Schmitt rockt, Strunk rockt zurück
„… die Wirklichkeit ist ein krasser Bringer. Klar, manchmal ist sie ein bißchen schwach auf der Brust, manchmal ist die Klischeeanhäufung zu groß, dann muß man eben was tun, muß frisieren, damit das Reale richtig rockt.“
Oliver Maria Schmitt: Der beste Roman aller Zeiten
Okay, Schmitt rockt. Er hat der jüngsten Modevokabel mit seiner Megabestsellersatire zum definitiven Durchbruch verholfen; da rockt einfach alles, vom Plot-Point bis zum Handy. Aber Heinz Strunk rockt zurück, und zwar allumfassend. Die angesagtesten neudeutschen Bahnhofsbuchhandlungen werben fußballtorgroß für Strunks Sieg über Charlotte Roche: Hat er die Feuchtgebiete mit dem Fleckenteufel trockengelegt? Nein, aber Strunk schoss schneller, weiter, besser. Nicht als Roche, als Schmitt! Er hat dem Punkromanversteher verbal eins draufgesetzt. Dabei war es bloß seine Firma, die Strunk zurückrocken ließ. Ein Verlagsspruch toppt eine Zeitgeistparabel. Eins zu null für Rowohlt gegen Rowohlt Berlin.
Schmitt durfte immerhin zum „Titelrennen“ in der FAZ antreten (4. Februar 2009). Sein betont geschmackloses Werk hinkt der Superlativierung aller Romanantworten nur um Haaresbreite hinterher. Das kann man ihm nicht verübeln, da selbst die dünnste Story eine gewisse Zeit braucht. Die Wirklichkeit, dieser „krasse Bringer“, wird die Nase immer vorn haben. Schmitt hat gewusst, dass er bei Auslieferung bereits überholt ist. Und aus rückwärtsgewandter Verzweiflung begeht er den globalen Tabubruch von Grass („… kein Wunder, daß die SS den Krieg verloren habe.“) bis Schleyer: Im „Volksgefängnis“ in Erftstadt-Liblar, „an einem Ort der Vernichtung“, ist der fiktive Mega-Weltseller entstanden.
Kein Fettnäpfchen ist zu untief, um diesem ansatzweise abgründigen Krimi zum wohlverdienten Scheitern zu verhelfen. Denn Schmitts perfides Postpubertätswerk mündet genau dort, wo alles Pulver verschossen ist, in eine genial dämliche Entführung nach Albanien – dort soll, angetrieben von einer Mafiamaschine, deutsche Weltliteratur gemolken werden. Ein tödliches Unterfangen: Der Ich-Erzähler wird am Ende frontal exekutiert, dem Vernehmen nach durch Kopfschuss.
Der frühsenile Zynismus nicht mehr ganz junger Männer bringt zumindest eines hervor: Eine lexikalische Vielfalt an topgebrandeten No-No-Wörtern. Wir sollten uns diese Bücher unbedingt alle kaufen und sie mitsamt den dazugehörigen Verlagsprospekten ins Regal pferchen, damit unsere Enkel in 50 Jahren auch nach der Abschaltung des Internets noch wissen, wie man sich in 2009 bankrottkommuniziert hat. Nur endgelagerter Papierschrott kann die Nachgeborenen vor dem Vergessen bewahren, weil die Luftkreditnummer des galoppierenden Sprachwandels jeden semantischen Wert inflationiert. Komisch bloß, dass die Bad Bank der Tunwörter so ungute Assoziationen hervorruft. Das Reale rockt richtig, und seit 5.45 Uhr wird zurückgeschossen.
Uta-Maria Heim
Oliver Maria Schmitt: Der beste Roman aller Zeiten.
Berlin: Rowohlt Berlin 2009. 252 Seite. 16,90 Euro.