Geschrieben am 14. März 2018 von für Crimemag, CrimeMag März 2018, Primärtext

Primärtext: Aus „Tiefenscharf“ von Roland Spranger

51SiiQGYhoL._SX333_BO1,204,203,200_Liegt gut in der Hand, der erste „Deutsche Polar“ im glücklich wiederauferstandenen Polar Verlag. Ein Hardcover. Hartgesotten. Tiefenscharf. „Keine Zeit für keinen Kompromiss. Für kein Etikett, um das Marketing zu erweitern. Zeit für Autoren und Autorinnen, die etwas wagen wollen“, schreibt Programm-Macher Wolfgang Franßen im Vorwort. Wir gönnenn uns das Vergnügen, Ihnen das Anfangskapitel aus Roland Sprangers leisem, von der Sehnsucht nach dem Rausch geschriebenen Roman zu präsentieren. Hier geht es los:

Die riesigen Neon-Tafeln des Travel-Free-Shops leuchten aufreizend in den Nachthimmel. Auf dem Parkplatz davor stehen gut zwanzig Autos. Selbst um diese Zeit fnden sich genug konsumgeile Bedürftige, die sich dankbar mit billigen Zigaretten und Schnaps eindecken. Nach dem Travel-Free-Shop wird es fnster. Nur ein paar einzelne Laternen streuen sparsames Licht. Max fährt langsam über die Landesgrenze. Wie der vorsichtige Revolvermann durch eine Geisterstadt reitet. Natürlich muss er seinen Ausweis nicht vorzeigen. Kein Licht in den verlassenen Grenzhäuschen. Jalousien hängen schief in den Fenstern. Nichts schaut hier aus wie eine richtige Grenze, an der die Welt mal zerschnitten war. Schon lange her. Langweilige Fakten aus dem Geschichtsunterricht. Nach einem Blechschild mit der Aufschrift Staatsgrenze und einem Wappen ist er wieder in Deutschland. Von der tschechischen Polizei wird man selten kontrolliert. Und wenn, interessieren sie sich mehr dafür, ob man eine Ersatzbirne dabeihat, als für den Rest. Mit dem Rest verdient Max Kohle. Angefangen hat er mit Tabakwaren. Natürlich ist Zigarettenschmuggel ein Thema. Die ohne Steuerbanderole sind besonders billig. Die Vietnamesen bieten sie nicht jedem an. Manchmal sind nur Zeitungsschnipsel in den Zigaretten und kein Tabak. Dann bist du verarscht worden. Passiert, wenn du zu viel Vertrauen hast oder gierig wirst. Max hat sich schon lange vom Zigarettenschmuggel zurückgezogen. Stattdessen hat er einen Druckverschlussbeutel in der Jackentasche, der nicht nur leichter zu transportieren ist als Zigaretten, sondern dessen Inhalt auch eine wesentlich bessere Umsatzrentabilität verspricht. Dafür ist das Geschäft risikobehafteter: Das Crystal bringt ein paar Jahre Knast mehr ein, wenn er erwischt wird.

Schließlich endet die beleuchtete Strecke. An der letzten Laterne gibt Max Gas. Bergauf macht sich die Entscheidung für das Auto besonders bezahlt. Manchmal ist mehr einfach mehr. Mehr PS zum Beispiel. Der Mond versucht, sich durch die wenigen Lücken zu kämpfen, die ihm die dicken Wolken lassen. Tagsüber hat Max von der Bergkuppe eine weite Sicht. Jetzt blinkt ein Schwarm roter Lichter neben der Autobahn. Nachts rocken dutzende Windräder die Landschaft mit einer nervösen Lightshow. An dem kleinen Parkplatz, der nur gebaut wurde, um Polizeikontrollen durchzuführen, wird Max nicht herausgewunken. Max grinst. Die Bullen feiern vermutlich ihren Resturlaub ab. Es sei ihnen vergönnt. Jagen das ganze Jahr Typen hinterher, die cleverer sind als sie. Dazu auch noch schlecht bezahlt. Selber schuld. Wichser. Nachdem er auf die Autobahn gefahren ist, drückt Max gleichzeitig Gaspedal und den Power-Knopf der Audioanlage. Er stellt die Musik so laut, dass die Bässe jeden Teil des Körpers erreichen. Bauch. Eier. Gehirnlappen. Bis er die Fahrgeräusche des Autos nicht mehr hört und in einem dieser scheiß X-Wing zu sitzen glaubt. Oder in einem Tie-Fighter. Max verwechselt die immer. Irgendwas aus Star Wars. Plötzlich Blaulicht im Rückspiegel. Es leuchtet durch den ganzen Innenraum. Wie Photonentorpedo-Beschuss. Einen Moment lang hält Max die Luft an. Die Zähne knirschen. Er will nicht in den Rückspiegel schauen, aber dann macht er es doch. STOPP! POLIZEI! Max gibt Gas. Einen Moment lang sackt das Polizeiauto zurück, dann holt es sofort wieder auf. Max beschleunigt. Mehr kann er das Gaspedal nicht durchdrücken. Das Auto vibriert. Der Motor spricht direkt zu ihm.

aEr pegelt die Musik hoch. Dann fährt er das Beifahrerfenster nach unten und wirft das Plastikpäckchen nach draußen. Noch ein Kilometer Höchstgeschwindigkeit. Autoverfolgungsjagden ohne Helikopter machen einfach keinen Spaß, seit man Luftverstärkung aus Videospielen gewöhnt ist. Max bremst ab, stellt die Warnblinkanlage an und fährt an der nächsten Autobahnausfahrt nach draußen. Er bleibt im Auto sitzen, bis ihm der Bulle auf der Fahrerseite mit der Taschenlampe in Gesicht leuchtet. Sein jüngerer Kollege rechts lässt zwischenzeitlich den Taschenlampenstrahl über den Innenraum des Autos gleiten. Auf einem Karton mit Karlsbader Oblaten auf Beifahrersitz beißt sich der Lichtkegel fest. Max lässt das Fahrerfenster nach unten. »Führerschein und Fahrzeugpapiere.« Max klappt die Sonnenblende nach unten und holt das dort deponierte Mäppchen hervor. Er gibt es dem Polizisten, der prüfend darauf schaut. »Herr Toss, warum haben Sie nicht gehalten?« »Ich hab doch gehalten.« »Sie haben versucht, uns abzuhängen.« »Ich hab euch Jungs gar nicht bemerkt. War da hinten etwa eine Geschwindigkeitsbegrenzung?« »Nein. Können Sie dem Kollegen den Karton mal geben.« Der Bulle leuchtet auf den Beifahrersitz. Max reicht die Packung aus dem Fenster. Vorsichtig öfnet der Cop die Verpackung. »Karlsbader Oblaten«, sagt Max. »Ich mag die mit Zimt. Auf Schokoladenfüllung stehe ich nicht.« Der Polizist nickt und gibt Max die Oblaten. »Bitte bleiben Sie im Auto, Herr Toss«, sagt der Polizist an der Fahrertür und geht mit den Dokumenten zurück zum Polizeiauto. Der andere Bulle geht auf der Beifahrerseite auf und ab und leuchtet ins Fahrzeuginnere. »Darf ich rauchen?«, fragt Max. »Das müssen Sie wissen. Gesund ist es nicht.« Max zündet sich eine Zigarette an. Raucht. Lehnt den Hinterkopf an die Kopfstütze. Sie ist zu niedrig eingestellt. Wenn er einen Unfall hat, bricht sie ihm das Genick. Der entgegengesetzte Efekt ihrer Bestimmung oder so ähnlich. Wie lange dauert das noch? Der Rauch schaut scheiße aus. So zwischen Windschutzscheibe und Gesicht in einem unbewegten Auto. Der Bulle an der Beifahrertür leuchtet wieder herein. Beleuchtet schaut der Rauch noch beschissener aus. »Hatten Sie schon mal Probleme mit der Polizei?«, fragt der Polizist. Max kichert. Eigentlich doof, aber er kann nicht anders. »Was für Probleme meinen Sie? So Probleme wie jetzt?« »Sie müssen nicht antworten.« »Natürlich muss ich nicht antworten.« Max drückt die Zigarette aus. »Wo lernt ihr so was? Im Kommunikationstraining, oder wie?« Endlich wird eine Autotür geöfnet und wieder verschlossen. Max beobachtet im Seitenspiegel, wie der Bulle von seiner bekackten Bullenschaukel zurück zu seinem Auto kommt. Der Polizist reicht das Mäppchen mit Führerschein und Fahrzeugpapieren durch das Fahrerfenster. Max nimmt es und schiebt es wieder in den Gummihalter an der Sonnenblende. »Haben Sie was getrunken?« »Nein.« »Dann haben Sie sicher nichts gegen einen Alkoholtest einzuwenden?«

a4Max seufzt und steigt aus. Als er versucht möglichst würdevoll mit den beiden Polizisten zum Alkoholtest zu schreiten, hält ein Bullenkombi mit Hundekäfg im Heck. Na super, denkt er. Während er von den Polizisten den Automaten erklärt bekommt, kann er bereits die Schritte des Drogenspürhunds auf dem Asphalt hören. Einmal bellt er sogar kurz. »Fest blasen, bis ich Stopp sage!« Max bläst fest. Während er bläst, schnüfelt von hinten ein Hund an seinem Schritt. »Stopp!«, sagt der Polizist. »0,0« zeigt das Gerät leuchtend rot an. »Gehört das eigentlich dazu, dass mir der Hund von hinten an den Eiern rumnuckelt?«, fragt Max. Der Hund wird weggezogen. Neben Max erscheint das Gesicht des Hundeführers. »Stört Sie das? Hätten Sie lieber einen Finger im Arschloch?«, fragt der Hundeführer grinsend. »Da haben Sie sich das Zeug ja wahrscheinlich reingesteckt.« »Dann hätte der Köter sicher angeschlagen.« »Vielleicht stinkst du so sehr aus dem Arsch, dass der arme Hund die Drogen gar nicht riechen kann.« Der jüngere Polizist, der Beifahrerbeamte, sagt »Is’ schon gut jetzt« und schiebt den Hundeführer weg. »Mach deinen Job.« Und der Hundeführer macht seinen Job. Läuft mit dem Hund um das Auto. Öfnet alle Türen. Den Koferraum. Der Hund schnüfelt. Max merkt, dass der Hund nicht weiß, was er von der Sache halten soll. Er würde gerne was fnden. Er ist sich fast sicher, dass etwas da ist. Bellen tut er trotzdem nicht, weil es nur so eine Ahnung ist. Hunde können nicht viel mit der Vergangenheitsform anfangen.

»Wir warten einfach, bis der Kollege fertig ist«, sagt der ältere Polizist. Außerdem ist das Ice richtig sicher eingepackt. Besser als so eine Sendung von Amazon. Oder Zalando. Richtig gut eingepackt. Es liegt irgendwo neben der Autobahn. Zu gut eingepackt für den Hund. Der Hundeführer schüttelt den Kopf und geht mit Polizeihund zurück zum Auto. »Mag der Hund Autofahren?«, ruft Max. Der Hundeführer dreht sich um. »Na, klar. Er liebt seine Arbeit. Er freut sich schon drauf, das nächste Mal etwas zu fnden.« Max schaut abwechselnd zu den beiden Polizisten, die neben ihm stehen. »Wollen Sie noch etwas sehen? Warndreieck? Warnweste? Erste-Hilfe-Koffer?« »Haben Sie die dabei?« »Logisch. Warnweste im Handschuhfach. Erste-Hilfe-Koffer und Warndreieck im Kofferraum. Leicht zu erreichen. Soll ich es vorführen?« »Schon in Ordnung. Gute Fahrt.« Die Polizisten steigen ins Auto. Max weiß, dass sie ihm hinterherschauen, als er zum Wagen geht. »All Cops Are Bastards«, murmelt er. Er fühlt sich kurz wie ein Gewinner. Ein Gefühl, das an den Eiern kitzelt. Im Auto atmet er durch. Von einem Moment auf den anderen ist das Glücksgefühl weggeblasen. Das scheiß Päckchen. Er muss es wiederhaben. Da sind zwanzigtausend Euro in Kristallform drin. Natürlich denken die Bullen gar nicht daran, als Erste wegzufahren. Sie stehen hinter ihm und warten. Blöde Wichser. Er startet den Motor. Fährt. Scheiß Bullen. Scheiß Päckchen.

a5Mehrere verlassene Landstraßen später ist sich Max sicher, dass er nicht verfolgt wird. In einem Dorf bleibt er stehen und steigt aus. Er schaut sich um. Ein paar hingewürfelte Häuser mit einer Bushaltestelle, die nur werktags vom Schulbus angefahren wird. Max holt sein Handy aus der Tasche. Tatsächlich hat er sogar hier am Arsch der Welt Empfang. Max mag die vernetzte Welt. Gute Freundin, die mobile Kommunikation. Allerdings muss man aufpassen, was man ihr verrät, denn sie kann nichts für sich behalten. Am anderen Ende der Leitung ein müdes »Hallo«. »Du musst sofort herkommen.« »Hast du keine Sehnsucht?« »Ich hab schon geschlafen.« »Oh, tut mir leid, dass ich dich geweckt habe, weil ich ausnahmsweise mal deine scheiß Hilfe brauche. Beweg endlich deinen fetten Arsch hierher! Jetzt!« »Ich hab keinen fetten Arsch.« »Natürlich nicht. Dein Arsch ist super.« »Den Tonfall kannst du dir sparen. Er ist wirklich super.« »Sag ich doch. Ich hab keinen Tonfall. Bitte, versuch deinen reizenden Popo möglichst schnell zu deinem Lover zu bringen.« »Schon besser. Was ist denn eigentlich los?« »Das willst du nicht wissen.« »Doch.« »Ich kann es dir nicht am Telefon sagen.« »So schlimm?« Max schnauft ins Telefon. Manchmal ist sie echt schwer von Begrif. »Okay. Wo bist du?« »Keine Ahnung. In irgend so einem bekackten Hinterwäldler-Kannibalen-Dorf. Wir trefen uns an der Autobahnausfahrt bei der Bezirksklinik. Kennst du von deinem letzten Entzug.« »Da fahr ich nicht hin.« »Keine Angst, du landest schon nicht in der Anstalt. Nicht heute Nacht.« Am anderen Ende der Leitung atmet es. Kira überschreitet deutlich die Höchstdauer für eine Antwort. Schließlich sagt sie: »Ich will da nicht mehr hin. Da war ich schon zu lange.« »Ehrlich nicht. Hey, so lange du mit mir zusammen bist, fährst du da nie mehr hin. Du kennst mich: Ich beschütze dich. Vertrau mir.« »Okay, ich vertrau dir. Ich bin in 20 Minuten dort.« »Lass dir Zeit. Keine Geschwindigkeitsüberschreitungen. Wir können keine Cops brauchen.« »Keine Angst. Für Cops habe ich ein eigenes Sinnesorgan.« Sie legt auf. Max zündet sich ans Auto gelehnt eine Zigarette an. Es ist schweinekalt. Er schaut sich um. In ein paar Fenstern ist noch Licht und Fernsehen. Fußball, Porno, eine Talkshow, eine Krimi-Serie. Und warme Wohnzimmersitzlandschaften. Nicht mal so schlecht. Max tritt die Zigarette auf dem Asphalt aus. Das scheiß Päckchen. Er fährt zur verabredeten Autobahnausfahrt und wartet, bis seine Freundin in ihrem Kleinwagen neben ihm hält. Beide lassen die Fenster herunter. »Ich fahr da hinten in einen Feldweg und stell mein Auto ab«, sagt Max. »Wir nehmen deinen Wagen.« »Und warum?« Max seufzt. Er ist nicht der Sozialpädagogen-Typ, der gerne jeden Scheiß erklärt. »Weil mein Auto heute schon mal in Erscheinung getreten ist.« Nachdem Max seine Limousine abgestellt hat, holt er die Taschenlampe aus dem Handschuhfach und steigt in den Kleinwagen seiner Freundin.

»Okay, fahr auf die Autobahn.« »In welche Richtung?« »Süden. Bis zur nächsten Ausfahrt. Dann kehren wir um.« »Warum?« »Wir suchen was.« »Und was?« »Ein Päckchen, das ich verloren habe.« »Was für ein Päckchen?« Max umklammert ihr Kinn mit Daumen und Zeigefnger. Dreht den Kopf in seine Richtung. Sie schauen sich in die Augen. Max kann das gut. Er schiebt den ausgestreckten Zeigefnger zwischen die beiden Gesichter. Die vertrauten Gesichter. »Du willst gar nicht alles genau wissen.« Sie nickt. »Will ich nicht.« Sie startet den Motor und fährt auf die Autobahn. Bis zur nächsten Anschlussstelle sagt keiner etwas. Dann fährt sie in die entgegengesetzte Richtung wieder auf die Autobahn. »Du bist zu schnell«, sagt Max. »Häh? Sonst fahre ich dir immer zu langsam.« »Heute nicht. Du musst in fünfhundert Metern auf der Standspur halten.« »Okay.« Max steigt aus. Geht zur Leitplanke und leuchtet den Abhang mit der Taschenlampe ab. Nichts, so sehr er auch seine Augen anstrengt. Nur Grün und scheiß Gras und sein Atem, der eine kleine Wolke bildet. Er hält den Atem an und leuchtet wieder. Kein Plastik. Max steigt ins Auto ein. »Fahr fünfzig Meter auf dem Standstreifen und halt dann an.«

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Als sie wieder anhalten, springt Max aus dem Auto, lehnt sich an die Leitplanke und leuchtet die bekackte Landschaft ab, während er den Atem anhält. Auf seinem Nacken spürt er etwas Kaltes, als würde er von einem Geist berührt. Max hebt die Taschenlampe und leuchtet nach oben. Einzelne Schneefocken sind in der Luft. Ziellos. Max steigt wieder ins Auto. »Scheiße, es beginnt zu schneien.« »Der Jahreszeit entsprechend.« »Ich kann die beschissene Jahreszeit nicht brauchen.« »Was machen wir jetzt?« »Du fährst fünfzig Meter auf dem Standstreifen.« Das machen sie dreimal. Anhalten, Max steigt aus und leuchtet in die Landschaft, ohne dass im Lichtkegel der Taschenlampe etwas zu entdecken ist. Er ist angefressen. Schwer angefressen. »Und nun?« »Fahr erst mal von der Autobahn.« Als sie bei der nächsten Ausfahrt die Autobahn verlassen, fängt es richtig heftig an zu schneien. Dicke Schneefocken fiegen ins Scheinwerferlicht. »Und jetzt?«, fragt Kira. »Fahr über die Dörfer zurück zur Autobahn, damit wir die Strecke noch mal abfahren können.« »Noch mal?« »Ja. Kriegst einen Karmapunkt.« »Ich scheiß auf den Karmapunkt. Ich will wissen, was los ist.« »Was juckt’s dich?« »Ich fahre verkehrswidrig auf der Autobahn und auch sonst stinkt die Nummer.« »Wie oft denn noch? Wir suchen ein Plastikpäckchen. Eher einen Beutel. Ein Beutel in ’nem Päckchen.« »Ist da zufällig Crystal drin?« »Nein. Es ist Biomüsli im Wert von zwanzigtausend Euro drin.« Als sie zur Autobahnaufahrt kommen, bedeckt bereits eine geschlossene Schneedecke die Fahrbahn. Selbst auf der Autobahn sind die Verkehrsteilnehmer vorsichtig unterwegs. Nur ein schwarzer Audi überholt noch, aber schwarze Audis überholen immer. »Halt nach zweihundert Metern auf dem Standstreifen an.« »Klar.« Max springt aus dem Auto. Drückt sich an die Leitplanke. Seine Hose wird feucht. Er leuchtet mit der Taschenlampe nach unten. Alles weiß. Max macht die Taschenlampe aus und steigt wieder ein. »Und jetzt?«, fragt sie. Max muss nachdenken. »Und jetzt?«, fragt sie noch einmal. Spontan hat er Lust, sie zu schlagen, aber er tut es nicht. Das ist gut. Er ist immer zufrieden, wenn er sich im Griff hat. Das scheiß Päckchen. Das scheiß Ice. Wenn sie noch einmal »Und jetzt?« fragt, haut er ihr auf die Fresse, das weiß er. Stattdessen sagt sie: »Lass uns nach Hause fahren.« Er nickt. Kira gibt Gas. Die Schneefocken sind noch fetter geworden. Sie macht das Autoradio an. Erst synthetische Chart-Musik. Dann die Nachrichten. Anschließend der Wetterbericht und die Verkehrsmeldungen. Der Verkehr bricht gerade überall zusammen. Scheiß Jahreszeit. Scheiß Schnee. Scheiß Cops.

(Mit freundlicher Genehmingung des Verlages.)

Roland Spranger: Tiefenscharf. Roman. Polar Verlag, Hamburg 2018. 260 Seiten, 18 Euro.

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