Geschrieben am 16. Oktober 2018 von für Crimemag, CrimeMag Oktober 2018

Robert Rescue: Agenten-Story

ge2Agent auf Abruf   

von Robert Rescue

Mark Nais legte bereits in der Kindheit Verhaltensmuster an den Tag, die ihn später zum Einzelgänger abstempelten. Oft stand er irgendwo herum, beobachtete Passanten und schrieb etwas in ein Notizheft. In der Schule musterte er seine Mitschüler auf dem Pausenhof, beim Sportunterricht, sogar in der Umkleidekabine und schrieb sich etwas auf. Den Mitschülern war sein Verhalten unheimlich, weswegen sie Abstand zu ihm hielten. Die Eltern beobachteten sein Verhalten mit Sorge, denn sie wussten, was der Grund für sein Verhalten war.

Mit Beginn der Pubertät kleidete sich Nais in schwarze Leder-Trenchcoats, trug dazu eine Sonnenbrille und verlagerte seine Aufmerksamkeit auf Mitschülerinnen. Von denen fertigte er erotische Dossiers an, die er sich jedoch nur ausdachte. Zu dieser Zeit geschah es auch, dass sich Nais häufiger vor den Spiegel stellte, affektiert an einer Zigarette zog und dann zu seinem Spiegelbild sagte: „Gestatten, mein Name ist Nais. Mark Nais.“

Nach Schulende begann er eine unspektakuläre Ausbildung zum Zahnorthopäden. An seinem 18. Geburtstag baten ihn seine Eltern zum Gespräch.

„Junge“, leitete sein Vater ein, während die Mutter danebensaß und theatralisch in ein Taschentuch weinte. „Du bist gerade erwachsen geworden. Fühlst du dich glücklich?“

„Kann man so nicht sagen, Vater. Denn in meiner Ausbildung gab es zwar viel zu observieren, doch das wenigste davon lohnte, es zu notieren und zu archivieren, um es später gegen irgendwen verwenden zu können.“

„Ich merke an deinen Worten“, so der Vater, „dass du nicht ablässt von dem, was dich seit deiner Kindheit verfolgt. Deshalb wird es Zeit, dass deine Mutter und ich dir offenbaren, was deine eigentliche Bestimmung ist.“

Der Vater packte den Sohn an den Schultern. „Als deine Mutter und ich beschlossen, dich zu zeugen, steckten wir in großen Geldnöten. Wir wussten weder ein noch aus, im wahrsten Sinne der Worte. Sicherlich, ein Kind zu zeugen ist keine Frage des Geldes, aber die Erziehung schon. Deshalb suchten wir nach Sponsoren, welche die Kosten tragen würden. Doch zunächst erhielten wir nur Absagen, weshalb wir nahe dran waren, dich abzutreiben. Dann aber meldete sich ein Geheimdienst und bot an, die Kosten bis zu deinem 18. Lebensjahr zu übernehmen.

Im Gegenzug mussten wir uns verpflichten, dich ab dem heutigen Tag an den Geheimdienst quasi „freizugeben“.“

„Was bedeutet das konkret?“, fragte Mark Nais.

„Es bedeutet,“, entgegnete der Vater, „dass dich der Geheimdienst jederzeit aktivieren kann und dann musst du für sie tätig werden.“

ge3„Um welchen Dienst handelt es sich? CIA, MI 5 oder etwa BND?“ Der Sohn holte aus dem Mantel einen Block. Er hatte gerade eine typische Ermittlungsfrage gestellt und da war es ratsam, das Ergebnis zu notieren.

„Das dürfen wir dir nicht sagen. Du verstehst, die ganze Angelegenheit unterliegt strengster Geheimhaltung.“

„Natürlich, ich verstehe“, antwortete der Sohn und steckte den Block wieder ein.

„Das einzige“, so fuhr der Vater fort, „was ich dir geben kann, ist ein Umschlag. Der Agent, der damals bei deiner Geburt anwesend war, gab ihn uns mit der Auflage, ihn dir an deinem 18. Geburtstag zu überreichen. Er meinte, dann würdest du deine Personalnummer erfahren.“

Die Mutter war inzwischen aufgestanden und zu einer Kommode gegangen. Von dort holte sie einen Umschlag und trug den feierlich zum Sohn. Dieser riss den Umschlag auf, holte einen Zettel heraus und besah sich den kurz. Dann holte er aus der Tasche ein Feuerzeug und zündete das Papier an.

„Willst du uns nicht sagen, was für eine Nummer du hast?“, fragten die Eltern.

„Ich glaube nicht, dass euch meine Personalnummer etwas angeht, Verena und Josef. Ich glaube, es wird Zeit, mich um meine Zukunft zu kümmern.“

In den nächsten Tagen schickte Mark Nais an alle möglichen Geheimdienste E-Mails und fragte nach, ob er in ihrem Sold stand. Er legte den Sachverhalt seiner bisherigen Existenz dar und gab auch seine Personalnummer an, in der Hoffnung, dass irgendein Sachbearbeiter zur Kontrolle mal im Computer nachschaute und fündig wurde.

Schließlich lag die Rekrutierung schon lange zurück. Doch Nais erhielt keine Antworten. Wochen später bekam er eine Nachricht vom Blumengroßhandel Bottrop.

„Sehr geehrter Herr Nais,

leider können wir ihnen bezüglich ihrer Nachfrage nach Tulpen nicht helfen. Tulpen führen wir nicht im Sortiment.

Mit freundlichem Gruß,

Blumengroßhandel Bottrop

P.S.: Dies ist eine Antwort auf ihre Mail von neulich, erinnern sie sich? Die, wo sie gefragt haben, sie wissen schon … wegen damals und so. Kapiert? Hinweis: Diese Mail löscht sich nach dem Lesen innerhalb von 15 Sekunden von selbst.

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Mark Nais war aufgeregt. Ein Dienst hatte ihm geantwortet! Aber es war wohl nicht seiner, denn die Mail war eine Absage. Womöglich aber wollten sie ihm mit der verschlüsselten Mail mitteilen, dass er zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht gebraucht wurde. Nais wurde aus der Antwort nicht schlau.

Um eine Verwechselung auszuschließen, fragte er seine Eltern, ob sie über seinen Account bei dem Blumengroßhandel Bottrop nach Tulpen gefragt hatten. Sie verneinten.

Das konnte auch nicht sein, denn das P.S. war unüblich für einen Blumengroßhandel und Mails löschten sich auch nicht 15 Sekunden nach dem Lesen von selbst, außer deren Inhalt war konspirativ.

Als Zahnorthopäde wollte Nais nicht länger arbeiten. Nach zwei Jahren meldete sich das Jobcenter bei ihm und lud ihn zu einem Gespräch über eine Umschulung ein.

„Also, Herr Nais, die Bundesagentur für Arbeit hat festgestellt, dass die meisten Berufe nur einen temporären Wachstumsmarkt haben, sprich, meist nicht mehr benötigt werden, wenn wir die Leute umgedingst, ich meine, umgeschult haben. Zudem ist es bei den meisten Berufen nicht nötig, darin überhaupt was zu schulen, denn der Arbeitnehmer kann in der Regel schon von selbst eine ganze Menge. Wenn sie kochen können, dann sind in der Lage, als Koch zu arbeiten und wenn sie mit einem Computer umgehen können, dann steht einer Arbeit im Büro nichts im Wege.

Es gibt nach Ermittlungen der Bundesagentur nur wenige Tätigkeiten, die sich teils schon seit Menschengedenken einer immensen Nachfrage bei den Menschen erfreuen und die deshalb von konjunkturellen Schwankungen unberührt bleiben. Wir fördern daher nur noch Umschulungen zur gewerblichen Prostitution, wobei die meisten Menschen da nicht mehr geschult werden müssen, hahaha, sie verstehen, was ich meine, sowie die Berufsfelder Soldat, Leichenbestatter, Versicherungsvertreter und Geheimagenten.“

„Geheimagenten?“, fragte Nais nach.

„Ja, sie haben richtig gehört, Geheimagenten. Es gibt gerade eine ungeheure Nachfrage auf dem Markt, eigentlich immer schon. Wollen sie Geheimagent werden, mit abgelegter Prüfung vor der IHK?“

„Ja“, antwortete Nais, ohne zu zögern.

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Die einjährige Umschulung zum Geheimagenten brachte ihm nicht viel. Er schloss alle Prüfungen mit Bestnoten ab. Die Prüfer rieten ihm, die Jobbörse der Geheimdienste im Kongresszentrum am Alexanderplatz zu besuchen, da er bei seiner Abschlussnote dort mit Kusshand genommen würde.

Als erstes besuchte Nais den Stand der CIA und fragte nach einem Job.

„Finden Sie Baschar al-Assad doof?“, fragte ihn ein bulliger Texaner mit Cowboyhut.

„Kann ich so nicht sagen. Ich kenne ihn nicht persönlich.“

„Sind Sie Arabern gegenüber grundsätzlich misstrauisch eingestellt?“

„Ich denke nicht. Der Ali beim Döner um die Ecke ist ein guter Freund von mir.“

„Glauben Sie, dass in jedem Araber ein Amerikaner steckt, der aus ihm heraus will?“

„Weiß ich nicht. Also, ich glaube, der Ali ist stolz, dass er Araber ist.“

„Sorry, wir haben keine Verwendung für Sie.“

Als nächstes versuchte es Nais beim Bundesnachrichtendienst.

„Guten Tag, ich hätte gerne bei Ihnen einen Job als Geheimagent.“

„Geheimagent? Sie müssen sich irren, junger Mann. Sie befinden sich am Messestand eines bekannten Blumengroßhandels aus Bottrop.“

„Aber da, über Ihrem Kopf, befindet sich ein großes Schild mit der Aufschrift „Bundesnachrichtendienst“?“

„Sie müssen sich wirklich irren. Also wenn ich das Schild lese, dann steht da „Blumengroßhandel Bottrop.“ Wir handeln mit Rosen, Veilchen und allem anderen, was wie Blumen aussieht.“

Nais ließ es bleiben. Immerhin wusste er nun, welcher Dienst ihm geantwortet hatte.

Auch bei anderen Geheimdiensten war er nicht erfolgreich. Einige gaben sich als was anderes aus und wiesen ihn mit seinem Jobwunsch ab, andere stellten ihm Fragen, auf die er die falschen Antworten gab.

Nach zwei Stunden entdeckte er in einer Ecke der Kongresshalle einen Stand ohne jegliches Schild, ohne Werbeprospekte und mit dem Eindruck behaftet, dort präsentiere sich der Geheimdienst eines wirklich uninteressanten Landes. Trotzdem ging Nais hin.

„Guten Tag, mein Name ist Nais, Mark Nais. Ist das hier der Stand eines Geheimdienstes oder eines Blumengroßhandel, einer Autovermietung, eines Plattenkonzerns oder was mir sonst jetzt nicht einfällt.“

ge5„Ich bin der Vertreter des Geheimdienstes von Liechtenstein“, erklärte ihm ein älterer Mann mit weißem Bart.

„Haben Sie einen Job für mich?“

„Kommt drauf an. Wären Sie in der Lage, die Fahrtroute des Busses zu ermitteln, der vor dem Kanzleramt hält und mit dem die Bundeskanzlerin nach Feierabend zu ihrer Dienstvilla fährt?“

Nais dachte einen Moment lang nach.

„Die Fahrtroute zu ermitteln, ist, denke ich, kein Problem. Aber der hält nicht direkt am Kanzleramt wegen der Sicherheit und die Kanzlerin fährt nie Bus, außer es ist Wahlkampf. Und sie wohnt in keiner Dienstvilla, sondern in einer Wohnung nahe des Pergamon-Museums.“

Der Liechtensteiner nickte.

„Ihre Antwort zeugt von Beobachtungsgabe, Kenntnis über das Berliner Busnetz, Logik und ich höre eine Prise Ironie heraus. Sie sind engagiert.“

geNais war nicht so begeistert. Lieber hätte er für den CIA oder für den Blumengroßhandel Bottrop gearbeitet. Aber, so sagte er sich, wenn er mal nach seinem Job gefragt wurde, dann konnte er ja einfach sagen, „Ich arbeite beim Geheimdienst.“ Er musste ja nicht sagen, für welchen, schließlich war das Dienstgeheimnis. Der Agentenwerber riss ihn aus seinen Überlegungen.

„Um Ihren Arbeitsvertrag fertigmachen zu können, Herr Nais, brauche ich Ihre Personalnummer. Ich nehme an, die kennen Sie auswendig.“

Der Mann hinter dem Stand lächelte ihn an.

Robert Rescue

Zu Robert Rescues Webseite mit Terminen, Veröffentlichungen etc. geht es hier, einen einschlägigen Beitrag von ihm finden Sie in der Anthologie „Berlin Noir“ und beim Talk Noir im Neuköllner Froschkönig ist er regelmässig unser Stargast.

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