Geschrieben am 15. August 2018 von für Crimemag, CrimeMag August 2018

Joe Ide: Stille Feinde

51NSU2UGRqL._SX310_BO1,204,203,200_Gangsta, Glamour und Granatwerfer

Chinesische Triaden werden von naiven spielsüchtigen Schwachköpfen erpresst, Streetgangs bekämpfen sich und zwischen den Fronten von Long Beach versucht das schwarze Duo Isaiah Quintabe (IQ) und Dodson sich irgendwie über Wasser zu halten. Und Isaiah möchte am idealisierten Bild vom verstorbenen großen integren Bruder Marcus festhalten – obwohl der vielleicht ermordet wurde, keineswegs beim Autounfall ums Leben kam und möglicherweise in krumme Deals verwickelt war. Nichts ist jedenfalls so, wie es scheint bei Joe Ide: Auch die Grenzen zwischen Crime und Groteske werden mit subtilen Plot-Verästelungen und soziologischen Habitus-Impressionen erweitert. Drehbuchschreiber Joe Ide, der Meister des lässigen Unterlaufens konventioneller Erwartungshaltungen, legt mit „Stille Feinde“ nach „IQ“ seinen zweiten rasanten Thriller vor. Von Peter Münder.

Als „Rammbockräuber“ war das schrille LA „Nigga“-Duo (Hood-Slang) Isaijah Quintabe und Dodson noch im 1. Band „IQ“ unterwegs und verscherbelte geklautes Boutique-Hundefutter, deutsches Edelküchen-Zubehör oder Perücken im Internet. Das Türenknacken der Geschäfte mit dem Rammbock, Zusammenraffen der Beute samt rasantem Abgang wurde schließlich zur Routine; sie schafften so einen Bruch schließlich in rund fünf Minuten. Doch IQ ging das ewige Genörgel des minderbemittelten Dodson furchtbar auf den Geist: IQ hatte die Ideen und die Pläne samt Fluchtwegen ausgearbeitet, aber der Rechthaber und Besserwisser Dodson gierte immer nach mehr: Mehr Anerkennung, mehr Respekt (in diesem Milieu empfindsamer Motherfucker ohnehin das Schlüsselwort), mehr Geld und mehr Dreistigkeit – es nahm kein Ende. Bis der wütende, vorbestrafte Sidekick bei einem Bruch seine Kanone mitnimmt und im Streit beinah IQ erschossen hätte. Eigentlich ist es also abwegig, dieses Duo mit Sherlock Holmes und Watson zu vergleichen: Für Holmes waren alle komplizierten Fälle zwar immer ziemlich „elementary“, aber Watson fühlte sich vom cleveren Holmes nie gedemütigt; dramatische Konflikte gab es zwischen Beiden trotz unterschiedlicher Fallbetrachtungen auch nicht. Ist also vielleicht der ominöse, an den Hund von Baskerville erinnernde Killer-Pitbull für die plumpen Holmes-Vergleiche verantwortlich? Der furchterregende Pitbull wird in „IQ“ ja als ultimativer Terminator eingesetzt und irgendwie kommt IQ dann sogar zu dem Entschluß, sich einen kleinen Pitbull zuzulegen, den er als harmloses Kuscheltierchen verwöhnen könnte …

Sei´s drum: Joe Ide legt sich eh keine rigiden Muster vor: Früher war er zwar Conan-Doyle-Fan, aber er strickt sich seine Plots mit diesen elektrisierenden Konstellationen natürlich nicht nach einem Schnittmuster von „The Valley of Fear“ oder „The Adventure of the Sussex Vampire“ zusammen. Schnelle filmartige Schnitte mit wechselnden Locations, neuen Figuren und überraschenden neuen Aspekten sind das Markenzeichen des in Santa Monica lebenden Ex-Lehrers, Managers und  Drehbuch-Spezialisten Joe Ide. Da wird dann auch nicht lange über Beziehungsfrust, Ich-Schwächen-Kompensation und andere kafakeske Puzzlespiele räsoniert, sondern IQ und Dodson raufen sich spontan wieder zusammen und machen erstmal weiter mit ihrem kleinkriminellen Scheiß. Oder sie versuchen sich für eine Belohnung  von 50 000 Dollar als Retter des bedrohten, zugedröhnten millionenschweren Rappers Cal. Das große Ganze hat IQ ja sowieso im Blick – es wird sich schon alles trotz irritierendem Bandenkrieg, undurchsichtigem Mordkomplott und durchgeknalltem Kampfhundzüchter irgendwie alles harmonisch zusammenfügen … Auch wenn sich bei IQ allmählich die Erkenntnis durchsetzt, dass sein barmherziger Samariter-Bruder Marcus vielleicht doch nicht bei einem Autounfall ums Leben kam, sondern kaltblütig ermordet wurde. Schließlich regt sich bei IQ doch das schlechte Gewissen: Er löst für ein geringes Honorar (oder auch Naturalien) in seiner Nachbarschaft Betrugs- und Entführungsfälle und kümmert sich um einen Jungen, der bei der Schießerei von Straßengangs schwer verletzt wurde. So mutiert er also zum Sozialhelfer mit Philip Marlowe-Ambitionen und ist in dieser neuen Rolle tatsächlich happy – auch wenn ihm Dodson immer noch auf den Keks geht.  

51A8m0wg1hL._SX313_BO1,204,203,200_Mit Keltex 14 Repetiergewehr im Bett

Spielsüchtige Zocker, unbezahlte Kreditschulden, Zoff mit Triaden: In „Stille Feinde“ hat IQ als Aufklärer und Helfer der Entrechteten an mehreren Fronten und mit mehreren Schwachköpfen zu kämpfen. Überfordert wirkt er auch in extrem kritischen Situationen nie; dennoch würde er niemals in triumphierender Superman-Pose auftreten. In „IQ“ hatte er ja schon im Prolog gezeigt, was Sache ist: Als der psychopathische Kinderschänder Boyd ein Schulmädchen auf einem Motorboot entführt und den im Audi am Kanal entlang rasenden Verfolger Isaiah verhöhnt, kann der gerade noch rechtzeitig seinen handlichen, im Kofferraum deponierten Granatwerfer aktivieren und auf das Boot ballern. Sein kleines Waffenarsenal muß IQ auch diesmal wieder aktivieren, als das angesichts hoher Spielschulden verzweifelte Zocker-Paar Benny und Janine in Las Vegas den 14-K-Triaden in die Quere kommt und entführt wird. IQ hat von der Ex seines Bruders den Auftrag übernommen, der  abgetauchten Halbschwester zu helfen. Dafür hat IQ nun wieder  Dodson angeheuert, der mal wieder für reichlich Irritationen und Probleme sorgt. Aber auch für Situationskomik, als IQ im Kofferraum des Audi sein Handwerkskoffer- Arsenal inspiziert:

Dodson folgte Isaiah nach hinten an den Kofferraum. Plastikkisten unterschiedlicher Größe standen ordentlich beschriftet nebeneinander. WERKZEUG, BOHRER, LOCHSÄGE, LÖTKOLBEN, SCHWEISSGERÄT, AUFSTEMMWERKZEUG, SCLOSSERWERKZEUG, FESSELN, WAFFEN.

„Verdammt Isaiah, was ist das?“

„Mein Handwerkszeug“, sagte Isaiah. In einer gelben Kiste lag ein Determinator. „Was ist ein Determinator?“ fragte Dodson.

„Ein Granatwerfer“, sagte Isaiah.

„Endlich geht´s mal zur Sache, Alter, da steh ich drauf“.

„Ich hab aber nur Feuerwerksgranaten, damit fackeln wir den ganzen Laden ab“. Er öffnete die Überwachungs-Kiste: Ferngläser, Fernrohre, alle möglichen Minikameras und Wanzen, Fernmikros, Nachtsicht- Geräte, GPS-Sender.

„Wo hast du das alles her?“, fragte Dodson.

„Gibt nichts, was es nicht bei Amazon gibt“, sagte Isaiah. „Wusstest du, dass die sogar Flammenwerfer verkaufen?“

Satirisch überhöht, aber auch mit dem analytischen Scharfsinn eines Soziologen, der sogar Roland Barthes vor Neid erblassen lassen würde, stellt Joe Ide letztlich den Mythos vom American Dream und das Gefasel über „Make America Great Again“ in Frage: Wie kann es sein, dass nicht mehr soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit im Mittelpunkt stehen, sondern ein irres Rat Race, das sich um Glamour, Status-Symbole (echte oder gefälschte Rolex?!!) und „Respekt“ dreht und bei dem gnadenlos zur immer schußbereiten Knarre gegriffen wird? Wo sich Dodsons Freundin etwa mit einem Keltex 14 Repetiergewehr ins Bett legt, weil sie befürchtet, dass ihr nach Fett und Ketchup stinkender Broiler-Van direkt vor ihrem Schlafzimmer geklaut wird? Diese Meta-Ebene hat Joe Ide selbst dann locker  im Visier, wenn er subtile Nuancen des Streetgang-Slang vor uns auffächert oder einen im Wohlstands-Plunder durchgeknallten, zugedröhnten Rapper zeigt. Kein Wunder, dass Carl Hiassen seinen grandiosen Kollegen aufforderte, schneller zu schreiben, weil wir alle schon nach seinem nächsten Band fiebern. Absolutely!!!   

Peter Münder

Joe Ide: Stille Feinde. Thriller. Herausgeber: Thomas Wörtche, Aus dem amerikanischen Englisch von Conny Lösch. Suhrkamp Verlag Berlin 2018. 399 Seiten, 14,95 Euro-

Offenlegung: Der Autor hat diese Rezension völlig freiwillig, ohne Bestechung oder Erpressung geschrieben, und sie CrimeMag zur Verfügung gestellt, obwohl der Herausgeber des Romans gleichzeitig Herausgeber dieses Magazins ist.

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