Geschrieben am 4. April 2009 von für Crimemag, Kolumnen und Themen

KOPFSCHUSS N° 8 von Uta-Maria Heim

Das Phantom

„Meine Güte, versetzte er. Hat es wirklich so lange gedauert, bis Sie das merken?“
Glenn Cooper: Die Namen der Toten

HEUTE IST DER TAG, AN DEM DU STIRBST. Ein Mann steht vor einer Plakatwand, auf dem Bahnsteig eines Großstadtbahnhofs, und isst eine Thüringer Rostbratwurst. Als der Zug kommt, steigt er in Wagen 21. Wenig später erfolgt die Durchsage: „Befindet sich unter den Reisenden ein Arzt, eine Krankenschwester oder ein Rettungssanitäter, so wird er oder sie gebeten, in Wagen 21 zu kommen.“

Wieder einmal ein schlecht nachrecherchiertes Beispiel, wie die Auswirkungen der Verlagssprüche final werden könnten: Hoffen wir, dass der Mann überlebt. Dennoch. Man braucht Die Namen der Toten nicht zu lesen, der Verzehr einer Bratwurst vor einem einschlägigen Werbeplakat reicht in ungünstigen Fällen aus, um sich selbst auf der Liste wiederzufinden. Glenn Coopers Thriller toppt in seinem Fatalismus die Weissagungen weltgerichtgeiler Extremistensekten: Ein New Yorker FBI-Profiler jagt einem Serienkiller hinterher, der auf äußerst kreative Weise eine megavielgestaltige Mordserie durchzieht. Das Phantom ist in dem Fall aber keine Frau aus Bayern, sondern Gott persönlich. Pech, dass eine US-amerikanische Elitetruppe die ausspionierten Pläne des Allmächtigen nutzt, um im Hinblick auf kommende Tsunamis politische Marktforschung zu betreiben. Gegen Gottes Wille ist sogar ein Profiler machtlos, zumal wenn er das Datum des Jüngsten Gerichts nicht kennt. Es ist der 9. Februar 2027! Verdammt zeitnah. Also Schnappatmung. Da ist der Übersetzer glatt am Ende seiner Nerven statt mit den Nerven am Ende.

Man sollte großzügig sein und froh, dass dieses Buch überhaupt einer übersetzt. Außerdem legen solche sprachlichen Ungenauigkeiten, und davon gibt es einige, eine leichte Unschärfe über den Text, ein denglisches Flirren, das einen randlegalen rauschhaften Sog entwickelt. Für 9,95 ist man tagelang restlos seewärts gespült, landunter ergo, und ich bin mir sicher: Es liegt nicht zuletzt an der subversiven Qualität der Übersetzung. Vermutlich macht man das absichtlich. Man streut adverbiale Bestimmungen des Ortes wie „auf etwa einem Drittel des Wegs den Block hinunter auf dem Gehsteig“ oder „auf halber Höhe der Straße“ vorsätzlich ein, um diese seltsame Suggestion zu erzeugen. Das wirkt wie Koks, und Koks liegt schließlich auch nicht einfach so rum. Da fragt man sich natürlich, wer „man“ ist. Vermutlich handelt es sich diesmal nicht um die Packerin einer bayerischen Firma. Aber neben dem Übersetzer und dem Lektor hat offenbar noch einer die Finger im Spiel. Da es immer wieder vorkommt und in sämtlichen Verlagen, muss der verantwortliche Serientäter an übergeordneter Stelle sitzen. Heilbronn? Umfassende Aufklärung wäre wünschenswert. Wir haben diesbezüglich schon das LKA angerufen, das in killer-sudokuhaftem Umfang DNA-Rätsel analysiert, aber die waren gerade in Kairo. Zum Glück wurde das Phantom von Heilbronn vor Aribert Heim gefunden, sonst wäre man beim KZ-Arzt noch über ein Wattestäbchen gestolpert.

Uta-Maria Heim

Glenn Cooper: Die Namen der Toten.
Aus dem amerikanischen Englisch von Hans-Peter Kraft.
Reinbek: Rowohlt 2009. 508 Seiten. 9,95 Euro.