Geschrieben am 3. November 2019 von für Crimemag, CrimeMag November 2019

Kurzgeschichte von Robert Rescue (15)

Ein Abendessen bei Hannes

Neulich lud mich mein Freund Hannes zum Blumenkohlauflauf ein. Einen Auflauf zuzubereiten, darin ist er ein Meister und ich bin stets erfreut, wenn er mich einlädt.

Doch nicht nur das Kochen beherrscht er meisterhaft. Die andere Sache, in der er geschickt ist und mit der er seinen Lebensunterhalt verdient, hat mit Kochen gar nichts zu tun. Hannes ist Auftragsmörder und er gilt als einer der besten weltweit. Weil er damit so viele Erfahrungen gesammelt hat, fing er irgendwann an, darüber Bücher zu schreiben. Dies natürlich unter einem Pseudonym und die meisten seiner Werke sind auch nur unter dem Ladentisch erhältlich, aber der Ratgeber Die 100 besten Tipps zum Untertauchen hat es zum Bestseller geschafft. Allerdings wird das Buch in erster Linie von Tauchern erworben.

Engagiert wird Hannes meist von Leuten, die in Ungnade gefallene Geschäftspartner oder missliebige Exfreunde um die Ecke bringen wollen. Gott sei Dank haben Hannes und ich diesbezüglich bislang keine Probleme miteinander.

„Wusstest du eigentlich?“, erzählte Hannes, während wir den leckeren Blumenkohlauflauf aßen, „dass man einen Menschen in einer Pfütze ertränken kann?“

„Nein, wusste ich nicht“, gab ich zurück. „Steht das in dem Ratgeber?“

„Noch nicht“, antwortete Hannes. „Ich arbeite gerade an der Fortsetzung Noch mehr 100 beste Tipps zum Untertauchen. Da werde ich das unterbringen.“

„Ach so“, meinte ich. „Geht das denn?“

„Was?“

„Na, in einer Pfütze jemanden ertränken?“

„Ja“, meinte Hannes, legte die Gabel auf den Teller und wischte sich mit der Serviette die Hände ab. „Aber es dauert natürlich eine Weile. Ich hatte vor kurzem so einen Klienten. Der hätte das wahrscheinlich auch nicht gedacht.“

„Hast du mal überlegt, den Titel zu ändern, Hannes? Dann gibt es bestimmt nicht mehr so viele Reklamationen von Käufern, die sich von dem Buch was anderes erwartet haben.“

„Mag sein, Robert. Aber wenn es Die 100 besten Tipps zum Ertränken heißen würde, dann wird das Buch indiziert und damit schmälern sich die Vertriebskanäle. Es ist halt mein bestes Pferd im Stall. Habe ich dir eigentlich erzählt, dass ich manchmal Briefe bekomme von Lesern, die schreiben, sie hätten sich eigentlich was anderes von meinem Buch erwartet, seien dann aber durch die Lektüre auf neue Ideen gebracht worden?“

„Und antwortest du denen?“

„Ja, ich lasse über den Verlag ein „Danke schön“ ausrichten und dass ich keinerlei Verantwortung für ihre „neuen“ Ideen übernehme.“

„Gut so“, stimmte ich zu und war überzeugt, wieder mal etwas dafür getan zu haben, dass sich unser freundschaftliches Verhältnis bloß nicht veränderte.

Ich schmatzte ob des wunderbaren Essens und betrachtete dabei wie so oft die Wände des Wohnzimmers. Hannes hat die Angewohnheit, dort seine Werkzeuge aufzuhängen, etwa Messer, Pistolen, Gurte oder dieses merkwürdige Gehänge, das er als „Genickbrechvorrichtung“ sogar zum Patent angemeldet hatte. Dieses wurde ihm aber bislang verweigert, weil es angeblich keinen der „Allgemeinheit dienlichen“ Nutzen dafür gab. Eine Bau- und Bedienungsanleitung aber hatte Hannes ins Internet gestellt und wie er berichtete, wurde sie erstaunlich häufig heruntergeladen.

Wie so oft bei der Betrachtung seines Arsenals fiel mir auch jetzt jenes Objekt auf, dass keinen praktischen Nutzen besaß, dass in jeder Hinsicht zwischen all seinen Werkzeugen fehl am Platz war – die Fotografie einer Tannenschonung, aufgenommen von einer nahegelegenen Lichtung. Es mochte eine interessante Schwarz-Weiß-Aufnahme sein, aber jedes Mal fragte ich mich, was dieses Bild dort zu suchen hatte. War es eine Erinnerung an ein besonderes Erlebnis, etwa der erste pubertäre Körperkontakt, war es der beliebteste Spielplatz seiner Kindheit oder, sachlich betrachtet, eine Aufnahme seines Privatgrundstücks? Konnte alles sein. Konnte auch sein, dass ich ihn irgendwann schon mal danach gefragt hatte, es dann aber vergessen hatte.

„Sag mal, Hannes, dieses gerahmte Foto dort. Was soll das eigentlich bedeuten?“

Hannes schaute zu der Fotografie und wurde mit einem Mal nachdenklich. Er ließ sich mit der Antwort ein paar Sekunden Zeit.

„Da habe ich meine Frau vergraben“, sagte er dann und fuhr gleich fort. „Das war Weihnachten 2004. Ich hatte ihr vorgeschlagen, in den Wald zu fahren. Weil sie die Axt, die hängt übrigens neben dem Foto, misstrauisch machte, meinte ich, einen Baum zu schlagen, sei doch viel authentischer als einen in diesen mit Drahtzäunen abgetrennten Arealen zu kaufen, mit Geld zahlen und so.“

„Und?“

„Ich bin dann doch noch zum Markt gefahren.“

„Ich verstehe“, antwortete ich und widmete mich wieder dem Essen.

„Es war wohl besser so“, sagte Hannes in die Stille hinein.

Ich ließ mir einen Augenblick lang Zeit. „Und warum?“

„Sie wollte die Scheidung, ich auch irgendwie, aber nicht auf meine Kosten.“

„Ich verstehe“, wiederholte ich. „Und warum das Foto da an der Wand?“

„Der Sentimentalität wegen, Robert. Wir sind acht glückliche Jahre zusammen gewesen.“

Ich beschloss, das Thema zu wechseln. „Kann ich noch einen Teller haben?“

„Klar. Ich hole uns noch eine Portion. Eine Frage hätte ich aber noch, Robert. Ich stelle sie dir eigentlich jedes Mal, aber ich muss mich immer wieder aufs Neue vergewissern. Du schreibst nicht etwa Texte über das, worüber wir uns unterhalten, oder? Ich möchte nämlich nicht, dass jemand erfährt, was damals mit Regina passiert ist oder wie es bei mir in der Wohnung aussieht.“

„Nein, um Gottes Willen“, entgegnete ich gleich. „Ich habe genug Ideen im Kopf. Das, was du mir erzählst, bleibt vertraulich, ehrlich.“

„Dann bin ich beruhigt. Ansonsten gäbe es kein Essen mehr und mit dir wäre Schluss, du verstehst?“

Ich schaute Hannes hinterher, wie er in die Küche ging. Er hatte so eine unnachahmliche Weise an sich, anderen ihre Grenzen aufzuzeigen. Gott sei Dank hat er immer Termine, wenn ich einen Auftritt habe und beschäftigt sich auch sonst nicht mit meinen Texten. Bislang zumindest.

Im November 2019 gibt es ein neues Buch von Robert Rescue. Es wird „Das Leben hält mich wach“ heißen und in der Edition MundWerk bei Periplaneta erscheinen. Hier ist schon Mal das Covermotiv. Der getragene Schlafanzug und die Schlafmaske werden zur Premiere versteigert.
Robert Rescue bei CrimeMagZu seiner Webseite mit Terminen, Veröffentlichungen etc. geht es hier, einen einschlägigen Beitrag von ihm finden Sie in der Anthologie „Berlin Noir“ und beim Talk Noir im Neuköllner Froschkönig ist er regelmässig unser Stargast.

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