Geschrieben am 27. Juni 2009 von für Crimemag, Kolumnen und Themen

KOPFSCHUSS N°11 von Uta-Maria Heim

Free Hugs

„Betty died of a broken heart. Some people laugh when they hear that phrase, but that´s because they don´t know anything about the world. People die of broken hearts. It happens every day, and it will go o­n happening to the end of time.“ Paul Auster: Man In The Dark

Es könnte einem schon das Herz brechen: Selbst beim Inder in der Amsterdam Avenue gibt’s Rucola auf Tomaten mit Balsamico. Das Ganze auf einem Teigfladen alias Pizza. New York ist zur größten Pizzabäckerei der Welt geworden. Und kein einziger Einwohner ist deswegen kulturell verstört. Nur diese Deutschen, die sich ins falsche Flugzeug gesetzt haben, nerven. Dann hätte man ja gleich an den Gardasee fahren können. Man möchte Manhattan. Was tun? Das richtige Leben beschert die Literatur. Also nichts wie auf den Broadway und zu Barnes & Noble. Den neuen Paul Auster gibt’s auf Englisch auch in Baden-Baden, aber auf dem Megatisch greift sichs irgendwie amerikanischer. Auster, das ist NYC pur.

Man setzt sich mit 100 anderen auf die Wiese im Central Park und wird nicht enttäuscht. Parallelwelten. Kriege. Und ein einsamer alter Raucher, der sich schlaflos im Bett wälzt. Er hustet in die Nacht und erfindet die Geschichte seines eigenen Mörders, eines Zauberkünstlers namens Owen Brick. Die Begeisterung steigt. Es gibt Bücher, die muss man im Original lesen. Mehr oder weniger am Schauplatz. Zwischen magersüchtigen Joggerinnen, Nannies und Wolkenkratzern; wie sich die Lektüre da anschmiegt an den Ort und quasi selber ein Paralleluniversum aufmacht! Ein großartiger Moment, doch was liegt denn da im Gras und glänzt? Der Latexschnuller erinnert an das Gebrüll des ihn entbehrenden Säuglings. People die of broken hearts. Genau. Zum Teufel mit den Übersetzungen!

Mitten im Roman dann die Katastrophe: Peng! Kopfschuss. Hinrichtung des Helden. Owen Brick verlässt sprachlos die Bühne. Die Hälfte der Handlung wird einfach totgeschossen. Weg. Fertig. Aus und vorbei. Die Spannung auf null. Und der Ich-Erzähler ist einverstanden. Egal. Hauptsache: immer noch keine Pizza. Nirgendwo in diesem verzweifelten Roman taucht eine Pizza auf. Also weiter im Text. Wie wunderbar! Der alte Mann unterhält sich mit seiner Enkelin über Filme. Alltagskram! Liebe! Punktgenaue Beobachtungen, detailstark und lustvoll. Total befreit kommt man in der Neuen Welt an und hätte es fast schon geschafft, als 30 Seiten vor Schluss der GAU passiert: Nur eine witzige Anekdote? Nein. Die heavieste Pizza-Story seit Erfindung des Steinofens!

Jetzt hilft nur noch Flucht. Sekundärkosmos Buch wird verlassen. Raus aus dem Park und runter in die Subway. Beim Columbus Square verteilen Huggerinnen farbige Umarmungen. Lustige junge Frauen stehen da mit ihren Schildern und schreien: „Free Hugs!“ Ein probates Mittel gegen gebrochene Herzen. Für heute ist man gerettet. Vorausgesetzt, man liest das Buch nicht doch noch zu Ende.

Uta-Maria Heim

Paul Auster: Man In The Dark.
New York: Picador Mai 2009. 180 Seiten. 14,00 US $.