Auszeit von Justiz-Thriller
Im Mittelpunkt steht das Buch: Noch nie war John Grisham so sehr auf Literaten, Erstausgaben und Autorenlesungen eingestimmt wie in der unterhaltsamen Beach Novel „Camino Island“. Von Peter Münder
Als John Grisham, 63, im letzten Sommer mit „Camino Island“ auf Anhieb den Spitzenplatz der New York Times Bestsellerliste eroberte, gab es dazu auch eine Art „Plot-Alarm“: Denn der Justiz-Thriller Spezialist Grisham hatte sich nach dem 30. Krimi und nach rund 300 Millionen verkauften Exemplaren eine Auszeit gegönnt, die Justiz-Schiene nicht mehr bedient und sich stattdessen auf eine Art literarische Edutainment-Aktion kapriziert, die sich um klassische US-Autoren wie Fitzgerald und Hemingway, rare Manuskripte, Bücher und Lesungen dreht. Gleichzeitig hatte Grisham auch eine über zehn Städte führende Lesereise zwischen Connecticut und Mississippi angekündigt, an der jeweils 200 Gäste teilnehmen konnten – damit war er plötzlich zum prominentesten amerikanischen „Vorleser“ mutiert. Seine letzte Lesereise hatte er vor 25 Jahren gehabt. Den Plot für diesen Literaten-Krimi hatte er sich übrigens während der zehnstündigen Autofahrt zu seinem Sommerhaus nach Florida mit seiner Ehefrau Renee ausgedacht.
Angesichts der düsteren Statistiken, die mal wieder rückläufige Verkaufszahlen für kleine Buchläden, aber auch für große Dealer wie Barnes & Noble (der Quartalsverlust Oktober-Dezember 2017 belief sich auf 63,5 Millionen Dollar) verkünden, ist dies vielleicht eine ganz erfreuliche Nachricht – vorübergehend. Denn die großen Konzerne, die kleine Händler in den Ruin trieben, können ihre Verluste natürlich leicht verschmerzen. Aber als Kampfansage gegen Amazon (Börsenwert 735 Milliarden Dollar) lässt sich diese Lesereise kaum verstehen, auch wenn Grisham in seinen Thrillern immer die Partei des kleinen Mannes gegen Großkonzerne oder gegen Mafia-affine Kanzleien vertrat. Der baptistische Bestseller-Autor, der jahrelang auch demokratischer Abgeordneter war, besaß jedenfalls immer schon einen starken Gerechtigkeitssinn und unterstützt immer noch soziale Projekte in Brasilien. Er hatte Donald Trump auch nach dessen verharmlosendem Geschwätz über ein Massaker an einer Schule scharf kritisiert. Da Grisham jetzt offenbar die immensen Kreditschulden für die Studiengebühren amerikanischer Studierender im nächsten Roman thematisieren will, möchte ich ihm für sein Juristen-Comeback und den nächsten Roman gleich ein weiteres brisantes Thema vorschlagen – nämlich das IMPEACHMENT DES US-PRÄSIDENTEN! Denn die Dumpfbacken-Appeaser bei den Demokraten (auch Bernie Sanders) wollen offenbar nicht wahrhaben, dass es eine erfolgversprechende Strategie für die Amtsenthebung von Donald Trump gibt. Aber Vorteilsnahme und Bestechlichkeit im Amt, Kollaboration mit einer gegnerischen Macht, „High Crime“ und „Misdemeanor“ waren bereits als Impeachment-Tatbestände von den amerikanischen Gründungsvätern in der Verfassung vorgesehen. Dazu hatte auch einer der Gründungsväter, der im Duell von seinem politischen Gegner Aaron Burr erschossene Alexander Hamilton (1755-1804) in seinen substantiellen „Federalist Papers“- Kommentaren 1788 ( Vgl. sein 65. Artikel vom 7.März 1788) ausführlich und mit Verweis auf die Zuständigkeit des Senats Stellung bezogen. Nicht nur Tricky Dick Nixon sollte jedoch als Bezugspunkt für die Diskussion über Impeachment-Verfahren dienen: Schon 1868 leiteten radikale Republiker gegen den 17. US-Präsidenten Andrew Johnson (1808-75) ein Impeachment-Verfahren ein. Aber das dürfte dem Juristen Grisham ohnehin bekannt sein und ist natürlich auch eine ganz andere Geschichte. Die vielleicht auch genügend Thriller-Potential für einen neuen Bestseller enthalten dürfte … Aber tauchen wir erstmal ein in das faszinierende Ambiente von Camino Island.
Dreister Überfall in der Princeton-Bibliothek
Als Spezialist für die Werke von Francis Scott Fitzgerald hatte sich der angebliche Professor Neville Manchin in seinem Brief an den Bibliothekar der Princeton University ausgegeben und angefragt, ob er sich in der Spezial-Abteilung das Manuskript des ersten Fitzgerald -Romans „This Side of Paradise“ von 1920 ansehen dürfte. Grisham entlarvt diesen vermeintlichen Manuskript-Interessenten aber schon in den ersten Zeilen von „Camino Island“ als Betrüger, der mit drei anderen Kriminellen die besonders wertvollen, auf 25 Millionen Dollar geschätzten fünf Roman-Manuskripte des „Roaring Twenties“-Kultautor (1896-1940) aus dem zum Hochsicherheitstrakt ausgebauten unterirdischen Archiv stehlen will. Den mit explosivem Knallfrosch-Budenzauber ausgeführten Raub beschreibt Grisham zwar wie ein blutrünstiges Don Winslow-Drama, doch da ist längst klar, dass es dem Justizthriller-Spezialisten eigentlich nur um seltene Bücher und Manuskripte, um die Wiederbelebung einer verlorenen Lesekultur und nebenher auch noch um biographische Details aus dem Leben des genialen hedonistischen „Great Gatsby“-Autors geht. Der hatte ja vorübergehend in Princeton studiert, wo er sich kaum irgendwelchen ernsthaften Studien, sondern – wie die Hauptfigur des Romans Amory Blaine – hauptsächlich der Kunst einer überhöhten Selbstdarstellung widmete: Als Football-Star und Dichter, als Dandy und Dramatiker wollte er reüssieren, doch seine „Mehr Schein als Sein“-Attitüde wird schnell als Kompensation eines Profilneurotikers durchschaut. Er meldet sich dann freiwillig für den Militärdienst, hat die schnieke Uniform schon auf Hochglanz gebügelt, doch da war der Erste Weltkrieg bereits vorbei.
Das Princeton-Kapitel in „This Side of Paradise“ ist eben auch eine selbstkritische und ironische Initiations-Studie des romantisierenden Egomanen Scott Fitzgerald.
Für den Rare Book-Sammler Grisham war Princetons Firestone-Bibilothek der ideale Schauplatz, weil hier alle fünf Fitzgerald-Romanmanuskripte aufbewahrt werden und er das Fitzgerald-Faszinosum dementsprechend konzentriert bündeln kann. Sowohl Hemingways als auch Faulkners oder Steinbecks Manuskripte sind nämlich schwer einsehbar, weil sie an ganz unterschiedlichen, über die gesamten USA verstreuten Bibliotheken verwahrt werden. Grisham betont außerdem in seinem Nachwort, dass seine detaillierten Angaben zu den Sicherheitsvorkehrungen der Princeton Bibliothek nichts mit den tatsächlichen Gegebenheiten zu tun haben: Er hat sich nie in Princeton umgesehen, weil er keine genauen Beschreibungen liefern wollte, die möglicherweise kriminelle Nachahmer zu einem ähnlichen Diebstahlsdelikt ermuntert hätten.
Die gefeuerte Dozentin Mercer ermittelt
In seinem Roman hat das FBI das mit Hacker-Methoden und gefälschten Ausweisen operierende Verbrecher-Quartett schnell identifiziert, doch wo sind die gestohlenen Manuskripte? Hier kommt nun die junge Dozentin Mercer Mann ins Spiel, die aufgrund „dringender Sparmaßnahmen und struktureller Veränderungen“ ihren Job an der Uni verliert, 70 000 Dollar für ihr Studiengebühren-Darlehen zurückzahlen soll und von einer undurchsichtigen Sicherheitsfirma für ein exorbitantes Honorar angeheuert wird, um den auf Camino Island lebenden Buchhändler Bruce Cable zu beschatten. Cable ist ambitionierter Rare Books-Spezialist und Erstausgabensammler, er veranstaltet populäre Autorenlesungen und käme als Anlaufstelle und Abnehmer für besonders exotische, wertvolle Sammlerstücke in Frage. Mercer hat ihre Kindheit auf Camino Island bei ihrer literatursüchtigen Tante verbracht, und einen vielversprechenden Roman veröffentlicht. Mit diesem idealen literaturaffinen Profil geriet sie ins Visier der Sicherheitsfirma, die in Grauzonen parallel zum FBI operiert und sich bestens in diesem renditeträchtigen Rare Book-Umfeld auskennt. Jedenfalls ist sie die ideale Beobachterin, um zwischen Lesungen und Diskussionen über Erstausgaben von Hemingway und Fitzgerald auf die Spur der gestohlenen Manuskripte zu kommen und mit anregenden Eindrücken ihre hartnäckige Schreibblockade zu überwinden.
Man taucht nach der vollen Budenzauber-Dröhnung während der Überfall-Szenen in der Bibliothek ganz entspannt in diese Literaten-Episoden ein, wird nicht von überdrehten Serienkiller-Exzessen angeödet und – was das Schönste ist – plötzlich hat man wieder Lust, in alten Fitzgerald – und Hemingway-Schwarten wie etwa „This Side of Paradise“, „Tender is the Night“ oder „A moveable Feast“ zu stöbern! Eine lockere Auszeit für den Juristen Grisham bedeutet jedenfalls auch ein faszinierendes Erlebnis für den Leser.
Peter Münder
Lit-Infos:
John Grisham: Camino Island. Hodder & Stoughton, London 2017 (TB) Dt. Ausgabe: Das Original. Übers. Von Christiana Dorn-Ruhl. Heyne 2017, 368 Seiten, 19,99 Euro
Janet Maslin: Plot Twist! John Grisham´s New Thriller is positively Lawyerless. New York Times 31/5/2017
Noah Feldmann/Jacob Weisberg: What are impeachable Offenses? In: New York Review of Books 28/9/2017
Alexander Hamilton/James Madison/John Jay: Die Federalist-Artikel. Übersetzt, herausgegeben, eingeleitet und kommentiert von Angela und Willi Paul Adams. UTB 1788 Paderborn 1994