Geschrieben am 14. Dezember 2013 von für Crimemag, Kolumnen und Themen

Ulrich Noller im Gespräch mit Frank Göhre

frank_goehre„Ich blicke nicht gern zurück“

Frank Göhre wird Siebzig. Ein Gespräch über Wurzeln, Quellen, Inspirationen, Techniken, Pläne und Projekte. Außerdem erstmals und exklusiv: Wie ganz am Anfang nur dank des Einsatzes einer halben Flasche Whiskey knapp verhindert werden konnte, dass Frank Göhre, der Vertreter des urbanen Noirs in Deutschland, mit seinen Geschichten in der Lüneburger Heide landete. Von Ulrich Noller

Ulrich Noller: Allem Anfang wohnt ein Ende inne. Deshalb, als erste Frage zum Siebzigsten: Gibt’s etwas, das für Dich als Autor überhaupt nicht mehr in Frage kommt? Was ist Deine no-go-area?
Frank Göhre: Ich habe vor einigen Jahren geschrieben, dass ich keine Drehbücher mehr schreiben werde. Also nicht mehr fürs Fernsehen oder für Filmproduktionen arbeiten würde, obwohl diese Arbeit mir bis dato gutes Geld gebracht hat. Geld, mit dem ich die Arbeit an meinen Romanen finanziert habe. Ich fand´s auch lange Zeit interessant und spannend, für diese Medien zu schreiben, aber dann kamen neue Leute, primär so genannte Producerinnen und Producer als Ansprechpartner anstelle von Redakteuren, und da habe ich mir viel dummes Geschwätz anhören müssen. Wenig Inhaltliches, mehr solche Vorschläge wie „wir müssen aus der Figur noch mehr Honig saugen“ und andere Albernheiten mehr. Das war mir dann letztlich zu blöd und seitdem ist für mich damit Schluss. Mach ich nicht mehr. Ich leb seitdem auch besser.

Obwohl sich die Verlagsszene ja nun auch nicht unbedingt bloß zum positiven entwickelt hat, oder?
Klar, was für die Sender die Quote ist, ist für die Verlage die hohe Auflage und die entsprechende Verkaufe eines Titels. Muss also massenkompatibel sein und dabei gibt’s natürlich inhaltlich und auch stilistisch einiges zu beachten – also bitte nichts, was den Leser „überfordern“ könnte. Aber das ist nur ein Teil. Insgesamt ist die Verlagsszene weitaus vielfältiger als die Programme der Sender. Es gibt eine Menge kleinere engagierte Verlage, die wirklich großartige Bücher herausbringen, Entdeckungen machen und auch einen Autor kontinuierlich und langfristig veröffentlichen.

Gibt’s was, was Du auf jeden Fall, was Du unbedingt noch erledigen möchtest, bevor Du irgendwann über den Ruhestand nachdenkst?
Noch viel reisen und über meine Reiseerlebnisse schreiben. Keine Romane sondern so assoziative Texte: Gesehenes, Erlebtes und auch Gelesenes als Mix. Und vielleicht noch eine größere literarische Collage über die bundesdeutsche Alternativ- und Underground-Literatur der Sechziger und Siebziger Jahre.

Denkst Du denn manchmal über den Ruhestand nach? Oder wirst Du schreiben, bis Du irgendwann umfällst?
Nee, Ruhestand in dem Sinn gar nichts mehr zu schreiben ist für mich unvorstellbar. Ich glaub, dann würde ich tot umfallen.

abwärtsGibt es bei Frank Göhre so was wie einen typischen Schreib-Tag? Dein Schreiben – wie darf man sich das vorstellen?
Also, ich sitze in der Regel zwischen 8 und 8.30 Uhr morgens am Schreibtisch und schreibe bis ca. 13 Uhr – Reportagen, Lebensbilder, Stories und sicher auch noch mal wieder einen Roman. Dann mache ich eine Pause, erledige Korrespondenz, telefoniere etc., esse eine Kleinigkeit. Und danach gehe ich an drei Tagen ins Gym an die Geräte, und an den anderen Nachmittagen lese und recherchiere ich. Abends und am Wochenende bin ich meist unterwegs, treff mich mit Freunden, geh ins Kino oder zu Rockkonzerten.

Nur mal so nebenbei: Das Alter, ist es dem Krimischreiben eher zu- oder eher abträglich?
Keine Ahnung. Ich stelle nur fest, dass ich prinzipiell anders an Texten arbeite.

Das heißt? Inwiefern anders?
Ohne Druck zu haben, Abgabetermine und so. In bin in der sicherlich privilegierten Situation, nicht ausschließlich vom Schreiben leben zu müssen. Kann mir Zeit lassen. Das ist aber keine Frage des Alters, sondern ist Ergebnis dessen, was ich mir bis dato erarbeitet habe.

Ähm, aber jetzt mal von vorne – wieso eigentlich Krimi?
Ja, wieso eigentlich? Ich habe in meinem Verständnis immer nur Zeit-Romane geschrieben, Romane über die jeweilige Zeit, und da kommt Kriminalität zwangsläufig vor.

Ist das eine spezifisch deutsche Kriminalliteratur, die Du verfasst? Oder verortest Du Dein Schreiben eher in einem internationalen Bezug?
Also ich seh schon, dass in Europa und vor allem in den USA eine Menge Autoren einen vergleichbaren Ansatz haben. Nämlich mit einem klaren und genauen Blick auf die Wirklichkeit schreiben und dazu auch eine Haltung haben. Kurz: da sehe ich mich.

Haltung – das heißt?
Die Welt so zu sehen wie sie ist, sich aber nicht mit all den Ungerechtigkeiten und Übeln abzufinden – auch nicht, wenn es mitunter aussichtslos erscheint, dagegen anzugehen. Da halte ich mir dann immer das frühe Enzensberger Gedicht vor: Anweisung an Sisyphos. “Was du tust ist aussichtslos. Gut: du hast es begriffen, gib es zu, aber finde dich nicht damit ab … lab dich an deiner Ohnmacht nicht, sondern vermehre um einen Zentner den Zorn in der Welt …“

Für alle, die´s nicht wissen: Was ist in Deiner Lesart ein Noir?
Ein realistischer Roman über die Schattenseiten der Gesellschaft und die dunklen Seiten der Psyche.

Darf ein solcher Roman auch lustig sein?
Wenn´s nicht gerade der Karneval- oder Stammtischhumor ist: Natürlich. Obwohl ich mehr auf „beißenden Witz“ oder Absurdes stehe, wie bei Chester Himes oder Charles Willeford.

Dein Noir, ist er eher amerikanisch inspiriert oder eher französisch?
Von amerikanischen Romanautoren inspiriert (von Woolrich, Jim Thompson bis zum frühen Ellroy und Pete Dexter) und von französischen Regisseuren (Melville, aber auch Chabrol). Aber davon mal ab: Ansonsten hoffnungslos Deutsch.

Okay, da wüsste ich gerne Mehr und Genaueres. Wieso „hoffnungslos Deutsch“?
Na ja, ich schleppe halt die deutsche Kultur mit mir rum, als gelernter Buchhändler noch mal mehr. Was ich gelesen habe – von der Klassik bis zur Moderne – zeigt sich halt immer wieder beim eigenen Schreiben, ist dann urplötzlich da. Ich habe zum Beispiel in dem Nachfolgeband meiner „Kiez-Trilogie“, „Zappas letzter Hit“, ein Kapitel geschrieben, zu dem ein Kritiker dann angemerkt hat, es sei wie das Schlachthof-Kapitel in Döblins „Berlin Alexanderplatz“. Das war mir beim Schreiben nicht bewusst. Trat dabei aber offenbar zu Tage. Also das meine ich mit „hoffnungslos Deutsch“. Ich bin Teil dieser Kultur, darin gefangen. Selbst, wenn ich Einflüsse von anderen Kulturen aufnehme, das „Deutsche“ dominiert.

die ratteNoch mal Dein Noir: Ist er eher filmisch erzählt oder eher literarisch?
Na ja, schon literarisch, aber unter Anwendung filmischer Techniken, wie Schnitt, Totale, Halbtotale, Über- und Rückblende.

Deine Buch gewordenen Genrestücke – sind sie eigentlich eher Filme oder eher Romane?
Sagen wir Romane, die wie Filme ablaufen.

Was kann ein Film, was ein Roman nicht kann – und umgekehrt?
Der Roman kann immer mehr leisten, hat mehr Raum, mehr Verästelungen, Nebenschauplätze. Ein Film hat 105 oder auch 150 Minuten Zeit, eine Geschichte zu erzählen. Das kann sehr, sehr positiv genutzt werden, aber der Roman ist meinem Empfinden nach doch dichter und berührt mich persönlich einfach mehr.

Und das Fernsehen?
Das öffentlich-rechtliche hatte mal eine große Zeit, war informativ, innovativ und unterhaltsam. Das ist Geschichte. Jetzt nehme ich es nur noch als alt und debil wahr, und die Privaten sind total gaga. Beides produziert bei mir – noch mal Sisyphos – Zorn, großen Zorn.

Könnte man also sagen: Als Romanautor hat man, gegenüber dem Drehbuchautor, viel mehr Freiheit?
Ganz klar: Ja. Also ich hab mehr Freiheit und Gott sei Dank auch einen Verleger, der mir die Freiheit und vor allem auch die Zeit lässt, die ich brauche. In Klammern: Ich schreibe mitunter nur 1 Seite pro Tag.

15000 Euro Garantiehonorar, Auftrag: Ein Genrestück. Was würdest Du schreiben: Einen Roman oder ein Drehbuch?
Auf jeden Fall einen Roman. Wäre aber für mich mit der Vorgabe „Genrestück“ schwer verdientes Geld.

Wieso das?
Weil ich Genre verstehe als was Spezifisches, als „Thriller“, „Psycho“ oder auch „Abenteuer-„ und „Liebesroman“. So ´ne Festlegung eben.

Okay, dann nenn´ uns doch mal ein paar Assoziationen zu einigen Stichworten. Zum Beispiel: Montage?
Überraschung. Ungewohnte Sichtweisen.

Dialoge?
Aktion, vorantreibend.

Spannung?
Überraschende Wendungen.

Figuren?
Außenseiter.

Bilder?
Alltagsmomente. Beobachtungen.
Das Paar am Tresen. Der Afrikaner in der U-Bahn.
Situationen auf dem Wochenmarkt.
Der DJ hinter seinem Pult.
Ach, alles was so passiert.
Ich fotografiere viel und lasse mich beim Schreiben von den Bildern anregen.

Gesellschaft?
Na ja, logischerweise die, in der ich lebe. Eitel und klatschsüchtig die einen, saufend und verzweifelt die anderen. Und ´ne Menge Politclowns.

Handlungsorte?
Die Straße, „das Milieu“. Bars und Bordelle.

Der Ort, mit dem man Deine Geschichte verbindet wie mit keinem zweiten, ist der Hamburger Stadtteil St. Pauli. Welche Bedeutung hat dieser Stadtteil für Dich und Dein Werk?
 Der Kiez war sehr, sehr wichtig für mich. Ich habe da die unterschiedlichsten Typen kennen gelernt, einige auch schätzen gelernt. Kneipiers, Tresenfrauen, Schluckspechte und Welterklärer, Prostituierte und Transvestiten, Zuhälter und und und. Sind inzwischen fast alle „aus dem Geschäft“, alt geworden und etliche sind auch schon tot. Die Zeit mit ihnen aber hat mich geprägt.

Inwiefern geprägt?
Na ja, mich den Realitäten zu stellen und mich behaupten zu können. Erst einmal in ihrer Welt – also am Rand der Gesellschaft, und dann auch grundsätzlich in meinem Alltag. Nach dem Motto, sich klar und unmissverständlich zu vermitteln.

St. Pauli hat sich seit Deinen Anfängen in vielerlei Hinsicht drastisch verändert. Ist der Stadtteil trotzdem immer noch Dein“ St. Pauli?
Ganz klar: NEIN. Ist heute nur noch Partymeile.

Ist ein guter Kriminalroman Deiner Ansicht nach eigentlich ein politischer Kriminalroman?
Ja, das sollte er sein. Politisch aber nicht als Programmatik, sondern als Engagement.

Engagement für – oder immer nur Engagement gegen?
Beides. Jetzt mal ganz prosaisch: Für die Schwachen und  gegen die ihre Macht missbrauchenden.

Früher gab´s den typisch deutschen“ Soziokrimi, und viele dieser Geschichten erschienen wie Deine in der berühmten Reihe rororo-Thriller. Wie viel Sozio findet, fand sich denn in Deinen Genreromanen?
Ich hoffe, wenig bis gar nichts. Aber dazu müsste ich alles noch mal sehr genau lesen, und ich blicke nicht gern zurück.

Warum nicht? Da gibt´s doch so einiges, auf das man mit ein wenig Wohlgefallen blicken könnte …
Sicher, aber es ist immer nur Ausdruck der jeweiligen Situation, ist möglicherweise richtig und gut, bringt mich aber nur bedingt weiter. Ich such nach neuen Formen des Ausdrucks.

st.paulinachtBy the way: Im Licht der größer werdenden Entfernung gesehen – wie stehst Du heute eigentlich zum Abschied von Rowohlt?
Man hat ja mich verabschiedet, wollte „Zappas letzter Hit“ nicht – zu schwierig, passt nicht ins Programm und so. Damit hätte ich leben können, aber es war in einer dumm-dreisten Art und Weise geäußert und in völliger Unkenntnis, dass ich einen unbefristeten Generalvertrag und zudem auch noch einen Vertrag für diesen Roman hatte. Da kam viel zusammen, und ich hör mir ja auch viel an. Aber dann kommt der Punkt, wo ich von einem Tag auf den anderen Schluss damit mache. Da hab ich entschieden, die Ära Rowohlt ist für mich in Bezug auf Print beendet, ich kehre zurück zu meinen Anfängen bei einem Kleinverlag. Das habe ich nie bedauert. Im Gegenteil.

Heute gibt’s in Deutschland ein paar sehr gute Autoren und Massen von Regio-Krimis. Beides geht zwar mitunter, aber insgesamt nicht sehr oft zusammen. Wie stehst Du denn zum Regio im Krimi?
Wer Regio oder Region ausweist, denkt provinziell. Und provinziell ist für mich spießig. Eine dumpfe Denke.

Aber die Verortung ist schon wichtig, oder? Welche Rolle spielt sie für Dein Schreiben?
Meine Romane und Geschichten spielen da, wo ich lebe bzw. wo ich unterwegs bin. Aber nicht als so eine Art Reise- oder Fremdenführer durch die Stadt. Mein Interesse ist es nicht, touristische Neugier zu erwecken. Der Ort spielt bei mir eine untergeordnete Rolle, im Vordergrund stehen die Personen und ihre Geschichte.

Wann und wie bist Du überhaupt zum Krimi gekommen?
Spät, und letztlich über die Glauser-Lektüre.

Wie das?
Ich wollte ernsthaft so was ähnliches wie die Studer-Romane schreiben. Kriminalfälle auf dem Land, in meinem Fall, in der Lüneburger Heide.
Als ich mit der Idee zu dem damaligen Rowohlt-Lektor Flesch kam, hat er mit mir eine halbe Flasche Whisky geleert und gesagt: Junger Mann, Sie leben jetzt hier in Hamburg. Schauen Sie sich in der Stadt um und schreiben darüber. Und die Lüneburger Heide vergessen Sie mal schnell wieder. Die Art von Provinz interessiert mich nicht. Also hab ich mit den Kiez-Romanen angefangen.

Apropos: Was hat Dich mehr fasziniert an Glauser – seine Werke oder sein Leben?
Primär sein Leben. Sein Leben als Junkie, als verzweifelter, als tragischer Mensch. Das hat mich stark berührt. Ich konnte viel davon nachempfinden. Aber das ist eine andere, sehr persönliche Geschichte.

Was kann man, was können jüngere Autoren von Glauser lernen?
Aufrichtig zu sein, leidensfähig zu sein und dennoch aufbegehren zu können.

Welche Autoren-Vorbilder kann man wie in Deinem Schreiben wiederfinden?
Also mehr Journalisten, die Vertreter des New Journalism, Tom Wolfe, Truman Capote, Hunter S. Thompson, Ed Sanders. Hemingway, und viel, sehr viel Hubert Fichte. Ach ja, und wie nachgewiesen auch Döblin.

Liefert ein guter Krimi eigentlich realistische Literatur?
Ganz klar: JA!

Welche Rolle spielt welche Art von Realismus für Dein Schreiben?
Na ja, schon wie man so sagt: Die ungeschminkte Wirklichkeit, inklusive all dem Schmutz und Dreck.

Die ungeschminkte Wirklichkeit – lässt sie unter Umständen auch mal ein Happy End zu? Oder muss ein Noir notwendigerweise böse ausgehen?
Er muss nicht total böse ausgehen, aber ein eventuelles Happy End zumindest als trügerisch erscheinen lassen. Wie bei „Alien 1“ – zum Schluss schreit die Katze, der Horror geht weiter.

Allem Ende wohnt ein Anfang inne. Deshalb zuletzt: Was sind Deine Pläne für´s achte Lebensjahrzehnt? Welche Geschichten dürfen wir von Frank Göhre in den nächsten Jahren erwarten?
Also zum einen die schon erwähnten Reisereportagen, und wenn ich´s nach einem ersten misslungenem Ansatz doch noch mal schaffe: Ein Roman über zwei Knackis, die dem spurlos verschwundenen Sohn des Einen nachforschen, verbunden mit einer politischen Intrige.

Vielen Dank für das Gespräch.

Zu den CULTurMAG-Beiträgen von Frank Göhre.
Zur Homepage von Frank Göhre.

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