Unter unserer Würde
– Carl Wilhelm Macke über den schamlosen Beutezug des Gel-Barons zu Guttenberg durch das geistige Eigentum anderer.
Wenn man in den sechziger, siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts seinen konservativen Onkel (Oberstudienrat, früher NS-Lehrerbund, dann CDU-Wähler) mal so richtig ärgern wollte, dann erwähnte man die „Universität Bremen“. Sofort krachte es dann los: „Rote Zelle‚ Kommunistenpack, Kaderschmiede statt akademische Ausbildung, linke Professoren“ usw., bis die Stimme sich überschlug.
Für den Untergang des Abendlands (sprich die Sozialdemokraten um Willy Brandt an der Regierung in Bonn, die Gesamtschulen in Hessen und die Kinderläden in Berlin) wurde die Ausbildung von „indoktrinierten Lehrern, Juristen, Medizinern, Historikern“ an den marxistischen Universitäten wie Bremen oder Oldenburg und den antiautoritär unterwanderten alten Universitäten wie Marburg, Göttingen oder Heidelberg verantwortlich gemacht.
Und ausgerechnet ein Juraprofessor aus Bremen, der auch noch über den „italienischen Kommunistenführer Gramsci“ (so CSU-Landesgruppenchef Friedrich) ein Buch geschrieben hatte und eine „linke Juristenzeitschrift“ (Kritische Justiz) herausgibt, erinnerte jetzt Karl-Theodor zu Guttenberg, den konservativen Superstar des Augenblicks, an die Prinzipien seriösen wissenschaftlichen Arbeitens. Die politischen Folgen dieser Aufdeckung des schamlosen Beutezugs des Gel-Barons durch das geistige Eigentum anderer und die vorsätzliche Verletzung jedes wissenschaftlichen Anstands sind bekannt und müssen nicht noch einmal ausführlich dargestellt werden.
Benjamins Briefe „Deutscher Menschen“
Aber man sollte aus diesem Anlass an das Buch eines Autors erinnern, der erst in den 68er-Jahren langsam und gegen den Widerstand oder die Ignoranz konservativer Wissenschaftskreise Eingang gefunden hat in die demokratische Kultur Nachkriegsdeutschlands. 1936, in den Hochzeiten des Nationalsozialismus, gab Walter Benjamin eine Sammlung mit Briefen „Deutscher Menschen“ (so der Titel) heraus. Benjamin wollte gegen die immer größer werdende Verdunkelung deutscher Kultur an eine helle Tradition des bürgerlichen, anständigen, ehrenhaften Geistes in Deutschland erinnern. An Georg Christoph Lichtenberg, an Immanuel Kant, Friedrich Hölderlin, an Goethe, Georg Büchner, Jean Paul und andere.
Eingeleitet wird diese Briefsammlung mit einer Widmung, die andeutet, wie sehr die alten Ideale des deutschen Bürgertums in den rücksichtslosen Karrierekämpfen heutiger Jungkonservativer weggeschmolzen sind. In den Briefen „Deutscher Menschen“, so schrieb Benjamin, würden wir etwas „von Ehre ohne Ruhm, von Größe ohne Glanz, von Würde ohne Sold“ erfahren. Und wenn man diese Briefe liest, registriert man nicht ohne Wehmut, dass es tatsächlich einmal eine bürgerliche (auch eine aufgeklärt adelige) Tradition in Deutschland gegeben hat, in der „Anstand, Ehre und Respekt“ tatsächlich etwas galten.
Die diversen Land-, Bagatell- und Plagiatadeligen unserer Tage (einschließlich ihrer politischen Büchsenspanner) sollten die von Walter Benjamin gesammelten Briefe einmal in aller Ruhe am Ende eines Ausritts in die eigenen Wälder und erschöpfender Salongespräche über den Niedergang der Werte lesen.
Wir unbelehrbaren Republikaner jedenfalls haben es satt, in den Talkshows und Buntmagazinen mit verlogenen Tugendappellen von Lügenbaronen und ihren intellektuellen Rittmeistern malträtiert zu werden. Deren Erziehungsratschläge sind unter unserer Würde.
Carl Wilhelm Macke