Geschrieben am 1. Januar 2006 von für Comic, Litmag

Adrian Tomine: Sommerblond

Snapshots der Jugend

Der amerikanische Comic-Zeichner Adrian Tomine porträtiert die emotionale Zerrissenheit seiner Generation. Markus Kuhn

Cammie ist ein Party-Girl. Süß, frech, mutig, ausgeflippt. Trinkt schon mal ordentlich mit, wenn die Jungs am Saufen sind. Ist nicht zimperlich, wenn es darum geht, die Bedürfnisse des anderen Geschlechts zu befriedigen … Ein Volltreffer? Der Star ihres Jahrgangs? Na ja … vielleicht ist sie auch etwas zu ausgeflippt. Die anderen Girls jedenfalls hassen sie und selbst die triebgesteuerten Jungs, die sich im Partyrausch von ihr verwöhnen lassen, beginnen, sie in der Schule zu verachten. So richtig ernst genommen wird sie eigentlich nur noch von einem: von Scotty, dem Langweiler.

Scotty ist ein echter Außenseiter. Unsportlich, uncool, analytisch, öde und ziemlich vernünftig. Ist eigentlich nie dabei, wenn mal etwas los ist. Wird von den Jungs im Umkleideraum gehänselt. Hängt ständig mit Alex der Schwuchtel rum. Wer weiß, ob Scotty nicht auch …

Die seltsame, sich langsam entwickelnde Beziehung zwischen diesen grundverschiedenen Jugendlichen wäre der ideale Stoff für eine Short-Story, die sich mit dem bizarren Beziehungs-Techtel-Mächtel unter Teenagern beschäftigt. Aber kann man aus so einem Stoff ohne Gewalt und Action auch einen Comic machen?

Man kann. Der junge Amerikaner Adrian Tomine beweist mit seinem Comic-Band „Sommerblond“, dass man aus alltäglichen Situationen, aus Stoffen, die um die Sorgen und Probleme im jugendlichen Alltag kreisen, einen originellen Comicstrip zeichnen kann. Snapshots der Jugend – ohne „Bumm“, „Zack“ und „Peng“.

Natürlich arbeitet Tomine mit Typen und Klischees. Nur so schafft er es, Figuren auf drei Bildern einzuführen, Beziehungskonflikte in wenigen Bildern nachvollziehbar anzureißen. Da ist zum Beispiel der coole Mucker, der Frauen mit gefühlstriefenden Songs zu verführen weiß: „I sink like a stone in your eyes of blue“. Aber Tomine nutzt solche allseits bekannten Muster, um die Tricks und Gefühle seiner Figuren unmittelbar zu entlarven. Erst dann, wenn es entscheidend wird, wenn der Leser die Protagonisten bewerten möchte, entzieht sich Tomine der Eindeutigkeit und wird ambivalent.

So steckt in seinen gezeichneten Stories mehr Substanz, als der zentrale Konflikt erahnen lässt. Zu den Beziehungsproblemen unter Jugendlichen kommen die Sorgen um die geschiedenen Eltern. „Tomines Figuren zeichnet eine solche Lebensnähe aus, dass die Lektüre eines Comics ebenso lohnenswert wird wie die eines guten zeitgenössischen Romans“ sagt Nick Hornby, der Star der englischen Popliteratur. Und hat im Großen und Ganzen recht. Viele Werke der Popliteratur stellt Tomine zumindest in seinen Schatten.

Markus Kuhn

Adrian Tomine: ,,Sommerblond“. Comics.
Aus dem Amerikanischen von Björn Laser.
Reprodukt Verlag, Berlin 2004. 102 Seiten, 15 Euro.

09.06.2005