Geschrieben am 2. August 2008 von für Crimemag, Porträts / Interviews

Zum Tode von Janwillem van de Wetering

© by Juanita van de Wetering

Outsider in Amsterdam

Am 4. Juli ist Janwillem van de Wetering in Maine gestorben. Für sein schriftstellerisches Werk wurde er mit dem Swedish Royal Mystery Prize (1979), dem Boekenweekgeschenk (1980) und dem Grand Prix de la Litérature Policière (1984) ausgezeichnet. Kerstin Schoof porträtiert den: Outsider in Amsterdam.

Als Krimischriftsteller wurde Janwillem van de Wetering international bekannt, aber sein Leben verbrachte er als Weltbürger und Multitalent, arbeitete als Kaufmann ebenso wie als Übersetzer, Herausgeber japanischer Kriminalstories und Skulpturenkünstler. 1931 in Rotterdam geboren, lebte er nach seinem Schulabschluss in Südafrika, studierte Philosophie in London und ging Ende der 1950er Jahre für 18 Monate in ein japanisches Zen-Kloster in Kyoto. Aufenthalte in Südamerika folgten, bevor er über einen Umweg über Australien im Jahr 1965 nach Amsterdam zurückkehrte. Dort leitete er mit seiner kolumbianischen Ehefrau eine Textilfirma und verfasste seine ersten Kriminalromane. Inspiriert wurde er hierbei nicht zuletzt durch seinen Dienst in einer Freiwilligen-Streife der Amsterdamer Polizei, die er als Ersatz für den durch seine zahlreichen Auslandsaufenthalte nicht abgeleisteten Wehrdienst absolvierte. Acht Jahre lang patroullierte van de Wetering als selbsterklärter „Anarchist in Uniform“ abends und am Wochenende durch die Amsterdamer Grachten und fand Gefallen an seinem Nebenjob, in dem er es bis zum Inspektor bringen sollte.
Seit 1975 lebte er mit seiner Familie im Bundesstaat Maine in den USA und veröffentlichte neben weiteren Amsterdam-Krimis auch mehrere Kinderbücher und eine Biographie des niederländischen Autors Robert van Gulik.

Kriminalromane und …

Van de Weterings Krimis sind mit einer heiteren Gelassenheit und Weltoffenheit verfasst, die im Genre ihresgleichen sucht. Seine Protagonisten streifen nicht nur durch das multikulturelle Amsterdam, sondern ermitteln bisweilen auch in Tokio oder in den USA: im Mittelpunkt der zerbrechlich-rheumatische, zum Meisterdetektiv stilisierte Commissaris ohne Eigennamen, begleitet vom eleganten Brigadier de Gier mit Seidenschal und teuren Lederstiefeln, sowie dem gemütlichen Adjutant Grijpstra, der mit einer ehemaligen Prostituierten liiert ist. Auf große Emotionen wird bei van de Wetering verzichtet, eher folgt er seinen Ermittlern mit amüsierter Distanz und weigert sich konsequent, eine irgendwie geartete Katastrophenstimmung aufkommen zu lassen. Morde fungieren hier nicht als das ganz große Grauen, sondern sind schlicht trauriger Bestandteil der immer fehlerhaften, unvollkommenen menschlichen Existenz.

Statt jemals in eine Psycholgisierung der Charaktere zu verfallen, bereichert Wetering den klassischen Detektivroman daher um eine Dimension der „Philosophisierung“: Weltanschauung und Lebensweise der Verdächtigen werden in den Ermittlungen stets an erster Stelle unter die Lupe genommen, und unaufhörlich ringt das Polizisten-Trio um die eigene gute Lebensführung, um die richtige Entscheidung. Diese nimmt van de Wetering seinen Protagonisten jedoch nie ab: um Gerechtigkeit oder Schuld und Sühne geht es in seinen frühen Krimis selten, Selbstmitleid ist ebenso selten anzutreffen wie Mitleid, und manchmal lässt dies seine Romane in einer geradezu irritierenden, moralischen Ambivalenz schweben. Eine deutlichere, auch politische Positionierung tritt erst in van de Weterings späteren Krimis zutage, beispielsweise in Der Feind aus alten Tagen, in dem der Commissaris den Kampf mit seinem eigenen finsteren Spiegelbild in Gestalt eines ehemaligen Schulfreundes, Altnazis und skrupellosen Karrieristen aufnimmt.

… Philosophie

Explizit findet sich die Philosophie zum Krimi jedoch an anderer Stelle, denn einen Namen machte sich Janwillem van de Wetering nicht zuletzt als Experte für Zen-Buddhismus. Über Jahrzehnte hinweg entstand so eine Trilogie lakonischer Erfahrungsberichte, in der er seine Auseinandersetzung mit Meditation und klösterlicher Lebensweise verarbeitet. Der leere Spiegel zeichnet van de Weterings Aufenthalt im Kloster Daitoku-ji in Kyoto in den Jahren 1958 und 1959 nach, wo sich der damals 26jährige Philosophiestudent Antworten auf die Frage nach dem Sinn des Lebens erhofft. Statt erhabener Einsicht erwarten ihn endlose, schmerzhafte Stunden im Lotussitz, Disziplin und Gehorsam: „Ich, ein Zugvogel, ein Beatnik – es gab damals noch keine Hippies – ein Ungebundener, ausgerechnet ich hielt jetzt feste Zeiten ein und stellte mich in Schlangen an“. Erst Jahre später, in einer Zen-Gemeinde in den USA, gelingt es van de Wetering, Koans zu lösen und in der winterlichen Einsamkeit von Maine etwas von der Befreiung zu spüren, die er in Japan noch vergeblich gesucht hat (Ein Blick ins Nichts, 1975). Umso überraschender beschäftigt er sich Ende der 1990er Jahre in Reine Leere – wie immer alles andere als verbittert – mit den Absurditäten und Widersprüchen organisierter Religion und demaskiert insbesondere seinen früheren nordamerikanischen Meister, der die Gemeinde durch ein Geflecht von Psychoterror, Begünstigungen und Misshandlungen der Schüler längst gegen die Wand gefahren hat. Van de Wetering verabschiedet sich hier jedoch nicht vom Zen, sondern von dessen nihilistischer Seite, von Gleichgültigkeit und Weltflucht. Der „Coolness des Nichts“ setzt er abschließend das Ideal einer leidenschaftlichen Kreativität im Hier und Jetzt entgegen – eine Kreativität, die Janwillem van de Wetering selbst Zeit seines Lebens auf den unterschiedlichsten Gebieten praktiziert hat.


Kerstin Schoof

Die Bibliographie zu Janwillem van de Weterings Werk finden Sie hier: Kaliber38.de

Hinzugekommen ist noch die Erzählung: Die entartete Seezunge (Europa Verlag, 2002).