Geschrieben am 1. April 2020 von für Crimemag, CrimeMag April 2020

Matthias Wittekindt (Autor): War alles umsonst? #Covid-19

Ich wurde in letzter Zeit immer mal wieder gefragt, ob es nicht sehr frustrierend ist, dass mein neues Buch nun ausgerechnet während einer beginnenden Epidemie herauskam. Ja, natürlich ist das ärgerlich. Ich schätze, viele Autoren haben, wenn ihre Bücher dieser Tage veröffentlicht wurden, Bedenken. Das Werk, an dem so lange gearbeitet wurde, wird vermutlich nur begrenzt wahrgenommen, in einer Zeit, in der Menschen ganz andere Sorgen haben und lieber Blogs zur neuesten Entwicklung der Epidemie studieren, als sich auf einen längeren Lesevorgang einzulassen.

Einen Satz muss ich nun vorausschicken, sonst würde ich mich sehr unwohl fühlen: Dieser Text soll in einem Magazin erscheinen, das sich an Autoren, Kritiker, Leser wendet. Würde ich den Text für eine Gebetsstunde schreiben, wären die Schwerpunkte andere.

Alle, nicht ich

So bedauerlich sich die Situation für jeden einzelnen Autor auch darstellt, es gibt Schlimmeres. Wenn jetzt die Verlage, Buchläden und all die anderen Menschen und Institutionen, die an der Vermittlung unserer Bücher beteiligt sind, unter dieser Krise leiden, wenn sogar welche aufgeben müssten und nur die Stärksten überleben, dann entstünde daraus langfristig ein bedeutend größeres kulturelles Problem als ein gehemmtes Frühjahrsprogramm. Es ergibt sich also folgende Erkenntnis: Alle müssen durchkommen. Das spürt jetzt jeder. Mir jedenfalls nimmt es im Moment allen Druck von den Schultern, dass ich mich nicht alleine betroffen fühle. Dieser Sinneswandel vollzog sich ganz von alleine, da gibt es offenbar unterirdische Kräfte. Die Sorge, mein Buch, verwandelte sich in ein wir. Was für eine Erleichterung.

Man tröstet sich gegenseitig. Trost allerdings hat auch eine dunkle Seite.

Ein Impuls

Matthias Wittekindt (c) Wenke Seemann

Meine Bücher handeln, wenn man es mal ganz grob nimmt, davon, wie – meist jüngere – Menschen in etwas hineingezogen werden oder da reinstolpern. Wobei man gar nicht immer entscheiden kann, was davon sie eigentlich absichtlich getan haben, welche Folgen sie hätten abschätzen können. Dazu kommen dann noch die Gruppeneffekte. Ich erwähne das, um zu meinem letzten Punkt zu kommen. Ich lebe in Berlin-Pankow. Vorgestern ging ich mit meinem Hund durch den Bürgerpark. Und da sah ich sie. Die, über die dieser Tage so viel berichtet wird. 60, vielleicht auch 80 junge Menschen waren dort am Feiern. Ja, richtig. Flaschen wurden herumgereicht. Und da war ein Impuls sofort da: ‚So zeigt sich das, worüber du schreibst.’

Sie wirkten beschwingt, nicht aber betrunken. Ich war beinahe verzückt, konnte gar nicht anders, als die Bewegungen der Einzelnen genau zu beobachten. Die Ströme zwischen den kleinen Kreisen à zehn oder zwölf oder auch das Sinken derer, die bereits glücklich ermattet zu Boden gingen. Die leicht geröteten Gesichter natürlich, die Art, wie einzelne beim Lachen ihre Oberkörper nach hinten bogen, dabei ihre Flaschen hoch in die Luft hielten, während zwei, die etwas am Rand standen, mit so großem Ernst in die Ferne blickten, als hätten sie eben etwas Bedeutendes … entdeckt … begriffen.

Ich sah ihnen eine Weile zu. Eine ganze Weile, der Hund wurde bereits ungeduldig. Ich will also nicht weiter ins Detail gehen und werde mir auch keine Bewertung gestatten, denn das wird bereits an anderer Stelle getan. Ich erwähne diese Begebenheit, weil das doch vermutlich einigen Schriftstellern dieser Tage so geht: Aus Reizung, reflexhafter Verärgerung, Angst wird plötzlich Anschauung, dann Material. Und aus dem Material Faszination und der Impuls verstehen zu wollen oder wenigstens zu sehen. Und wir wollen doch alle weiterhin schreiben. Ich hoffe, dass diese sonderbare Form von Resilienz im Modus einer Verwandlung von Angst in Interesse auch bei vielen meiner Kollegen die Oberhand behält, sie stimuliert.

Ein Nachtrag: Was die Jugendlichen angeht, die ich beobachtet habe, da klärte mein Freund Axel mich später auf, es seien Abiturienten gewesen, die ihren Abschluss feierten. Sie hätten auch die Tage zuvor gemeinsam in Klassenräumen gesessen. Ich habe also feiernde Abiturienten über einen längeren Zeitraum beobachtet. Ich vermute, so geht es jetzt einigen. Ein Hang zur Observation selbst der alltäglichsten Vorgänge macht sich breit.

„Die Brüder Fournier“ heißt das Buch von Matthias Wittekindt, das nun bei der Edition Nautilus herausgekommen ist. Dort sind fünf weitere Kriminalromane von ihm erschienen.

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