Copy & Paste
„Mein Schicksal hatte sich ohne mein Zutun vollzogen, es spielte überhaupt keine Rolle, was ich dachte und ob ich anwesend oder abwesend gewesen war. Man hätte mich genauso gut aus dieser Geschichte entfernen und an meiner Stelle irgendjemand anderen setzen können. Markieren. Ausschneiden. Einfügen. Ich bereute nichts, empfand nach den Tagen voller beziehungsloser Ereignisse nur eine verkaterte Leere…“
Johannes Gelich Der afrikanische Freund
Der namenlose Ich-Erzähler erschießt in kalter Leidenschaftslosigkeit ohne Ekel, ohne Skrupel oder Furcht einen schwer verletzten afrikanischen Asylbewerber, der als Jesusfigur in eine gottlose Abendmahlgesellschaft gerät. Er tut das, um einen ehemaligen Schulkameraden zu decken, der ihm nichts bedeutet. Johannes Gelichs Roman Der afrikanische Freund geht hart an die Grenzen des Erträglichen, wenn er die Haltung eines heutigen Enddreißigers beschreibt, der mit seiner pathologischen Schuldunfähigkeit ebenso mühelos zurechtkommt wie mit seinem schlafwandlerischen Verzicht zu trauern. Beizeiten ist er von den nihilistischen Lyrics der Altväter von The Cure auf jene Beliebigkeit eingetaktet worden, die den Einzelnen gleichbedeutend macht mit einem Textverarbeitungsprogramm:
I can turn
And walk away
Or I can fire the gun
Staring at the sky
Staring at the sun
Which ever I choose
It amounts to the same.
Copy & Paste hat unser Leben verändert, weil es mehr ist als ein technologischer Softwarevorgang. Es ist die aktuelle Philosophie, dass alles herausnehmbar und ersetzbar, also anwendbar ist. Es spiegelt die virtuelle Borderline-Realität aus den Dating-Cafés, die Vorstellung, dass Persönlichkeiten ebenso vertauschbar sind wie Namen, Erlebnisse und Fakten. Die Sprache hat eine Fülle neuer Wörter kreiert, die diesen Prozess unterfüttern. So reden wir beispielsweise von einer nachhaltigen Anmutung, wenn wir das meinen, was vor zehn Jahren eine wirkungsvolle Präsentation war. Bei der Präsentation muss etwas gezeigt werden, das Wirkung erzeugen kann – es handelt sich um einen operationalisierten Vorgang. Die nachhaltige Anmutung hingegen ist eine Luftnummer, weil weder die Nachhaltigkeit begrifflich näher definierbar ist, noch die Anmutung. An der Nachhaltigkeit im Sinne der ökologischen, ökonomischen oder sozialen Lebensverträglichkeit wird vorbeigeredet. Die Anmutung eines Objekts oder einer Situation verharrt im Nebel. Es kann also alles sein, was die Lohas (Lifestyle of Health and Sustainability) gutheißen. Wenn wir von einer nachhaltigen Anmutung sprechen, hat uns etwas so positiv beeindruckt, dass wir daran festhalten wollen. Es ist das Gegenteil von Paste & Copy, dem „Markieren. Ausschneiden. Einfügen.“, von dem Gelich spricht. Beide Prinzipien, Begehrlichkeit und Beliebigkeit, sind absolut wertfrei. Sie kreieren eine Scheinwelt von beziehungslosen Borderlinern, die mit einem Tunnelblick durchs austauschbare Leben laufen. Welchen Weg eröffnet uns am Ende Der afrikanische Freund, wenn wir der allumfassenden Gleichgültigkeit entkommen wollen? Jeden. Wir müssen nur schnell genug weglaufen.
Uta-Maria Heim
Johannes Gelich: Der afrikanische Freund. Roman.
Göttingen: Wallstein 2008. 176 Seiten. 16,00 Euro.