Geschrieben am 9. Januar 2009 von für Comic, Crimemag

Paco Ignacio Taibo II: Vier Hände

Die gefährliche Freundschaft des (Kriminal)Romans mit dem Comic

Alle kennen wir ihn, Paco Ignacio Taibo II und seine monumentalen Kriminalromane aus Mexiko. Einer seiner besten, Vier Hände, erscheint jetzt in Spanien als Comic. Francisco J. Ortiz hat ihn gierig verschlungen. Die Rezension hat Doris Wieser aus dem Spanischen übersetzt.

Wenn einer im spanischsprachigen Kriminalroman unehrerbietig ist, dann der asturianisch-mexikanische Schriftsteller Paco Ignacio Taibo II. Der Autor von Romanen wie Die Zeit der Mörder (Días de combate) oder Das Fahrrad des Leonardo da Vinci (La bicicleta de Leonardo) und nicht-fiktionalen Werken wie der definitiven Biografie von Pancho Villa leitet seit über zwei Jahrzehnten die „Semana Negra de Gijón“. Das Festival ist der lebende Beweis für die Fusion zweier Gattungen und narrativer Codes und die Mischung aus Kultur und fiesta. All das versteht man in Gijón als untrennbare Einheit. Viele der Zutaten dieses Molotowcocktails, aus dem Taibos Literatur besteht, kann man in einem seiner längsten Romane wiederfinden, Vier Hände (Cuatro manos), in dem er verschiedene Erzählstränge, die sich auf einem sehr weiten Territorium und auf einer äußerst langen Zeitachse abspielen, miteinander verbindet.

Die Handlung von Vier Hände beginnt im Juli 1923 an der Grenze zwischen El Paso und Ciudad Juárez. In dieses Grenzgebiet gelangt ein Mann mit müdem und traurigem Gesichtsausdruck und spärlichem Gepäck: acht Flaschen Genever. Der mexikanische Zöllner glaubt ihn wiederzuerkennen, kann sich aber nicht entsinnen, wer er ist. Erst als er auf ausländischem Boden schreitet, erkennt er in ihm Stan Laurel, die dezentere Hälfte des berühmten Komikerduos „Dick und Doof“. Am nächsten Tag wird der populäre und nun abgetakelte Schauspieler Zeuge des Mordes an keinem Geringeren als Pancho Villa.

Viele Jahre später, in unserer Gegenwart, beschließen zwei investigative Journalisten, der Nordamerikaner Greg Simon und der Mexikaner Julio Fernández, nach Nicaragua zu reisen, um ein neues, gemeinsames Projekt aufzuziehen. Währenddessen entwirft Alex, der Leiter einer geheimen Abteilung der CIA mit dem Kürzel SD (Shit Department), einen Plan, um Rolando Limas, einen Mafioso und Drogendealer übelster Sorte, nach Belieben für seine Zwecke ausnutzen zu können.

Mehr davon!

Diese drei Handlungsstränge werden auch in der Comic-Version des Romans beibehalten, von der bis jetzt zwei Bände erschienen sind, die den ersten und den Anfang des zweiten Teils des insgesamt fünfteiligen, ziemlich langen Romans abdecken. Die extreme Texttreue der Comic-Adaptation – nicht nur der Inhalt wird beibehalten, sondern auch die Struktur des Romans, die Kapitelüberschriften und sogar viele Dialoge – ist teilweise dem Umstand geschuldet, dass Paco Ignacio Taibo II selbst die Zügel des Projekts in den Händen hält, zusammen mit dem Zeichner Améziane, der die mühevolle Arbeit auf sich genommen hat, die gewaltige Vorstellungskraft des Romanautors in Bilder zu verwandeln. Und diese Vorstellungskraft umfasst das Kino Anfang des Jahrhunderts, das Verschwinden Roque Daltons, das asturianische Bergrevier und Leo Trotski, der einen Kriminalroman schreibt. Doch der Comiczeichner meistert diese Herausforderung äußerst erfolgreich. Das sieht man beispielsweise an seiner Darstellung Spaniens der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ausgehend von den Tagebucheintragungen Tomás Fernández’, dem Großvater des mexikanischen Journalisten, der nach Asturien ausgewandert ist, um dort eine regimekritische Zeitung zu gründen, und der schließlich ein kleines Hotel leitete, in dem eine in Vergessenheit geratene Schauspielerin von Schwarzweißfilmen abstieg …

Trotz der großen Fülle an Details und einer gewissen Liebe zu längeren Textpassagen, die zweifellos eine Folge des Wortschwalls des Hauptverantwortlichen sind, verschlingt man die Comic-Version von Vier Hände gierig und möchte noch mehr davon. Die Freundschaft, die Greg und Julio verbindet, ist mit solcher Stimmigkeit dargestellt, dass sie an die Kameradschaft in den Kinofilmen von Sam Peckinpah erinnert. Die Figur des Alex und seine Arbeit als Kopf des SD ist außerdem einer der faszinierendsten Blicke auf die Welt der Geheimdienste, den wir jemals genießen durften und der jenen eines Norman Mailer, Robert De Niro oder Greg Rucka (um Beispiele aus Literatur, Kino und Comic zu nennen) um nichts nachsteht. Während wir auf die Fortsetzung des Comics warten und vor allem auf die wunderbare Arbeit von Améziane gespannt sind, können wir uns mit Taibos Roman vergnügen und da weiterlesen, wo der Comic aufhört.

Francisco J. Ortiz

Paco Ignacio Taibo II & Améziane: Cuatro manos (2 Vol.).
Barcelona: Norma Editorial 2008. je 96 Seiten. Je 19 Euro.

Paco Ignacio Taibo II: Vier Hände. (Cuatro manos, 1990).
Aus dem Spanischen von Annette von Schönfeld.
Zürich: Unionsverlag metro 2004. 400 Seiten. 11,90 Euro.

| Zum Originalartikel in Revista .38, Nr. 7, Dezember 2009