Klaus Pelzer und die Smart Home Geräte des Schreckens
Von Robert Rescue
Die Frau, die Klaus Pelzer die Tür öffnete, wirkte apathisch. So stellte sich Pelzer einen Zombie vor, der einem die Wohnungstür öffnete. Ein Denkfehler, wie er sich eingestehen musste. Ein Zombie würde niemals eine Tür öffnen, dazu war er schlichtweg zu doof.
„Klaus Pelzer mein Name“, stellte er sich vor. „Sie hatten mir eine Mail geschrieben.“
Sie nickte nur und hielt die Tür auf. Die Mail von Frau Börne hatte Pelzer zunächst stutzig gemacht. „Hallo, das Böse ist im Haus. Alle Geräte suken. Bitte helfen sie mir!“ Es hatte einen Moment gedauert, bis Pelzer das Wort „suken“ als „spuken“ gedeutet hatte, wobei ihm der Begriff „Das Böse“ hilfreich war. „Spuken“ und „das Böse“ gehörten zueinander wie Pech und Schwefel. Ein Fall für einen Geisterjäger wie mich, hatte sich Pelzer gedacht und sich gleich auf den Weg gemacht.
Im Wohnzimmer entdeckte er als erstes ein ALEXA-Modell von Amazon, dass einen Hit von Modern Talking spielte. Frau Börne warf dem Gerät einen giftigen Blick zu, bevor sie sich auf das Sofa setzte. Es war warm in der Wohnung, was Pelzer für einen heißen Sommertag ungewohnt fand. Er ging zu einem der Heizkörper und legte die Hand darauf. Er war heiß. Pelzer ging durch den Kopf, dass die Frau vor ihm womöglich verrückt war. Die Kombination von Heizung im Sommer und Modern Talking ließ das als Möglichkeit zu. Für die Anwesenheit des Bösen aber sprach auf jeden Fall das Lied von Modern Talking.
„Das geht jetzt seit einer Woche so“, erklärte Frau Börne. „Die ganzen Geräte machen, was sie wollen. Alexa spielt grottenschlechte Musik, die ich nicht abstellen kann. Wenn ich es versuche, lacht sie höhnisch. Die Jalousien gehen hoch und runter. Können Sie sich vorstellen, wie man es mit der Angst zu tun bekommt, wenn die Jalousien einfach so hoch und runter gehen? Auf dem Spiegel im Bad, der zugleich auch ein Tablet ist, stehen Nachrichten wie „Ich mach dir das Leben zur Hölle“ und „Es gibt auch noch Musik von Milli Vanilli.“ Ich habe den Film „Poltergeist“ gesehen und da war das genauso.“
„Poltergeist ist von 1982“, klärte Pelzer auf. „Da gab es noch keine Smart Home Geräte.“
„Dann so ähnlich“, sagte die Frau. „So ähnlich, aber nicht genauso“, pflichtete Pelzer ihr bei.
Er war misstrauisch. Ein Poltergeist und Smart Home Geräte? War ihm noch nicht untergekommen. Aber es war möglich. Poltergeister können durchaus mit der Zeit gehen.
„Haben Sie einen Bezug zum Bösen?“, fragte Pelzer. „Zu Dämonen und Satan?“ Eine Standardfrage aus seinem Repertoire. Wenn die Frau sie bejahte, wusste er, in welche Richtung er weiter ermitteln musste.
„Nicht das ich wüßte“, antwortete sie. Pelzer war enttäuscht. Es hätte alles so einfach sein können.
Sein Weg führte ihn ins Badezimmer. Dort bemerkte er eine Überwachungskamera am Spiegel, der laut Frau Börne irgendwie auch ein Computer war. „Was macht eine Überwachungskamera im Bad?“, fragte er.
Frau Börne kam heran. „Vor drei Tagen“, sagte sie, „war ein Video auf Facebook zu sehen, wie ich mir die Beine epiliere und anschließend dusche. Ich habe es erst bemerkt, als meine beste Freundin mich anrief und fragte, was es damit auf sich hat. Mir war das unglaublich peinlich. Ich muss annehmen, dass die Überwachungskamera das Video hochgeladen hat.“
„Haben Sie die Kamera deaktiviert?“, fragte Pelzer weiter.
„Um Gottes willen, nein. Sie filmt unter anderem das Badezimmerfenster und gibt Alarm, wenn jemand versucht, hier in die Wohnung einzudringen. Ich habe auf dem Handy eine App, die mich über den Zustand des Badezimmerfensters informiert.“
„Habe ich das richtig verstanden, dass die Kamera ständig läuft?“, fragte Pelzer nach. „Das würde bedeuten, dass sie selbstverständlich gefilmt werden, wenn sie sich im Bad aufhalten.“
„Eigentlich nicht“, widersprach Frau Börne. „Die Kamera hat einen Privat-Modus, der automatisch aktiviert wird, wenn jemand das Bad betritt. Für etwa eine halbe Stunde.“
Pelzer schüttelte den Kopf, sagte dazu aber nichts. Er würde sich niemals so etwas ins Haus holen. Dafür war er zu konservativ, was die Handhabung von Haushaltsgeräten anging. Wenn man eine Jalousie runterlassen oder hochziehen will, dann muss man zum Fenster gehen und zur Schnur greifen. Einfach ins Zimmer rufen, Jalousie, hoch“, das war für ihn undenkbar. Wie sollte das auch gehen? Gab es da einen Motor und ein Mikrophon? Er schüttelte abermals den Kopf. Er ging zurück ins Wohnzimmer, gefolgt von Frau Börne. „Haben Sie eine Erklärung?“, fragte sie jetzt. Pelzer gab ihr keine Antwort.
Er wandte seine Aufmerksamkeit dem Fernseher zu. Ein Nachrichtensprecher berichtete, ein Mann sei in seiner Wohnung zu Tode gekommen, nachdem die Smart Home Technik Türen und Fenster verriegelt und die Gaszufuhr hochgefahren habe. Pelzer glaubte einen Moment, Alexa leise lachen zu hören.
“Geben sie viel Geld für diese ganzen Smart Home Geräte aus?“, fragte er in Richtung seiner Klientin.
„Keinen müden Penny“, antwortete Frau Börne. „Das Zeug hat alles mein Ex-Freund angeschleppt.“
Pelzer wurde hellhörig. „Ex-Freund?“
„Ingo ist so ein Nerd.“ Sie setzte sich wieder auf das Sofa. „Die gleichen Sachen stehen bei ihm zuhause rum. Er meinte, er will den Komfort, den er kennt, auch haben, wenn er bei mir ist … also bei mir war.“
„Wer hat sich getrennt?“
„Ich. Lief aber nicht glatt über die Bühne. Wochenlang hat er mir aufgelauert und mich bedrängt. Hat angerufen, Nachrichten geschrieben. Hat gebettelt und dann gedroht.“
„Haben sie die Polizei eingeschaltet?“
„Ja. Aber es blieb bei einer „Verwarnung“. Ingo hat sich davon nicht beeindrucken lassen. Vor einer Woche habe ich ihn reingelassen, weil ich die Schnauze voll hatte und die Sache endgültig klären wollte.“
„Sie haben ihn überzeugen können, mit dem Stalking aufzuhören?“
„Ja, könnte man so sagen. Ich habe, sobald er die Küche betreten hat, zu einem Messer gegriffen, dutzende Mal auf ihn eingestochen und als ich sicher sein konnte, dass er mich künftig nicht mehr belästigen würde, im Garten hinter dem Haus verscharrt.“
„Verstehe“, sagte Pelzer langsam und fügte nach einer Pause hinzu: „Ich denke, das war das Beste, was sie unter diesen Umständen tun konnten.“ Ihm wurde mulmig zumute.
„Seitdem“, fuhr Frau Börne fort, „spielen diese verfluchten Geräte verrückt. Hat das irgendetwas mit Ingo zu tun?“
„Ja, ganz eindeutig“, bestätigte der Geisterjäger, während er fieberhaft überlegte, wie er aus dieser Situation herauskam. Er überlegte, sich möglichst unauffällig in die Küche zu bewegen und sich zu bewaffnen. Nein, das war der falsche Weg. Er musste das Weite suchen, aber geordnet und professionell im Rahmen seines Jobs. „Manche denken, es handele sich um eine Fehlfunktion, wenn die ganze Geräte ein Eigenleben entwickeln und in viele Fällen stimmt das auch. Aber bei etwa einem Prozent aller Fälle liegt eine Poltergeist-Situation durch eine kurz zuvor eingetretene Beseelung in Folge eines Todefalls vor. Eine glasklare Angelegenheit. Daran gibt es nicht den geringsten Zweifel. Er starb und sein Geist fuhr regelrecht in die Geräte ein, um sein schändliches Tun fortzusetzen.“
„Und was können sie tun?“, fragte Frau Börne hoffnungsvoll. „Ich will das Kapitel abschließen.“
Ich werde ihr keine Rechnung schreiben, war Pelzers nächster Gedanke. Ich werde die Polizei rufen, sobald ich hier raus bin. Dann wird sie verhaftet und wegen Mordes verurteilt. Eine Rechnung macht überhaupt keinen Sinn.
Pelzer handelte instinktiv. „Ich muss ihn exorzieren. Das ist die einzige Möglichkeit. Dazu brauche ich mein Exorzier-Werkzeug. Das ist im Auto. Also ich brauche das Kreuz und das Weihwasser. Ich muss die Geräte besprengen, um das Problem zu lösen. Sind sie gläubig?“
„Nein, nicht mehr“, antwortete Frau Börne.
„Gut, hätte es ja sein können, dass sie ein Kreuz und vielleicht Weihwasser im Haus haben. Dann müsste ich nicht zum Auto. Aber so muss ich jetzt zu meinem Fahrzeug und die Sachen holen.“
„Soll ich ihnen helfen?“
„Nein, nein, nicht notwendig. Ist ja nur ein kleines Kreuz und ein Fläschchen. Ich bringe die Sachen nicht immer gleich mit rein, weil ich erst mal sehen muss, um was für ein paranormales Phänomen es sich handelt. Aber jetzt weiß ich Bescheid und kann handeln. Ich bin in fünf Minuten wieder da.“
Frau Börne nickte müde.
Pelzer ging langsam zur Wohnungstür, öffnete diese und zog sie hinter sich zu. Er ging die Treppen gemächlich herunter, als wäre nichts weiter. An der Haustür angekommen, griff er zum Telefon und zögerte. Sollte er wirklich die Polizei rufen? Konnte er nicht so tun, als ginge ihn die Sache nichts an? Er seufzte. Und er konnte sie nicht allein mit den Geräten lassen. Sie setzte eine Hoffnung in den Geisterjäger Klaus Pelzer, eine Hoffnung, die ihm nur wenige, verzweifelte Menschen zuteilwerden ließen. Er seufzte abermals. Er würde zurückkehren. Mit Weihwasser und Kreuz. Ein bisschen von dem Wasser verteilen, sich mit dem Kreuz in der ausgestreckten Hand einmal um die Achse drehen und dazu ein paar sinnlose Worte murmeln.
Und wenn das nicht klappte? Dann würde er die Stecker von den ganzen verdammten Smart Home Geräten ziehen oder Batterien oder Akkus raus pulen oder was auch immer.
Memo an mich selbst, dachte Pelzer wenig später. Künftig bei Aufträgen nachfragen, ob es Smart Home Geräte im Haushalt gibt und einen technikaffinen Freund. Oder gab. Dann ablehnen oder besser noch auflegen.
Robert Rescue bei CrimeMag. Zu seiner Webseite mit Terminen, Veröffentlichungen etc. geht es hier, einen einschlägigen Beitrag von ihm finden Sie in der Anthologie „Berlin Noir“ und beim Talk Noir im Neuköllner Froschkönig ist er regelmässig unser Stargast.