PR-Stunts, die vermutlich aus dem Ruder gelaufen sind, hat es schon immer gegeben – die Älteren unter uns erinnern sich vielleicht noch an den mehr als seltsamen Tod des US-amerikanischen Autors Eugene Izzi. Wie auch immer – der Umgang mit der Öffentlichkeit ist ein sensibles Feld und verlangt, vor allem wenn leichte Funktionalisierbarkeiten im Spiel sind, ein gerüttelt Maß an Verantwortlichkeit. Ein paar Überlegungen von Zoë Beck.
Hauptsache, der Name ist richtig geschrieben
– Ich weiß gar nicht, wie viele Kolleginnen und Kollegen mich mittlerweile schon gefragt haben, ob ich nicht auch Angst hätte, dass mir etwas Ähnliches passiert wie Astrid Korten, die nach eigenen Angaben am Rande der Leipziger Buchmesse von zwei jungen Männern überfallen wurde, weil sie in ihrem aktuellen Buch etwas über Ehrenmorde schreibt. (Ich sage „nach eigenen Angaben“, weil ich nicht dabei war.) Bei mir geht es um zwei IS-Attentäter, und nein, ich habe keine Angst vor islamistischen Angriffen. Ich habe vor ganz anderen Dingen Angst. Zum Beispiel davor, dass der BND nicht auf dem Schirm hat, was ich von Beruf bin, und mir aufgrund meiner Internetrecherchen irgendwann die Tür eintreten lässt. Oder davor, dass meine Position grob missverstanden wird und die falschen Leute die falschen Schlüsse zu ziehen versuchen. Kann alles passieren. Eine böswillige Anschuldigung ist auch schon eingegangen, aber da ist mir der Urheber bekannt, und er will nur mich ärgern, mit relativ wenig Öffentlichkeit. Ich glaube nicht, dass ich mich da verhalten muss, weil a. die Anschuldigungen lächerlich sind und b. ich es mit dem Motto „Don’t feed the troll“ halte. Manchmal muss man mich dran erinnern, an dieses Motto, aber meistens bekomme ich es hin.
Was mich allerdings wirklich wütend machen würde: wenn mich die rechte Presse willentlich missverstehen und instrumentalisieren wollte. Wenn jetzt beispielsweise die Junge Freiheit, wie im Fall von Frau Korten, an ihrem Beispiel zeigt, was wir in Deutschland doch für eine Plage mit diesen Ausländern haben, muss man sich verhalten.
Ich möchte ein wenig ausholen, damit mein Problem deutlich wird. Grundsätzlich sehe ich uns alle, die wir Geschichten schreiben, in einer großen Verantwortung, weil wir Weltbilder entwerfen. Konservative oder liberale oder alternative oder oder. Wir entscheiden, ob das Pflegepersonal im Krankenhaus weiblich oder männlich ist. Ob die Nachbarn hetero- oder homosexuell sind. Ob ein Mann oder eine Frau ohnmächtig wird. Ob die Uniprofessorin schwarz oder weiß ist. Ob der Verbrecher Ahmet oder Martin heißt. Ob wir diese Dinge kommentieren und herausstellen, oder ob wir sie selbstverständlich einfließen lassen. Mit allen diesen Entscheidungen zeigen wir denen, die unsere Texte lesen, wie unsere Welt aussieht. Wir erzählen etwas über uns. Wir beteiligen uns auch daran, die Sichtweise anderer zu prägen.
Wir haben anschließend die Verantwortung zu schauen, was mit unseren Stoffen, unseren Geschichten passiert. Wenn sie in die falschen Hände geraten und missbraucht werden, müssen wir uns dagegen wehren. Jede PR ist gute PR, Hauptsache, der Name ist richtig geschrieben? Nein. Wenn die braune Suppe hochkocht und irgendwelche Pegidas oder NPD-nahen Publikationen unsere Geschichten feiern, sollten wir uns dazu verhalten. Deutlich und klar und ohne Missverständnisse. Tun wir es nicht, sieht es so aus, als wären wir damit einverstanden. Mehr noch: Dann tragen wir dazu bei, dass sich gewisse Vorurteile verfestigen, dass ein Klima der Angst entsteht.
Ich war letztens in der Jugendstrafanstalt Berlin. Die Jungs, die ich gesehen habe, hatten alle Migrationshintergrund bzw. besaßen teilweise keine deutsche Staatsbürgerschaft. Und sie hatten alle dasselbe Gefühl: dass sie nie irgendwo dazugehörten, nie eine Zukunft hatten, immer schon diskriminiert wurden. Um als Jugendlicher ins Gefängnis zu kommen, muss man sich schon arg anstrengen. Die Gerichte neigen eher dazu, gerade bei Ersttätern sanfte Strafen zu vergeben.
Ein Richter sagte: „Wenn die erst mal in den Knast kommen, ist es vorbei.“ Für die, die ich dort kurz kennengelernt habe, war es wahrscheinlich vorher schon längst vorbei. Sie haben ihre Lehrer verprügelt oder schwere Diebstähle zu verantworten, sie sitzen ein wegen Drogendeals und Gewalttaten. Sie sind vielleicht siebzehn, achtzehn Jahre alt und haben keine Zukunft. Einer der Sozialarbeiter sagte: „Die sind irgendwann in der 7. Klasse aus der Bahn geflogen, seitdem ist es vorbei.“ Die Jungs sagen, dass sie nie eine Chance hatten. Möglich, dass sie nur jammern wollen, aber sie haben recht. Ihnen hat niemand gezeigt, wie man mit Niederlagen umgeht, wie man diszipliniert lernt, welchen Nutzen Bildung hat, auch nicht, wie man sich in der Ausländerbehörde richtig verhält, was man tun soll, wenn man ständig rumgeschubst wird.
Das alles entschuldigt nicht, was diese jungen Menschen getan haben. Es zeigt lediglich, dass ein freundliches Klima einiges hätte verhindern können, und es zeigt auch, was die Vorverurteilung aufgrund des familiären/religiösen/ethnischen Hintergrunds nach sich ziehen kann.
Wenn zwei junge Männer, die Frau Korten als Ausländer muslimischen Glaubens identifizierte, gewalttätig werden, dann waren es diese beiden jungen Männer, und es sollte doch dafür gesorgt werden, dass es eben nicht zu einer Pauschalisierung kommt.
Ich zitiere zum Thema Gewalt und Islam: „Nach den Terroranschlägen am 7. Juli 2005 in London erklärte der dortige Rat der Sunniten („Jama’at e Ahl e Sunnat“), jegliche Form von Anschlägen sei nicht mit dem Islam vereinbar. Um die Bedeutung der Aussage zu unterstreichen, wählte der Sunnitenrat die Form der Fatwa.“ Das mit der Unvereinbarkeit von Anschlägen und dem Islam sehen nun einige wiederum ganz anders. Es sind und denken eben nicht alle gleich, obwohl sie dieselbe Religion, dieselbe Staatsangehörigkeit, dieselbe Hautfarbe haben.
Nicht jede PR ist gute PR, schon gar nicht, wenn sie dazu beiträgt, Ablehnung und Hass zu schüren.
Zoë Beck
Zoë Beck ist Autorin (hier geht es zu ihrem Blog und zu ihrer Homepage hier) und Verlegerin des Digitalverlags CulturBooks (mehr hier). Porträtfoto: © Victoria Tomaschko. Fotos: © Zoë Beck.