und Aktivistin Sarah Schulman, bekannten Noir-Mustern, die Plot-Idee könnte aus einem Roman von Ross Macdonald stammen. Doch klassische Detektivarbeit steht nicht im Mittelpunkt dieses Buches, dessen Originalausgabe passenderweise den Namen der Hauptfigur trägt. Maggie Terry kann sich, zur Verärgerung ihres Partners, oft nur mit halber Aufmerksamkeit ihrem Auftrag widmen, denn Erinnerungen lenken sie immer wieder ab. Und diese betreffen nicht nur ihre gescheiterte Beziehung. Auch der Wunsch, sich wieder zu betäuben, ist noch da. Wir begleiten Maggie an Stätten der Versuchung und zu den Treffen der Anonymen Drogenabhängigen. Die psychische Situation der Protagonistin wird spürbar, und das verdankt sich Sarah Schulmans unorthodoxer Erzähltechnik, die sehr effektiv zwischen personaler und auktorialer Perspektive wechselt und nicht wenige Sätze wie politische Statements klingen lässt. 

Dieser ungewöhnliche Kriminalroman ist ein Abgesang auf ein New York, das es vielleicht, außer in Maggies Erinnerung, so nie gegeben hat. Hohe Mieten und Gentrifizierung quälen die Einwohner der Metropole  nicht erst, seit „ein Irrer“, wie es im Auftaktsatz heißt,  das Land regiert. Doch wir übernehmen bereitwillig die Sichtweise der Hauptfigur, Irrtümer eingeschlossen. Wenn Nick verschwindet, weil er die Miete für seinen Laden nicht mehr bezahlten kann, erweist sich nicht nur Maggies eben zitierte Vorhersage als falsch, es ist ihr auch ein wichtiger Zeuge abhandengekommen.  Also kauft sie sich Hipster-Food, Grünkohlsaft und Sojalatte. Ja, Sarah Schulman pflegt nicht nur die Melancholie, sondern manchmal auch einen ziemlich sarkastischen Humor, den sie mit ihrer Heldin teilt. Denn diese gibt nicht auf, selbst wenn ihre „alte Welt … vollständig aufgelöst“ ist. Deshalb tut sie am Ende etwas, das sie schon lange hätte tun sollen. „… um die Dinge besser zu machen“, wie sie sagt. Und das ist fast spannender als die Aufklärung des Mordes.

  • Sarah Schulman: Trüb (Maggie Terry, 2018). Deutsch von Else Laudan. Ariadne Verlag, Hamburg 2019. 270 Seiten, 20 Euro.

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