Geschrieben am 20. Juni 2008 von für Litmag, Vermischtes

“Magie der Dinge” im Städel Museum Frankfurt

Justus Juncker, Stillleben mit Apfel und Insekten (Detail)

Die Magie der Dinge

Exquisite Augenlust, visuelles Tai-chi: Das Frankfurter Städel Museum zeigt Kostbarkeiten aus der Blütezeit des Stilllebens. Von Gisela Trahms

Eine Birne, ein Schneckenhaus, eine eben erloschene Kerze – nichts Besonderes also, Dinge ohne den Reiz der Neuheit, die wir tausendmal gesehen, in die Hand genommen und wieder beiseite gelegt haben. Vielleicht macht man aber doch ein Foto, wenn die Kamera gerade griffbereit ist und das Schneckenhaus, noch glänzend vom letzten Regenguss, so dekorativ auf einem dunkelgrünen Blatt liegt. Und wenn dieses Foto dann auf dem Bildschirm erscheint, gefällt es einem plötzlich staunenswert gut. Das Schneckenhaus oder der Apfel, über den ein Insekt spaziert, beginnen auf seltsame Weise zu leuchten und mit dem Betrachter zu sprechen. Noch intensiver wird die Anziehungskraft, wenn es sich um gemalte Abbilder handelt, Stillleben also. Sich ihrem Sog zu überlassen gehört zu den schönsten Erfahrungen, die man in einem Museum machen kann. Eine exquisite Augenlust der langsamen Art ist das, sozusagen visuelles Tai-chi.

Die Ausstellung im Frankfurter Städel heißt „Die Magie der Dinge“ und zeigt über 90 Stillleben. Sie ist perfekt gegliedert und gehängt – nichts stört oder lenkt ab. Und die Bilder sind vorzüglich beleuchtet, erste und wichtigste Voraussetzung dafür, dass sich die Magie überhaupt entfalten kann. Nur wenn sie vom rechten Licht beschienen wird, entwickelt die gemalte Birne eine verführerische Strahlkraft von innen heraus, so dass man mit dem Finger über die sanft gewölbte Oberfläche streichen möchte. Man vergisst, dass man eine plane, zweidimensionale Leinwand vor Augen hat. Andererseits handelt es sich auch nicht um die täuschend echte Wiedergabe einer knackigen Frucht, in die man hineinbeißen möchte – was man sieht, ist eine auf mysteriöse Weise unstoffliche Stofflichkeit, die in gleichsam pulverisierten Farbübergängen die Form einer Birne annimmt. Vor dunklem Hintergrund, in natürlicher Größe, ruht sie auf einem verschatteten Podest, kostbar wie eine Plastik oder ein Idol, dennoch bescheiden, schon durch das kleine Format. Eigentlich ist es nur ein Bildchen, das in die Handtasche passt, und darin trüge man es liebend gern nach Hause, um ihm täglich in den eigenen Wänden zu begegnen. Gemalt hat die Birne Justus Juncker im Jahr 1765, ebenso den Apfel, der das Plakat der Ausstellung ziert, und in jeder Hand eine Frucht, ist er damit geradewegs in die Unsterblichkeit spaziert.

Natürlich kann man Stillleben auch durch die historische Brille betrachten, die Ausstellung liefert die nötigen Informationen auf diskrete und geschickte Weise. Von 1500 – 1800, dem hier dokumentierten Zeitraum, hat die Gattung eine vielfältige Entwicklung durchgemacht. In ihrer Blütezeit im 17. Jahrhundert in den Niederlanden waren Stillleben sehr gesuchte Produkte hochspezialisierter Schöpfer – es gab Fachleute für Blumenstillleben, Prunkstillleben, Vanitas-, Jagd-, Kartuschen-, Frühstücksstillleben usw. Und dazu einen Kanon von Bildmotiven, die jedermann verständlich und leicht lesbar waren. So gut wie alle bezogen ihren Gehalt aus der religiösen Deutung der Welt und des Lebens. Das ist vielfach untersucht und erforscht und wird in Frankfurt unaufdringlich erklärt. Aber für uns, heute, sind diese historischen Hintergründe eher sekundär.

Was uns überwältigt, ist zum einen die unglaubliche technische Meisterschaft dieser Bilder. Halten Sie mal ein Glas gegen das Licht und stellen Sie sich vor, Sie sollten diese von Reflexen funkelnde Durchsichtigkeit malen! Und dazu dann noch das feuchte Perlmutt der Austern, die Intarsien eines Messergriffs, Wassertropfen auf Zinngeschirr usw. usw. Atemberaubend. Aber letztlich besteht das Faszinosum nicht einmal darin. Wir sind inzwischen optisch so verwöhnt, ja überreizt, dass uns solche Perfektion auf die Dauer nur zu kalter Anerkennung bewegt.

Nein, es sind nicht die großen, bunten Paradestücke, die überwältigen. Es ist die Transformation des Alltäglichen in den kleinen Formaten, die für die magischen Momente sorgt. Das Brötchen mit den Lichtpunkten auf dem milden Ocker der Kruste, seine luftig gebackene Materialität, die man mit Händen zu greifen meint, bei gleichzeitiger Entrückung ins Immaterielle. Hingerissen stehen wir davor und fragen, warum das so entzückt. Für uns, heute, muss das Bild nicht von Symbolen beschwert sein, nicht ans Jenseits erinnern oder Vergänglichkeit anmahnen. Für uns ist es pure Malerei, die Überführung des Banalen in Kunst. Manet hat das im 19. Jahrhundert genauso bewerkstelligt, Morandi im 20. Jahrhundert. Pfingstrosen, ein Bund Spargel, Flaschen und Krüge: Alles, was Malerei kann und in sich selbst bedeutet, wird sichtbar. Vierhundert Jahre früher malte Georg Flegel einen Aprikosenzweig in einem Krug: die pelzige Oberfläche, die gehauchten Farben der Früchte, die Lichtreflexe auf der Glasur des Krugs. Mit Worten lässt sich das nur skizzieren. Den Zauber muss man schauen.

Gisela Trahms

Die Magie der Dinge. Stilllebenmalerei 1500 – 1800.
Städel Museum Frankfurt / Main, bis 17. August 2008
Näheres unter www.staedelmuseum.de