Geschrieben am 14. April 2018 von für Crimemag, CrimeMag April 2018

Über Christopher G. Moore: Springer

moore springer 41NUUgQ2uXLDein Freund, der Schmerz?

Mord oder Selbstmord? Das soll Vincent Calvino,  PI  in Bangkok, herausfinden, als er zur Leiche des kanadischen  Malers Raphael gerufen wird:  Der hatte  im Redlight-District attraktive Massage-Girls porträtiert, die er auch gerne flachlegte. Vertrackt nur, dass der Künstler sich schon lange mit Selbstmordgedanken trug, auf seiner Website  seine Gedanken über Leben und Tod, Schmerz und Kunst  verbreitete und obendrein noch als Berater einer Suizid-Hotline aktiv war. Der in Bangkok lebende Christopher Moore zeigt in seinem  jetzt auf Deutsch erschienenen Krimi „Springer“ (Originaltitel „Jumpers“, 2016) einen ziemlich ratlosen Calvino, der lange im diffusen Rotlicht-Nebel herumstochern muß. – Von Peter Münder.

Trauer muß Calvino tragen: Über drei Tage ziehen sich die nach thailändischem Ritus von Mönchen durchgeführten Trauerfeierlichkeiten für den  26jährigen  kanadischen Künstler Raphael Pascal hin.  Privatdetektiv  Vincent Calvino beobachtet  aufmerksam die vielen attraktiven Massage-Girls, die  tränenüberströmt  den Exitus ihres hedonistischen Freundes beklagen, der für eine schnelle Nummer immer zu haben war und weder Alkohol noch Drogen abgeneigt war: „Jedes dieser Mädchen hätte für ihn den Mond vom Himmel geholt“, meint ein  Bekannter des Verstorbenen.  Raphael hatte sie  in bizarren Aktbildern verewigt, sie immer gut behandelt und bezahlt; er war so stark an ihren eher düsteren Biographien interessiert, dass er auf den Rückseiten der Gemälde Platz für ihre Notizen und Kurzbiographien ließ.

moore 11281489Nun hockt Calvino neben seinem Freund Pratt, dem Polizei-Oberst und Shakespeare-Kenner, neben all den Farangs von der  Selbstmord-Hotline  und grübelt über die dubiosen Hintergründe dieses Falles.  Er hatte den vermissten  Raphael ja  vor einiger Zeit aufgespürt, nachdem der für ein Jahr untergetaucht war, außerdem hatte Raphael ihn auch auf zwei Bildern porträtiert – auf einem sah Calvino aus, als wäre er  gerade durch den Fleischwolf gedreht worden. Was wohl durch seine aggressiven Kickbox-Aktivitäten inspiriert war.  Aber warum wurde er erst so spät nach Raphaels Tod in dessen Atelier gerufen? Welche Rolle spielte das neben dem Toten hockende Massage-Girl Tuk? Und woher stammte das tödliche  Pentobarbital-Betäubungsmittel, das der Maler offenbar zusammen mit Whisky trank oder das ihm jemand  eingeflößt hatte? Da Raphael enthusiastischer Kickboxer war, ermittelt Calvino auch in diesem Milieu, in dem nicht nur hart ausgeteilt wird: Der Maler war davon überzeugt, dass Kunst und Schmerz eine kreative Symbiose eingehen können – jedenfalls entwickelt er auf seiner Homepage eine Philosophie, die auf die inspirierenden Aspekte  einer zusammengeschlagenen Visage abzielt. „Der Schmerz hilft mir, mich zu konzentrieren, der Schmerz ist dein Freund, behandle ihn nicht wie einen Feind“.

Mühelos erklimmt Raphael mit seinen im Web verkündeten  Sentenzen über Malen und Boxen eine Meta-Ebene, die jedes philosophische Oberseminar bereichern würde – aber warum hat der Maler seinen im Netz veröffentlichten Abschiedsbrief in 72 ziemlich aufgeblasenen Versionen mit diversen Updates präsentiert? Kann Calvino die dort  abgesonderten Überlegungen  über die Technik von Malen und Boxen noch ernst nehmen? Ist das nicht alles heiße, bedeutungsschwangere  Luft? „Die Fähigkeiten und Kenntnisse, die nötig sind, um sich selbst zu töten, erfordern Zeit, Planung … und nicht ein leeres Klischee wie „Ich habe das Leben satt“. Nicht der Schmerz ist das Problem. Es ist die Bedeutungslosigkeit des Leidens“. Diese Litanei war Raphaels Manifest und er hatte sie auch in seinem ellenlangen Abschiedsbrief festgehalten.

Bei seinen Gesprächen mit den Beratern  der Selbstmord-Hotline erfährt Calvino, dass Raphael mit den Suizidgedanken offenbar nur  kokettierte oder bluffte. So bleibt die Frage „Mord oder Selbstmord“ für  den Ermittler  also wieder offen. 

moore dtsch 3293205461moore dtsch 3293206204Neben dem Sarg lässig die Suppe schlürfen

Dies ist der 16. Calvino-Krimi, der fünfte in jüngerer Zeit, der ins Deutsche (flott und flüssig von Peter Friedrich) übersetzt ist. „Der Untreue Index“, „Stunde Null in Phnom Penh“, „Nana Plaza“ und „Haus der Geister“ erschienen im Unionsverlag. Aber nach den elektrisierenden, nach Rangun oder auch Phnom Penh führenden Bänden („Zero Hour in Phnom Penh“, „Missing in Rangoon“), nach dem furiosen „Paying Back Jack“ oder dem „Corruptionist“ und „Nine Gold Bullets“ hat sich  Christopher Moore hier zu sehr auf die spekulative  Meta-Schiene kapriziert. Die vielen Red Herrings, die er hier präsentiert, sind auf  Redundanz-Schleifen aufgezogen, die ihre Schmerz/Kunst-Message mantramäßig runternudelnd vermitteln und die Suche nach einem Kriminalfall, nach skrupellosen Plutokraten, Drogendealern oder Kunstfälschern eher in den Hintergrund drängen.

Der Bangkok-Experte Moore recherchiert ja am liebsten in der Umgebung vom Soi Cowboy, wo die Garküchen neben Table-Dance-Buden und Kneipen brodeln und in der Nähe auch das brünett aufgebrezelte Queen Victoria Pub mit den Flachbildschirmen für Übertragungen von  Premier League-Spielen für ein majestätisches Ambiente sorgt. In der Nähe ist auch das  Pseudo-Montmartre-Viertel am Soi 33, in dem Clubs nach Degas oder Renoir benannt sind und Moore vielleicht auch die Idee für diesen Kunstkrimi aufgeschnappt hat. Der hier zwischen unterschiedlichen Kultur-und Kampfzonen operierende Calvino  hat über dem Massage-Salon „One Hand Clapping“ sein Büro. Er versteht sich selbst ja auch als Kultur-Detektiv und erkennt etwa in „Springer“, dass man die Total-Integration der  in Thailand lebenden Farangs eben auch daran erkennt, dass sie genauso lässig neben einem Sarg ihre Suppe schlürfen können wie die Einheimischen.

Diese typischen Calvino-Einsichten bleiben nach wie vor die großen Stärken des Autors Moore. Aber die Spürnase Calvino war  früher gieriger, bissiger und als Jagdhund schärfer abgerichtet – diesmal lässt er sich zu sehr in diffuse Ablenkungsmanöver hineinmanövrieren und mit pseudo-metaphysischen Phrasen über  krypto-synergetische  Schmerzkunst-Effekte einnebeln.

moore 26400245Peter Münder

Christopher G. Moore: Springer (Jumpers, 2016). Aus dem Englischen von Peter Friedrich.
Jumpers, bei Siam Krimi, Bangkok 2016. Internet: www.heavenlakepress.com

Vgl. auch: Vincent Calvinos´s World: A Noir Guide to Southeast Asia by Chad Evans , Heaven Lake Press 2015.
Die Internetseite von Vincent Calvino und die von Christopher G. Moore.

„Bloody Questions“ von Marcus Müntefering mit Christopher G. Moore in dieser CrimeMag-Ausgabe.

CrimeMag-Südostasien-Korrespondent Christopher G. Moore beim Unionsverlag. Auf auf CrimeMag.

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