Geschrieben am 15. Januar 2017 von für Crimemag, Interview

Marcus Müntefering: Bloody Questions – The Crime Questionnaire (22)

tana2aHeute: Tana French

von Marcus Müntefering

Tana Frenchs neuer Roman „Gefrorener Schrei“ ist trotz des unendlich scheußlichen deutschen Titels auf Platz 4 der ehemaligen KrimiZeit-Bestenliste eingestiegen, die ja jetzt bei „FAZ am Sonntag“ und Deutschlandfunk zu Hause ist. Und, um mal persönlich zu werden: Sowohl als Leser als auch als Jurymitglied ist die „FAS“ für mich viel mehr ein Zuhause als die „Zeit“.

Aber zurück zu Ms French: „The Trespasser“ ist ihr sechster Kriminalroman in zehn Jahren, alle haben mit der Dublin Murder Squad zu tun, alle verkaufen sich formidabel. Und das mit Recht, denn jeder Roman unterscheidet sich von den Vorgängern, was auch damit zu tun hat, dass Ms French mit jedem Buch den Ich-Erzähler wechselt. Nachdem „Geheimer Ort“ (hier im „Spiegel“)) an einem Dubliner Internat spielte und tiefe Einblicke in verwundete Schülerseelen bot (Teenager sollten uns Angst machen!), hat French sich dieses Mal an einem fast schon klassischen police procedural versucht.

510tlfep49l-_sx324_bo1204203200_Die toughe Antoinette Conway, die wir schon aus „Geheimer Ort“ kennen, ist dieses Mal die Erzählerin – und sie reiht sich ein in die Phalanx unzuverlässiger Erzählerinnen, die zurzeit so angesagt sind. Aber sie ist kein „Gone Girl on the Train“, sondern ein tough cookie, ziemlich karrierefixiert und sozial untauglich. Sie wittert überall Feinde, vor allem auf dem Revier, wo ihre männlichen Kollegen sie mobben. Da könnte es ihr zupass kommen, dass die Spur im neuen Fall direkt ins Morddezernat zu führen schein. Oder ist das nur Wunschdenken?

Wer mehr über „Trespasser“ wissen möchte, liest Susanne Saygins Rezension in der Novemberausgabe vom Crimemag, ein Interview mit Tana French habe ich für Spiegel Online geführt, hier verrät sie unter anderem, warum ihre Verhörszenen (absolute Höhepunkte im „Trespasser“!) so realistisch geraten sind.

1 Haben Sie je darüber nachgedacht ein Verbrechen zu begehen oder gar schon mal eines begangen?

Ich war eine Zeitlang kurz davor, ein Verbrechen zu begehen: In der Nähe meiner ersten Studenten-WG hing ein Straßenschild, auf dem stand: “Changed Priorities Ahead”. Jedes Mal, wenn ich nach ein paar Dinks auf dem Nachhauseweg war, habe ich überlegt, das Ding zu klauen und in unserer Wohnung aufzuhängen. Aber es hing einfach zu hoch.

2 Wer ist der schlimmste Schurke (oder der beste Bösewicht) der Literaturgeschichte?

Mir gefällt (wenn gefällt das richtige Wort ist) Betty Kane in Josephine Teys “Die verfolgte Unschuld”. Sie ist ein Teenager, hübsch, sympathisch, unauffällig. Sie bringt niemanden um, fügt auch niemandem physische Schmerzen zu – und trotzdem beschädigt sie so ziemlich jeden, mit dem sie in Kontakt kommt. Und sie entwickelt eine enorme Macht über ihre Opfer, die sich kaum wehren können. Ich liebe es, dass Tey kein Blut und keine Eingeweide braucht, damit wir uns vor Betty fürchten. Sie demonstriert eindrucksvoll, dass die meisten Bösewichte nicht wie Hannibal Lecter sind, keine finsteren Genies, die auf anderer Menschen Gesichter fressen. Sie sind scheinbar normale Menschen, die scheinbar normale Leben führen, und trotzdem hinterlassen sie eine Spur des Grauens.

3 Erinnern Sie sich an Ihren ersten literarischen Mord?

– keine Antwort

4 Die Beatles-oder-Stones-Frage: Chandler oder Hammett?

– keine Antwort

5 Haben Sie schon mal einen Toten gesehen? Wenn ja, wie hat dies Ihr Leben verändert?

Nur Menschen, die eines natürlichen Todes gestorben sind, was keine Narben bei mir hinterlassen hat. Es war tieftraurig, aber nicht traumatisch. Ich bin ziemlich sicher, dass es ganz anders wäre, ein Mordopfer zu sehen. Der Tod gehört zur Textur des Lebens, Mord ist ein Riss in dieser Textur.

6 Wurden Sie jemals Zeuge eines Verbrechens?

Ich war oft dabei, wenn Menschen interessante Substanzen konsumiert haben, sonst ist nichts weiter Dramatisches passiert. Die schlimmsten Erlebnisse, die ich hatte, hatten mit Menschen zu tun, die andere auf Arten misshandelten, die völlig legal sind.

7 Gibt es irgendjemanden auf der Welt, dem Sie den Tod wünschen?

– keine Antwort

8 Welche Jobs hatten Sie, bevor Sie vom Schreiben leben konnten?

Ich war Schauspielerin, meistens Theater. Es war eine gute Vorbereitung aufs Schreiben, weil es Gemeinsamkeiten gibt: Dein Job als Schauspieler und Autor ist es, eine dreidimensionale Figur zu erschaffen und das Publikum so tief eintauchen zu lassen, dass es während der gemeinsamen Reise das Gefühl bekommt, dass es die Figur gut kennt.

9 Wären Sie nicht Schriftsteller – was würden Sie stattdessen tun (wollen)?

Ich würde wieder als Schauspielerin arbeiten, ich vermisse vieles daran: die Kameradschaft und die Sicherheit, dass, wenn es mal nicht so gut läuft, jemand da ist, der dir aus dem Tief hilft. Beim Schreiben habe ich nur mich. Oder ich würde Archäologin. Ich liebe Archäologie und habe auch schon an Ausgrabungen teilgenommen – auf einer davon hatte ich die Idee für meinen ersten Roman.

10 Hören Sie beim Schreiben Musik? Und falls ja: welche?

Nein, beim Schreiben mag ich Stille.

11 Schreiben Sie lieber tagsüber oder nachts? Zu Hause am Schreibtisch oder wo immer Sie gerade sind?

Ich würde am liebsten an meinem Schreibtisch arbeiten, in der Nacht, bis in den Morgen hinein. Aktuell ein Ding der Unmöglichkeit – ich habe zwei kleine Kinder, die früh auf sind, sodass ich nicht bis mittags schlafen könnte. Also schreibe ich, wann immer ich es mit ihren Plänen vereinbaren kann.

12 Was machen Sie, wenn Sie mal nichts Vernünftiges zu Papier bringen?

Ich mache einen langen Spaziergang, ich kann am besten denken, wenn ich mich bewege.

13 Was passiert nach dem Tod? Und was sollte nach dem Tod passieren?

– keine Antwort

14 Verbrechen und Bestrafung: Was halten Sie vom Prinzip Auge-um-Auge/von der Todesstrafe?

Es gibt definitiv Menschen, die es nicht verdient haben zu leben und ohne die die Welt besser dran wäre – aber ich will nicht in einer Gesellschaft leben, die es akzeptiert, dass der Staat vorsätzlich tötet. Diese Geisteshaltung macht eine Gesellschaft gefährlicher, weil sie das menschliche Leben entwertet.

15 Ihr Kommentar zu dem Bert-Brecht-Zitat „Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank“…

Es dürfte für jeden, der die letzten zwanzig Jahre irischer Geschichte mitbekommen hat und kurz nachdenkt, schwierig sein zu begründen, warum Bankräuber mehr Schaden anrichten sollten als Banker. Wenn eine Institution, die vom Staat betrieben oder gefördert wird, Mist baut, schädigt das die Textur eines Landes wesentlich stärker – sowohl ganz praktisch als auch in psychologischer Sicht – als wenn ein Einzelner Mist baut.

16 Was soll auf Ihrem Grabstein stehen?

Nett wäre “1973-2073”.

Mehr Interviews finden Sie auf Marcus Münteferings Blog Krimi-Welt.

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