Geschrieben am 19. Mai 2006 von für Litmag

Ab in den Kongo

Ab in den Kongo

Ein bayerischer Hochschullehrer, von aufgeklärt liberaler Grundeinstellung und Gegner jeder provinzieller Weltsicht, nennt die Region um Passau gerne „Bayrisch-Kongo“. Da dürften sich linke wie konservative, liberale wie rassistisch eingestellt Deutsche kaum unterscheiden. Der Kongo ist da irgendwie eine Terra Incognita tief im Innern der afrikanischen Finsternis. Die politisch Korrekten halten sich da in ihrem Urteil eher vorsichtig zurück, gestehen aber auch, nicht viel von dem zentralafrikanischen Riesenland zu wissen. Neuerdings sind die besorgten Demokraten hinzugekommen, die die ordnungsgemäße  was immer das heißt) Durchführung von Wahlen im Kongo zu einer zentraleuropäischen Schicksalsfrage erklären. Also, ab mit deutschen Divisionen nach Kinshasa, um dort an den Wahlurnen unseren (!) hohen Lebensstandard zu verteidigen. Nach Schließung der Wahllokale geht es dann wieder zurück zur ‚Festung Europa’.

Nach uns das Chaos…Zynismus? Arroganz? Wie desinteressiert die deutsche Öffentlichkeit tatsächlich an der Realität des Kongo ist, konnte man etwa Ende des Jahres 2005 sehen, als das deutsche PEN-Zentrum in Darmstadt seine „Hermann-Kesten-Medaille“ zur Verteidigung der Presse- und Meinungsfreiheit an die kongolesische Journalistenvereinigung „Journalist en danger“ verlieh. JED, so die Abkürzung des Vereinsnamens, hat seit Jahren schon ein vorbildliches Netzwerk von und für Journalisten in Zentralafrika aufgebaut (www.jed-afrique.org). Donat M’Baya Thsimanga und Tshivis Tshivuadi wa Tshivuadi, die beiden Repräsentanten von JED, widmeten den Preis „Franck Ngyke Kangundu, einem kongolesischen Journalisten und seiner Frau Hèlène Mpaka, die beide am 3. November 2005 in Kinshasa vor den Augen ihrer Kinder von mutmasslichen Auftragsmördern erschossen wurden, um eine unbequem gewordene Stimme für immer zum Schweigen zu bringen….Gleichzeitig möchten wir diese Medaille auch dem Andenken all jener Journalisten und Mitarbeiter widmen, die in den letzten zehn Jahren in der Demokratischen Republik Kongo ermordet oder als vermisst gemeldet wurden…Wir widmen diese Medaille auch dem Andenken unserer Kollegen Mwamba wa ba Mulambo, Mitbegründer von Journalist en danger und früherem Generalsekretär unserer Organisation, der am 2. Dezember 2001 unter bis heute nicht geklärten Umständen ums Leben kam.“ Nach diesen persönlichen Widmungen folgten dann noch einige nüchterne Zahlen: im Jahr 2005 hat es laut JED mit 108 Angriffen gegen Journalisten und Medien einen neuen Rekord gegeben(2004: 66 Fälle): Am 3. November wurden Franck Ngyke Kangundu, ein Journalist von „Référence Plus“ und seine Frau ermordet. Die Hintergründe dieses Anschlags sind bislang nicht geklärt, aber laut JED gibt es Indizien, dass die Tat von Auftragsmördern verübt wurde. 2005 gab es zudem 58 Fälle von Inhaftierung. Derzeit sitzen zwei Journalisten im Gefängnis: Patrice Booto (Herausgeber von „Le Journal“) et NTumba Lumenbu (Journalist des „La Tempête des Tropiques“).

Als die beiden Vertreter von JED diesen Bericht aus dem Herzen der journalistischen Finsternis des Kongo im Karolinensaal des Hessischen Staatsarchivs in Darmstadt vortrugen, waren nur wenige deutsche Journalisten anwesend, obwohl das PEN-Zentrum die Einladungen sehr weit gestreut hatte. Aber wen in Deutschland interessieren schon kongolesische Journalisten, deren Namen man sich ohnehin nicht merken kann. Eine differenzierte und kontinuierliche Berichterstattung über Afrika steht auf der Agenda deutscher Medien nun mal ganz unten. Mit Recht erinnerte der Schriftsteller Uwe Timm in seiner Laudatio auf die Preisträger daran, dass der Kontinent Afrika innerhalb der deutschen Medien kaum wahrgenommen wird. Und noch weniger „wird über jene Kräfte in Afrika geschrieben, die an der Veränderung der Verhältnisse arbeiten“ (Timm). Wenn man die regelmäßig im Internet veröffentlichten Bulletins der ‚Journalist en danger“ über die Verfolgungen unabhängiger Journalisten in Afrika liest, wird man in Europa und in Deutschland sehr kleinlaut. Sie hätten, so berichteten die kongolesischen Journalisten, vor Freude geweint als sie von dem ihnen zugesprochenen Preis des deutschen PEN-Zentrums erfahren hätten. „Eine legitime Freude für uns, die wir es doch gewohnt sind, Beschimpfungen und Verunglimpfungen zu hören, weil wir uns entschieden haben, unsere Energien darauf zu verwenden, in unseren Ländern eines der grundlegendsten Menschenrechte, das Recht auf freie Meinungsäußerung zu verteidigen.“

Wenn die deutschen Soldaten den Kongo nach einer Intervention, die vorbereitet wurde wie ein ‚verlängerter Ausflug am Samstagnachmittag“ (so die „Financial Times Deutschland“) wieder verlassen, bleiben Donat M’Baya Thsimanga, Tshivis Tshivuadi wa Tshivuadi und die anderen Mitglieder von JED nach den Wahlen in ihrem Land. Ob einer der kurzfristig im Kongo stationierten Soldaten weiß, warum es ein PEN-Zentrum gibt, wer Hermann Kesten gewesen ist und warum die ‚Journalists en danger“ in Deutschland einen Preis für ihr Engagement zur Verteidigung der Pressefreiheit erhalten haben? Die Stammtisch-Strategen in „Bayrisch-Kongo“ könnten viel lernen von dem Mut einiger Journalisten im fernen Kongo , irgendwo unten in Afrika’….

Carl Wilhelm Macke