„Was soll ich denn mal schreiben?“
Als ich noch in Sachen Fernsehfilm unterwegs war, kam es mir so vor, als bestünde die Welt ausschließlich aus noch unentdeckten Drehbuchautoren. Selbst der unauffällige Geschäftsreisende im Flieger zwischen München und Hamburg zog ein Manuskript aus der Aktentasche, kaum dass er heraushatte, was ich beruflich so mache. Die Zahl der unverlangt eingesandten Drehbücher rechtfertigte eine Horde an PraktikantInnen, die schon mal vorsortierten, und natürlich war unsere Abteilung höchst unbeliebt bei der Poststelle im Haus. Seit ich Bücher schreibe, werde ich das Gefühl nicht los, dass jeder Mensch, den ich treffe, einen fertigen Roman auf der Festplatte hat. Was eigentlich auch nur zeigt: Mensch erzählt gern Geschichten. Und da wir Menschen uns nicht mehr so oft am Lagerfeuer versammeln, schreiben wir die Geschichten eben auf.
„Schreiben war ja noch nie so einfach“, sagte letztens jemand (Dr. Müller-Böhne, einer meiner Nachbarn), und ich dachte, er meinte: veröffentlichen. Aber er meinte tatsächlich das Schreiben. Stilistisch hätte das alles gar nichts mehr mit dem zu tun, was man ihm im Deutschunterricht beigebracht hätte, und nun wäre die Hemmschwelle für ihn gesunken. Er arbeitet gerade an den Memoiren seiner Urgroßmutter, außerdem an einem „Best of Gerichtssaal“, schließlich ist er Richter.
Schreiben ist einfach geworden? So einfach, dass man es bei Wochenendseminaren und Onlinecrashkursen lernen kann. „Welchen Kurs würden Sie mir empfehlen, und haben Sie selbst auch einen belegt?“, werde ich häufig gefragt, und: „Wie haben Sie das denn gelernt?“ Damit verbunden gern auch: „Können Sie mir ein paar Tipps geben?“
Also. Bei mir war das so: Ich hab mit vierzehn angefangen, für Zeitung und Rundfunk zu schreiben, um mein Taschengeld aufzubessern. Das war alles im Bereich Kinder und Jugend, und natürlich handelte es sich nicht um weltumspannende Themen, sondern vorzugsweise um Musikkritiken, Buchbesprechungen und Konzertberichte, später kam auch mal etwas Kaninchenzüchterartiges hinzu, aber immerhin. An der Uni hatte ich Creative-Writing-Kurse. Ich habe Literatur studiert, also viel gelesen, am Theater gearbeitet, war beim Film und habe Drehbücher bearbeitet, war auch bei Drehbuchseminaren, habe Bücher übers Filmemachen und Regieführen und Schreiben gelesen, ich hatte immer mit Geschichten zu tun. Mit unterschiedlichen Arten, wie sie erzählt werden. Mit Texten, wie sie entstehen, wie sie sich entwickeln. Seit fast fünfundzwanzig Jahren. Ich hatte nie vor, Bücher zu schreiben, es ist passiert. Und ich habe immer noch das Gefühl, dass ich eine ganze Menge lernen muss – und kann. Was mir übrigens sehr viel Spaß macht.
Wenn mich also jemand fragt, was denn so meine Schreibtipps sind, für den Anfang und grob im Überblick – hier sind sie.
- Lesen.
- Lesen. Aber auf keinen Fall etwas, bei dem man sich denkt: Na, das hätte ich aber auch gekonnt.
- Lesen. Möglichst etwas, bei dem man sich denkt: Das krieg ich nie hin. (Und heimlich nimmt man sich vor, genau so etwas hinzukriegen. Eines Tages.)
- Üben, jeden Tag. Hinsetzen und irgendwas schreiben. Hauptsache: schreiben, auch gern ohne Ziel und ohne Verstand. Mal mit Regeln, mal vollkommen ohne.
- Handwerkszeug lernen (s. o.). From scratch. Erzählformen, Erzählperspektiven, unterschiedliche Textsorten usw. Erst mal ein solider Handwerker werden. Großer Künstler sein kann man immer noch. Wenn man zum Beispiel als Maler so richtig gut sein Handwerkszeug kann und das auch allen bewiesen hat, dann darf man schwarze Farbe auf Leinwände kleistern, die ins Museum kommen und über die jeder sagt: DAS soll KUNST sein?! Vorher: nicht.
- Deshalb:
- Es schadet nicht, sich mit der „Heldenreise“ auszukennen.
- Es schadet nicht, sich mit Märchen auszukennen.
- Es schadet nicht, sich hin und wieder mal Bilder und Fotografien oder andere Kunstwerke anzusehen.
- Filme sind auch kein schlechtes Lehrmaterial.
- Recherche heißt nicht, einen halben Tag nett mit jemandem geplaudert zu haben. Deshalb: Lieber über etwas schreiben, mit dem man sich irgendwie auskennt.
- Es gibt Regeln, wie man Schreiben soll. Diese Regeln kann man lernen. Und dann kann man sie brechen. Das ist das Schöne an Regeln. Dazu gehört auch:
- Alles vergessen, was man im Deutschunterricht über „gutes Deutsch“ gelernt hat.
- Sagte ich, dass Regeln da sind, um sie zu brechen? Elmore Leonard hat allerdings ein paar recht gute, mit denen man rumspielen kann.
- Lesen. (Sagte ich das schon?)
- Zwei unglaublich banale Dinge, die sich in der Praxis als hilfreich erwiesen haben, wenn man mit einem Text tatsächlich fertig werden möchte: mit zehn Fingern ordentlich tippen können, und: erst Masse schaffen, dann überarbeiten.
- Augen und Ohren offenhalten. Immer und überall. Diese Menschen da draußen erzählen so viele Geschichten und sind ganz besondere Charaktere. Und sie liefern die Grundlage für gute Dialoge und gute Beschreibungen.
- Wissen, worüber man wirklich schreiben will. Im Kleinen wie im Großen. Damit sind wir gleich bei:
- Eigene Themen finden.
- Die Figuren besser kennen als jeder andere.
- Wissen, wohin die Figuren wollen.
- Es schadet nicht, das Ende der Geschichte zu kennen, bevor man es geschrieben hat. Selbst, wenn dann doch alles ganz anders ausgeht.
- Eine eigene Sprache finden. (Back to: üben, üben, üben.)
- Kreativität kann man erzeugen. Es gibt einiges an Techniken, die sogar hilfreich sind. John Cleese hat mal einen hervorragenden Vortrag zum Thema gehalten. Neil Gaiman sagt auch immer wieder Inspirierendes zum Thema.
- Ideenfindung: ebenso.
- Akzeptieren, dass neun von zehn Ideen Mist sind.
- Akzeptieren, dass man manchmal hundert Seiten wegwerfen muss. Oder mehr.
- Stolpern, hinfallen, Dreck abklopfen, weitermachen. Ganz wichtiges Motto.
- Wenn man hängt, liegt’s meistens daran, dass man seine Figuren und deren Motivation doch noch nicht gut genug kennt.
- Never trust friends&family. Die finden immer alles entweder viel zu gut oder viel zu schlecht.
- Ein Text ist nie fertig. Aber irgendwann muss man damit fertig sein.
- Für Kritik offen sein heißt nicht, sich den eigenen Stil zu versauen. Man lernt mit der Zeit zu unterscheiden, welche Kritik einen weiterbringt und welche nicht. Und das mit dem eigenen Stil, da muss man sowieso erst mal hin.
- Schreiben ist Arbeit, und dazu noch keine leichte.
Ich traf mal einen dieser internationalen Bestsellerautoren. Die Sorte, die in dreitausend Sprachen übersetzt wird und mehrere Millionen Bücher pro Minute verkauft. Er war ein Häufchen Elend, weil er abends eine Lesung hatte und nervös war. Er war vor allem deshalb nervös, weil er sein Buch scheiße fand. Es war sein fünfzehntes Buch. Vielleicht auch sein fünfundzwanzigstes. Möglich, dass er so erfolgreich ist, weil er immer unzufrieden ist. Möglich, dass ich nach dieser Begegnung einfach hätte sagen sollen: Verdammt, ich überleg mir das noch mal mit der Ausbildung zur Bankkauffrau. Die dauernde Unzufriedenheit ist ein Motor und hilft, diszipliniert zu sein und zu üben und weiterzukommen. Dafür ist man allerdings: dauernd unzufrieden. Auch das kann passieren, wenn man schreibt. Ich glaube, es ist nicht einmal so besonders unüblich.
Einfach finde ich es jedenfalls immer noch nicht.
Zoë Beck
Zur Homepage von Zoë Beck geht es hier. Foto: © Victoria Tomaschko.