Heute: Steve Hamilton
von Marcus Müntefering.
Steve Hamilton, Jahrgang 1961, gehört zu den US-Autoren, denen es nie an guten Kritiken oder an Preisen mangelte (für „Der Mann aus dem Safe“ aus dem Jahr 2009 bekam er gleich acht Auszeichnungen, vom Edgar bis zum „Best Translated Mystery of the Year in Japan“) – dafür aber an Lesern. Erst gut zehn Jahre nach seinem Debüt „Ein kalter Tag im Paradies“ konnte er seinen Day-Job aufgeben, um Vollzeit zu schreiben. „Paradies“ war Auftakt einer zehnteiligen Serie um den Ex-Cop und Privatdetektiv Alex McKnight. Während die ersten sechs Romane auf Deutsch bei Dumont veröffentlicht wurden, blieben die letzten vier bislang unübersetzt. Höchste Zeit also, diese feine Reihe wieder – beziehungsweise neu zu entdecken.
Vielleicht hilft ja ein Erfolg seines neuen Romans „Das zweite Leben des Nick Mason“ (Droemer, 336 S, 14,99 Euro, übersetzt von Karin Diemerling), Auftakt zu einer neuen Reihe – und extrem auf Bestseller getrimmt. Das beginnt bei der Story: Hamilton erzählt die Geschichte eines „ehrlichen“ Kriminellen, der glaubt, zu Unrecht im Gefängnis zu sitzen, und einen Deal mit einem echten Bösewicht macht, um wieder rauszukommen. Natürlich wird er sie nicht wieder los, die Geister, die ihn riefen, und tauscht er sichtbare Gitter gegen unsichtbare ein: Er lebt in einem schicken Haus im besten Viertel von Chicago, dazu ein flotter Wagen (oder drei) und ein stressloser Tarnjob im Edelrestaurant – der übliche, leicht vulgäre amerikanische Traum. Der Haken ist das Handy, auf dem er 24/7 erreichbar für seinen Auftraggeber sein muss, um ziemlich üble Jobs zu erledigen. Bei Anruf Mord sozusagen.
Im Buch klingt das so:
„Nick Mason blieb kaum eine Minute in Freiheit. Damals merkte er nichts davon, aber später dachte er oft an diesen Tag zurück und an seine ersten freien Schritte durch das Tor nach fünf Jahren und achtundzwanzig Tagen im Knast. Niemand bewachte ihn, niemand beobachtete ihn, niemand sagte ihm, was er zu tun hatte und wann. Er hätte in diesem Moment überallhin gehen können. Irgendeine Richtung einschlagen und los. Doch der schwarze Escalade wartete schon auf ihn, und sobald er die dreißig Schritte darauf zugemacht und die Beifahrertür geöffnet hatte, war es mit seiner Freiheit auch schon wieder vorbei.“
Ein starker Auftakt zu einem jederzeit sehr unterhaltsamen Roman, der leider, und das mag dem unbedingten Willen zum Erfolg geschuldet sein, manch schönen Gedanken zum Thema freie Wille vs. Abhängigkeit verwirft und einer weiteren Actionszene opfert. Wer mehr darüber wissen will, wie Hamilton tickt, dem sei dieser aufschlussreiche Artikel aus der „New York Times“ empfohlen: Kritikerin Janet Maslin kommt zu dem leicht verpeilten Schluss, dass Hamilton zwar mit Klischees flirte, das aber völlig okay sei – schließlich gäbe es diese nicht, wenn sie nicht funktionieren würden. Damit sie aber funktionieren, braucht es einen Autor, der sie versteht – und dann verdreht. Und das beherrscht Hamilton auch über weite Strecken seines neuen Romans ziemlich gut. Ach ja, das mit dem Erfolg scheint übrigens zu klappen: Gleich in der ersten Woche nach US-Veröffentlichung stieg „The Second Life of Nick Mason“ in die „NYT“-Bestsellerliste ein. Hat er sich verdient …
1 Haben Sie je darüber nachgedacht ein Verbrechen zu begehen oder gar schon mal eines begangen?
Als ich „Der Mann aus dem Safe“ schrieb, lernte ich, wie man Schlösser knackt. Ich bin in das Büro einer Kollegin eingebrochen und habe ihr eine Notiz hinterlassen, um sie zu beeindrucken. Das ist ein Verbrechen, aber lange genug her, dass ich darüber sprechen kann. Ich habe diese Kollegin übrigens geheiratet, und wir sind seit 25 Jahren zusammen. Ein Verbrechen, das sich gelohnt hat.
2 Wer ist der schlimmste Schurke (oder der beste Bösewicht) der Literaturgeschichte?
Mit Hannibal Lecter hat Thomas Harris eine faszinierende Figur geschaffen. Es ist kaum vorstellbar, dass jemals ein besserer Serienkiller erfunden wird. Der erste Bösewicht, der bei mir einen großen Eindruck hinterlassen hat, war aber Professor Moriarty aus den Sherlock-Holmes-Geschichten. Er taucht eigentlich nur einmal wirklich auf (in „Das letzte Problem“). Ich habe daraus gelernt, wie man einer Figur dadurch eine mythische Aura verschafft, dass man sie in den Schatten agieren lässt.
3 Erinnern Sie sich an Ihren ersten literarischen Mord?
In meinem ersten Roman „Ein kalter Tag im Paradies“ wird einem Buchmacher in einem Motelzimmer in die Brust geschossen und ihm wird die Kehle aufgeschlitzt. Ziemlich viel Blut also, und Alex McKnight steht mitten drin. Doch der Mann, der die Leiche entdeckt und ihn gerufen hat, fragt ihn tatsächlich, ob der Buchmacher tot sei. Eine düstere Szene mit ein bisschen Humor… so war das mit meinem ersten Toten.
4 Die Beatles-oder-Stones-Frage: Chandler oder Hammett?
Chandler, einfach wegen seines Umgangs mit Sprache. Er schrieb Sätze wie kaum ein anderer in der Geschichte des Kriminalromans.
5 Haben Sie schon mal einen Toten gesehen? Wenn ja, wie hat dies Ihr Leben verändert?
Bei Beerdigungen mehrmals, ansonsten nur ein Mal, in einem Auto, das in einen schweren Unfall verwickelt war. Es war nur ein Arm, eine Hand… von jemandem, der am Steuer gesessen hatte, wenige Minuten zuvor, und vielleicht dabei telefonierte. Auch heute noch sehe ich diese Szene vor mir, und sie erinnert mich daran, wie schnell das Leben zu Ende sein kann.
6 Wurden Sie jemals Zeuge eines Verbrechens?
Im meiner College-Zeit arbeitete ich in einem Restaurant und beobachtete, wie die Kassiererin etwas in ihre Socke stopfte. Aber es war ein harter Job und ich war nicht fokussiert, und so dauerte es bis zum nächsten Tag, bis ich wirklich verstand, was ich da gesehen hatte – als man den Angestellten mitteilte, dass eine große Summe Geldes aus der Kasse fehlen würde. Es war zu spät für mich, noch etwas zu sagen, aber Jahre später schrieb ich eine Kurzgeschichte über den Vorfall. Ein Mann, auf Bewährung draußen, gerät in dieselbe Situation und in Gefahr, zurück ins Gefängnis zu müssen. Schließlich tötet er die Frau, die das Geld gestohlen hat. So können Schriftsteller mit Sachen klar werden.
7 Gibt es irgendjemanden auf der Welt, dem Sie den Tod wünschen?
Auch wenn meine Antwort auf die vorherige Frage anderes vermuten ließe: Nein, ich wünsche wirklich niemandem den Tod.
8 Welche Jobs hatten Sie, bevor Sie vom Schreiben leben konnten?
Ich habe viele Jahre für IBM gearbeitet. Ich hatte bereits ein Dutzend Romane veröffentlicht, bevor ich Vollzeit-Schriftsteller wurde. Bis dahin lebte ich ein Doppelleben, habe am Tag gearbeitet und in der Nacht geschrieben. Und wenn meine Kollegen Urlaub hatten, war ich auf Lesetour.
9 Wären Sie nicht Schriftsteller – was würden Sie stattdessen tun (wollen)?
Ich würde für das Baseball-Team Detroit Tigers spielen.
10 Hören Sie beim Schreiben Musik? Und falls ja: welche?
Wenn ich voll drin bin in der Rohfassung, lasse ich manchmal etwas Unaufdringliches laufen, einen Soundtrack zum Beispiel. Während der Überarbeitung höre ich viel akustischen Jazz aus den Sechzigern – dieser Sound passt zu Kriminalromanen wie ein Whiskey zum Steak.
11 Schreiben Sie lieber tagsüber oder nachts? Zu Hause am Schreibtisch oder wo immer Sie gerade sind?
Normalerweise bin ich an meinen Schreibtisch gefesselt. Tag und Nacht, anders geht es nicht. Wenn ich unterwegs bin, mache ich mir manchmal Notizen, aber erst, wenn ich wieder zu Hause bin, fange ich wirklich an zu arbeiten.
12 Was machen Sie, wenn Sie mal nichts Vernünftiges zu Papier bringen?
Das passiert schon mal, allerdings: Der Terror, den eine vertraglich festgelegte Deadline ausübt, ist nicht zu unterschätzen. Wenn ich trotzdem mal hänge, dann lese ich. Stephen King hat mal gesagt: „Wenn du keine Zeit zum Lesen hast, hast du keine Zeit – und keine Werkzeuge – zum Schreiben“. Damit hat er vollkommen Recht.
13 Was passiert nach dem Tod? Und was sollte nach dem Tod passieren?
Was den ersten Teil der Frage angeht: Ich weiß es nicht und habe es auch nicht eilig, es herauszufinden. Zum zweiten Teil: Wir sollten alle wiedertreffen, die wir geliebt haben – Menschen, Hunde, wen auch immer. Und natürlich sollte es jede Menge Bücher geben und alle Zeit der Welt, sie zu lesen.
14 Verbrechen und Bestrafung: Was halten Sie vom Prinzip Auge-um-Auge/von der Todesstrafe?
Wenn wir ein Leben nehmen, würdigt das unsere Menschlichkeit herab – unter welchen Umständen auch immer. Andererseits verstehe ich, was Menschen dazu bringen könnte. Ich würde jemanden, der einen Menschen tötet, den ich liebe, vielleicht auch umbringen wollen.
15 Ihr Kommentar zu dem Bert-Brecht-Zitat „Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank“…
Klingt nach einer großartigen Entschuldigung für jeden Bankräuber: dass die Bank die Menschen in größerem Stil und systematischer beraubt, als es ihm jemals möglich wäre. Wäre ich der Cop, der den Bankräuber verhaftet hat, hätte ich vielleicht eine spannende Unterhaltung mit ihm im Einsatzwagen. Im Gefängnis abliefern würde ich ihn trotzdem.
16 Was soll auf Ihrem Grabstein stehen?
Er liebte seine Familie und kümmerte sich um andere. Und sollte noch Platz sein, könnte erwähnt werden, dass ich gute Bücher geschrieben habe.
Mehr Interviews finden Sie auf Marcus Münteferings Blog Krimi-Welt.