Geschrieben am 5. Juni 2010 von für Crimemag, Hörbuch

Robert Bloch: Psycho

Der Nervenkitzler

Hitchcock mochte Robert Bloch nicht. Aber dass „Psycho” cooler Stoff ist, hatte der Großmeister schon gemerkt. Jörg von Bilavsky hat stundenlang CDs gehört …

Hitchcock in allen Ehren. Aber was Matthias Brandt an Spannung und Seelenpein aus dem Thriller „Psycho” herausliest, kann sich mehr als hören lassen. Hat es der Altmeister des Suspense vor allem auf die düstere Atmosphäre und den irren Blick von Norman Bates abgesehen, sucht der prominente Schauspieler in seiner Lesung die seelischen Abgründe aller Charaktere zu erkunden. Brandt schlüpft nicht nur in die Rollen, er scheint sie wirklich und wahrhaftig zu leben. Denn in Robert Blochs Klassiker steckt weitaus mehr Substanz, als die, die uns der legendäre Regisseur vor Augen geführt hat oder andeuten wollte. Während Hitchcock an der Oberfläche geblieben ist, taucht Brandt ganz tief in die Psyche der Protagonisten ein. Der vordergründige Horror verwandelt sich in einen existenziellen.

Insofern ehrt der vom NDR produzierte und ausgestrahlte Vortrag nicht Hitchcock zu seinem 30. Todestag, sondern den längst in Vergessenheit geratenen Horror- und Fantasy-Autor Robert Bloch. Bekannt ist sein Name nur durch die Verfilmung geworden. Die literarische Vorlage kennt heute kaum noch jemand. Obgleich das Original es wirklich verdient. Denn hier wird nicht nur die tragische Geschichte der Sekretärin Marion Crane erzählt, die 40.000 Dollar veruntreut und sich aus dem Staube macht, um zu ihrem Verlobten nach Farewell aufzubrechen. Dann aber das Pech hat, kurz vorm Ziel in dem Motel von Norman Bates und seiner alten Mutter zu landen, in dem sie unter der Dusche mit mehreren Messerstichen hingerichtet wird. Die Geschichte dreht sich in Wirklichkeit auch nicht um die wahnwitzige Vertuschung des Mordes oder die schaurige Entlarvung des wahren Täters. Bloch geht es um seelische Verwundungen seiner gescheiterten Existenzen.

We love Norman B.

Mit variationsreichen Stimm-Modulationen erweckt Brandt die lebenshungrige Marion ebenso zum Leben wie den von Eifersucht und Rache zerfressenen Norman Bates. Mit geschickt gesetzten Pausen vermag er die Spannung immer auf einem hohen Level zu halten. Am schärfsten aber bildet er die Psyche von Norman Bates ab. Mal mit dem rastlosen Timbre eines Getriebenen und Gehetzten. Ein anderes Mal fängt er die vermeintliche Selbstsicherheit des jungen Motelbesitzers mit einem leicht nervösen und überheblichen Tonfall ein. Brandts einfühlsame Interpretation verstärkt die analytische Präzision, die in den inneren Monologen von Bates stecken und von Hitchcock kaum sichtbar gemacht worden sind. Auch die sozialkritischen Motive, die Marion Crane erst zur Diebin gemacht haben, sind in der Verfilmung nicht erkennbar.

So sehr beim Hören auch die berühmt-berüchtigten Bilder des Hitchcock-Klassikers aufscheinen mögen, die Lesung von Brandt besitzt eine ganz eigene Faszination. Sie geht nicht von geheimnisumwobenen Müttern oder schreckgeweiteten Augen aus. Sie fußt auf dem Nervenkitzel, der allein in den psychologisch raffinierten Texten von Robert Bloch steckt. Matthias Brandt lässt dabei nicht nur die Nerven von Bates, sondern auch die seiner Zuhörer vibrieren.

Jörg von Bilavsky

Robert Bloch: Psycho. Komplettlesung von Matthias Brandt. Der Audio Verlag 2010. 5 CDs. Ca. 344 Minuten. 19,99 Euro.
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