Geschrieben am 15. November 2018 von für Crimemag, CrimeMag November 2018

Stewart O’Nan: Stadt der Geheimnisse

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Von Karsten Herrmann

Stewart O’Nan orientiert sich in seinen zahlreichen Romanen gerne an historischen Stoffen und widmete sich so zuletzt in „Westlich des Sunset“ in einer Art Doku-Fiction dem Absturz des berühmten F.S. Fitzgerald. Mit „Stadt der Geheimnisse“ legt er nun einen existentiellen Geschichts- und Kriminalroman aus den Anfängen des Staates Israel vor.

Mit wenigen Federstrichen baut O’Nan gleich zu Beginn des Romans eine dichte Atmosphäre auf und entführt den Leser in das Jerusalem des Jahres 1947: „Die Stadt war ein aus Symbolen zusammengesetztes Puzzle, ein Durcheinander von Alt und Neu“. Hier arbeitet Brand, der sich Jossi nennt, als Taxifahrer. Seine gesamte lettisch-jüdische Familie ist von den Nazis ermordet worden und er emigrierte nach Palästina, wo er Mitglied der zionistischen Untergrundbewegung Hagana wird: „Seine Papiere waren gefälscht, wie auch der Fahrzeugschein des Peugeots, der Wagen selbst in Tel Aviv gestohlen.“

Jossis Kontaktfrau und Geliebte ist die alternde jüdische Prostituierte Eva und sporadisch wird er zu konspirativen Zusammenkünften  und als Fahrer zu Einsätzen gegen die englische Mandatsregierung abgerufen – hier ein Bombenanschlag auf ein Umspannwerk, da ein Zugüberfall. Doch hinter den Kulissen wird ein weitaus spektakuläreres Attentat vorbereitet und die Paranoia vor Verrat und Entdeckung erfasst das für Jossi unsichtbare Netzwerk der Widerstandsbewegung. Als sein Mitstreiter Lipschitz, der ihn um Hilfe bat,  von seinen eigenen Leuten exekutiert wird, beginnt Jossi zu zweifeln.

Jossi „war kein Held, kein Romeo, nur ein Narr, vom Engel des Vergessens noch unberührt.“ Im Lager der Nazis hatte er gelernt, tatenlos zuzusehen, um zu überleben – so auch als sein Freund Koppelmann vor seinen Augen brutal ermordet wurde. Dies hatte ihm das Leben gerettet, aber nun droht ihn tagtäglich das mit Schuld und Verlust prall gefüllte „offene Grab der Vergangenheit“ zu verschlingen.

In seinem konzentrierten und atmosphärisch dichten Roman umkreist Stewart O’Nan die existentielle Frage von Schuld und Vergessen und zeigt zugleich das unauflösbare moralische Dilemma eines gewalttätigen Kampfes für die Gerechtigkeit, Freiheit oder auch einen eigenen Staat auf. Und so fragt Jossi sich zum Schluss:  „Wie konnte man töten und sich immer noch gerecht nennen?“

Karsten Herrmann

Stewart O’Nan: Stadt der Geheimnisse. Aus dem Englischen von Thomas Gunkel. Rowohlt Verlag, Reinbek 2018. 224 Seiten, 20 Euro.

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