MusikMag-Highlights 2010
CULTurMAG-Mitarbeiter stellen ihre Lieblingsplatten des Jahres 2010 vor. Es wird schnell klar: 2010 war ein gutes Jahr. Und selbst die, die es musikalisch etwas ruhiger haben angehen lassen, können sich beruhigt auf ihre guten alten Bekannten verlassen …
Christina Bacher
Die Geschichte, dass Rebellensöhne Waffen gegen Gitarren getauscht haben, haben die Jungs von Tamikrest nicht als Erste erfunden. Doch wer bereits vor Jahren der Tuareg-Blues (!)- Band Tinariwen verfallen ist, konnte sich in diesem Jahr gleich zweifach freuen: Denn die junge Band Tamikrest um den 27-jährigen Ousmane Ag Mossa veröffentlichte mit „Adagh“ nicht nur ihre erste CD, sondern kam auch mit einer mehrköpfigen Combo auf Tournee nach Deutschland. Ruhige Rhythmen, fließende Songs, einen raue Stimme und redundante, oft mehrstimmige Gesänge prägen die Musik, behutsam abgemischt von Walkabouts-Frontman Chris Eckman. Diesen hatte die Band beim Festival au Désert in den Dünen von Essakane bei Timbuktu kennengelernt, ein paar Tage später waren erste Song im Kasten. Und obwohl von 2008 verdienen diese ersten Zelt-Aufnahmen – „Tent Session“ – von Ekman und Mossas Jungs hier auch eine Erwähnung. Man sollte beide CDs von Tamikrest im Doppelpack haben.
Tamikrest: Adagh; Tent Session. Beide erschienen bei Glitterhouse.
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Thomas Backs
Ziemlich turbulent, das Jahr 2010. Mein Soundtrack dazu war bunt gemischt, Schall und Wahn inklusive. Victoria Legrand und Alex Scally aus Baltimore, Maryland haben mich bis heute auf vielen Wegen begleitet und als Beach House mit „Teen Dream“ das musikalische Highlight mit freundlichen Ruhepunkten geliefert. Das dritte, bisher beste Album des Duos läuft hier mit seinem verträumten, beinahe hypnotisierenden Pop auf Heavy Rotation, mit Ohrwürmern wie „Walk In The Park“, „Silver Soul“ und „Used To Be“. Sehr zu empfehlen: Das Album ist in einer schmucken Edition mit liebevoll gebastelten Videos zu den Songs erhältlich. Faszinierend finde ich Legrands ungewöhnliche, weil eindringliche Stimme. Seit Ende Februar hatte ich auf einen Auftritt von Beach House gehofft. Dass es dann am 14. November ausgerechnet mein Lieblingsclub wurde, war ein schönes Geschenk zum Ende des Konzertjahres. „Gila“ vom 2008er Album „Devotion“ war der Opener im Gebäude 9, Köln. Viel Raum für Bewegung hatten wir Besucher in Deutz nicht mehr, der Laden war wirklich sehr, sehr gut gefüllt. Beach House – auf der Bühne ein Quartett – spielten „Teen Dream“ fast komplett. Einfach schön. Und Gebäude 9: Immer wieder gerne.
Beach House: Teen Dream. Cooperative Music (Universal).
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Jörg von Bilavsky
Zum Jahresende der Tipp zum Trip.
JAHRESENDTRIP 2010
Damit der Jahresendtipp in einem Jahresendtrip ausklingt, ist Träumen und Tanzen angesagt. Köchelte die ungarische Erik Sumo Band („The Trouble Soup“) einen feurigem Mix aus Disco, Pop, Blues, Rock, Indie und Jazz, schwebte William Orbit – der Name ist Programm – in ganz andere, entrückte Weiten („Pieces In A Modern Style 2“). Electronics meets Classic, ohne Interferenzen oder sonstige Spannungen. Statt mit der Familie vor dem nadelnden Grünling verstaubte Weihnachtsweisen vor sich hin zu grummeln, sollten man sich lieber in die weiten Hallen des Bergkönigs locken lassen. Edvard Grieg wären die Ohren bei Orbits sphärischer Romantik ganz warm geworden, ganz anders als bei den eiskalten Adaptionen der DDR-Band Electra oder ELO. Bis zum großen Knall an Silvester tragen die durchaus auch mal den Kitsch streifenden Kompositionen. Aber es ist ja Weihnachten, nicht wahr. Am 31. sollte man aber schnellstens wieder ein paar Gänge raufschalten. „The Trouble Soup“, „Secon“ oder „Disco In My Head“ blasen dann wieder ordentlich Wind durch die Gehörgänge. Chefkompositeur Ambrus Tövisházi und seine Erik Sumo Band geben für einen schwungvollen Rutsch ins neue Jahr vor und lassen das letzte wunderbar vergessen. Ihrer Songs natürlich ausgenommen.
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Frank Göhre
Mein persönliches Highlight des Jahres
Ein Trip nach London zum Start der Jeff Beck / Eric Clapton-Tournee am 13. Februar 2010 in die Städte: New York, Toronto und Montreal. Ein phantastisches Konzert mit einem grandiosen Jeff Beck – für mich einer der genialsten Gitarristen, der sowohl Blues, Rock und Funk (begleitet von der ehemaligen Prince-Bassistin Rhonda Smith) spielt wie auch mit „singender Fender“ so anrührende Balladen wie „Mna Na Heireann“ – in London mit kleinem Orchester und der irischen Geigerin Sharon Corr. Dazu noch ein Auftritt der Soulsängerin und Schauspielerin Joss Stone. Großartig! Einige Titel des Konzerts können auf Youtube gesehen und gehört werden.
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Tina Manske
Es war ein gutes Jahr für die Musik. Um nur drei zu nennen: Da war Sufjan Stevens, der 2010 nicht nur die großartige EP „All Delighted People“ herausbrachte (mit unter anderem der schönsten mir bekannten Verklausulierung von Simon & Garfunkel), sondern gleich das Album „The Age Of Adz“ hinterherschickte, dessen haushohes Schweben über den weltlichen Dingen man gehört haben muss. Aber auch Christiane Rösinger, die mit ihrem ersten Soloalbum „Songs Of L. And Hate“ ihren Status als beste deutsche Songwriterin eindrucksvoll bestätigte und noch dazu mit der Wiedereröffnung der „Flittchenbar“ in Berlin für die schönste Überraschung des Jahres 2010 sorgte. Und sonst: Natürlich dürfen Caribous „Swim“, LCD Soundsystems „This Is Happening“ und Arcade Fires „The Suburbs“ (das man als Mitglied der Driving-home-for-Christmas-Fraktion am besten in seinem alten Kinderzimmer hört) in keinem Billy-Regal fehlen!
Jaja, das waren mehr als die angekündigten drei, aber was soll man machen, es war eben ein gutes Jahr für die Musik. Für eine fast vollständige Liste hörenswerter Neuerscheinungen 2010 übergeben wir an:
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Christina Mohr
tocotronicvampireweekendkristofschreufchristianerösingerjensfriebemutterjanellemonáe
hotchipcaribouroseelinordougallanikaporticoquartetloneladygemmarayjapanik
diesternecocorosiechloéthedivinecomedythedrumsgreiegutfraktionkatzearcadefire
chillygonzalezjazzpassengersantonyandthejohnsonslcdsoundsystemmarniestern
hansunsternfourtetdarwindeezwildbirdsandpeacedrumskyriekristmanson
tamarynandreyatrianastellabestcoastpeggysuetraceythorngrinderman
dumdumgirlsbloodredshoesgilscottheron
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Schwarwel
Mein kulturelles Highlight 2010 wird erst noch stattfinden.
Wie jedes Jahr wird es sich dabei um die Aufführung von Beethovens „Neunter“ handeln, die am 31.12. pünktlich um 17 Uhr vom ansonsten von mir peinlich gemiedenen TV-Sender MDR live aus dem Leipziger Gewandhaus übertragen wird. Als Leipziger gehört sich das so. Und durch diese Tradition habe ich Beethoven erst richtig lieben gelernt, nachdem ich ihn wie so viele meiner Generation durch Kubricks „A Clockwork Orange“ 1990 kennengelernt hatte – in der Schule waren Tschaikowsky und Bach anscheinend wichtiger. Und Zwölftonmusik.
Ja, natürlich könnte ich mir auch ein Ticket kaufen und dieses Konzert direkt live vor Ort anhören. Als meine Tochter noch im Gewandhauskinderchor sang, war es die Auszeichnung schlechthin, am Jahresende die „Neunte“ mitschmettern zu dürfen. Da wäre man auch an „Elternkarten“ gekommen – die galten aber nur für die Generalprobe am 30.12., was irgendwie nicht dasselbe ist. Seitdem gehe ich meiner Tochter ab und an auf den Senkel, um sie subliminal dazu zu bewegen, doch irgendwann auf die großartige Idee zu kommen, mir Karten für dieses Ereignis zu schenken. Ich fürchte, sie ahnt nicht mal ansatzweise, wie groß meine Freude darüber wäre: Karten FÜR Beethoven VON meiner Tochter! Nirwana!
Bis es so weit ist, bleib ich am 31.12. zu Hause, mache die Rollläden dicht, stelle die Klingel ab, schmeiße Holz auf den Kamin und höre mir meine Sinfonie bei TV Banal an … „same procedure as e-v-e-r-y year!“
Zur Homepage von Schwarwel
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Thomas Wörtche
Hier meine ganz bescheidenen Highlights:
Concha Buika: El Último Trago. Casa Limón 09.
Chucho Valdes & The Afro-Cuban Messengers: Chucho’s Steps. World Village.
Marianne Dissard: Paris One Takes. Trop Exprés Music.
Ansonsten war es ein musikalisch eher ruhiges Jahr für mich – ich hab mich mit ein paar guten alten Bekannten so durchgeschlagen: Leonard Cohen, Johnny Hodges, Tomasz Stanko und Miles Davis …